Heft 
(1987) 43
Seite
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Abkehr von früheren konservativen Beschreibungsmustern gemieden oder doch vernachlässigt worden ist. Das betrifft vor allem das sogenannte Kreuzzeitungs­jahrzehnt (18601870), das Fontane einmal als das glücklichste seines Lebens bezeichnet hat, und Fontanes Verhältnis zum konservativen Preußentum. Wruck erläuterte die literatursoziologische Situation der Schriftsteller in der zweiten Hälfte des 19. Jh. und konfrontierte diese Bedingungen mit Fontanes Ringen um Geltung, Anerkennung und Einbindung. Zwischen ein Mäzenaten­tum neuerer Form und eine nichtakademische Literatenexistenz gestellt, habe sich Fontane zeitweilig durchaus für eine enge Übereinstimmung mit der preußischen Entwicklung entschieden. Ohne taktische Vorbehalte sah er in die­sen Jahren seinen Anspruch legitimiert durch die Intention, einvaterländi­scher Schriftsteller" sein zu wollen ein Begriff, der dem zeitgenössischen Verständnis nicht spektakulär erschien. Die Bezugnahme auf Willibald Alexis und Christian Scherenberg, denen Fontane umfangreiche Darstellungen ge­widmet hat, stellt Wrucks These reichhaltig Material zur Verfügung, die Wanderungen" und die Kriegsbücher sind hinzuzudenken. Ohne die Akzep­tanz dieservaterländischen" Phase, die Autorenabsicht und Wirkungsvor- stellungen umschließt, kann Fontanes spätere Entwicklung kaum in Leistung und Vorstoß gewürdigt werden. Gerade die Umbrüche im Werk der 80er Jahre, in denen das vaterländische Konzept überwunden wird, zeigen, daß die älteren Vorstellungen nachwirken. Als der sog. freie Schriftsteller schließlich die Herrschaft über den Poeten und den Literaten gewinnt, bleibt die Suche nach festen Bindungen erhalten, einzelne Verleger (wie Hertz oder Rodenberg) vermochten die Erwartungen nicht zu erfüllen. Fontanes AufsätzeÜber die gesellschaftliche Stellung der Schriftsteller in Deutschland" (1881/1891) schlie­ßen an neue Erfahrungen an, bewahren in ihren Widersprüchen gleichwohl (etwa zurWürdeposition") Entwicklungslinien, die durch Geschichte und Klassenstruktur, Tradition und Gegenwart mitgeprägt sind. Dieser Umbau betreffs des Sujets (dasvaterländische" driftet mitVor dem Sturm" in die Vergangenheit ab), reichte aber weit darüber hinaus bis in die Gattungswahl, die Erzählweisen der Prosa und die Sprechweisen der Lyrik, und führe schließ­lich mit der Eroberung der Gegenwart und Berlins für den Gesellschaftsroman zu einer völlig neuen, komplexen Sicht auf Figuren und Schicksale.

Damit waren Stichworte vorgegeben, die zur Diskussion einluden. Die lang­fristigen Vorbereitungen hatten es erlaubt, daß gewisse Abstimmungen, die einer Arbeitsteilung ähnelten, möglich wurden. Kontinuität und Diskontinuität der Entwicklung, Draufsicht und Einbettung in möglichst viele Kontexte wur­den wichtig.

Christian Grawe lenkte den Blick auf das beinahe ungeschriebene Kapitel: Fontane als Kriegsberichterstatter. Ausgehend von einer Briefnotiz an M. v. Rohr v. 30. 11. 1876,12 Jahre habe ich an diesen Kriegsbüchern Tag und Nacht gearbeitet", umriß Grawe den Kontext zu den preußischen Kriegen und anderen Kriegsberichten. Dieser vom Umfang her umfangreichste Textkorpus des Fontaneschen Werkes ist bis heute nicht umfassend in das Gesamtwerk ein­gebettet worden, so daß des Dichters eigene Worte, daß er mit diesen Arbeiten recht eigentlich zum Schriftsteller geworden sei, immer nur partiell erklärt werden. Kontexte zum vaterländischen Rollenverständnis lagen auf der Hand, Strukturuntersuchungen eröffnen ein weites Feld, auf dem zu agieren auch

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