verstärkt die Historiker gefragt sind. Scherenberg, Bleibtreu und Wildenbruch wurden vergelichend einbezogen, um die je spezifischen Bilder von preußischer Gesinnung zu erfassen.
Die „Neue Preußische(Kreuz)Zeitung" und Fontanes Stellung in ihr wertete Luise Berg-Ehlers, gestützt auf eine gründliche Analyse aller diese Frage betreffenden Beiträge, aus. Als Organ der Großagrarier und der lutherischen Orthodoxie wurde tendenziös gewert; und während noch die Darstellung des Konfliktes um Schleswig-Holstein anerkennend hervorgehoben wird (eine Empfehlung des Kultusministers für die „reifere Jugend” korrespondiert dajpit); blieb der Erlebnisbericht Fontanes über die Gefangenschaft in Frankreich aufgrund seines um Gerechtigkeit bemühten Tones ohne Notiz. Der Nachruf auf Fontane betonte. charakteristischerweise den „vaterländischen Schriftsteller", während der Verfasser der Berliner Romane mit nur wenigen nichtssagenden Worten erwähnt wird. Einseitigkeiten des zeitgenössischen Fontane-Bildes finden hier ihre Erklärung.
Aber wie umstritten eine derartige Blickwendung ist, zeigte die Diskussion. Bedeutete der Nachweis konservativer Ansichten des „mittleren" Fontane eine Preisgabe des Demokraten? Verkürzt die Orientierung auf sein spezifisch schriftstellerisches Sozialverhalten, das in dieser Periode dem brotlosen Poeten- tum entgehen und sich über das „Vaterländische" einen stabilen Standort zu erobern sucht, nicht die herausragende 'weltliterarische Leistung Fontanes? Welche Prozesse stehen dahinter, und wie stehen sie zu diesen Tatbeständen in Verbindung?
Helmut Richter erinnerte zunächst in einem Beitrag an Fontanes Aufsätze in der „Berliner Zeitungshalle", die unmittelbar nach den Ereignissen von 1848 revolutionär-demokratische Ideale verfochten, auch dies im Namen einer durchaus vaterländischen Gesinnung. Er fragte nach der präzisen Bestimmung eines an Preußen angelehnten Demokratie-Verständnisses. Dabei müsse das bislang noch ungenügend aufgearbeitete Zeitungs- und Zeitschriftenmaterial ebenso berücksichtigt werden wie die Einbettung Fontanes in den Prozeß der Herausbildung sozialdemokratischer Strategien. „Reife", „Erkenntnis" und „historischen Sinn" attestiert Fontane dem Lehrmeister Franz Mehrings Guido Weiß (am 14.8. 1889). Hier eröffne sich eine fast unbekannte Traditionslinie. Indem Fontane Weiß neben Ziegler u. a. rückt, werden Fragen der „altpreußischen Demokratie" erörtert. Man dürfe doch nie vergessen, daß die „vaterländischen" (deutschen) Hoffnungen, die mit Preußen verbunden worden seien, bis 1815 und weiter (zu den Befreiungskriegen und den Reformern) zurückreichten, weil damals Österreich die deutschen Hoffnungen nicht mehr zu verkörpern vermochte. Der Schlüssel zum Problem einer vaterländischen Wirkungsvorstellung liege tatsächlich in der differenzierten Aufhellung bestimmter Leitlinien. Freilich, so Richter, gehöre dazu ein breiterer historischer Ansatz, um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit anderen preußischen Demokraten (Patrioten) für die 60er und 70er Jahre genau fassen zu können. Dies muß als Ergänzung willkommen sein, verlangt aber auch eine Berücksichtigung der Ebenen, auf denen solche Fragen diskutiert werden. Während andere politisch agierende Persönlichkeiten gewissermaßen ein Konzept vom Zeitgeist entwerfen, ringt Fontane um eines für den zeitgenössischen Schriftsteller. Die soziale Realität steuert schließlich beide — und läßt sie sie auch
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