überwinden. In den 60er Jahren freilich glaubt Fontane noch, daß, schüfe man den Adel ab, auch der letzte Rest von Poesie verschwände. So gewann die Debatte an methodologischer Weite und sie verwies erneut darauf, wie noch im Spätwerk (mit radikaler Entgegensetzung der welthistorischen Perspektive) ältere Konzepte nachwirkten. Richter verwies auf diesen Wandel, und man war sich darin einig, daß keine der jüngsten Biografien mit einer „Finalstruktur" (alles kam, wie es kommen mußte) der gebotenen Dialektik von Kontinuität und Diskontinuität entspräche. Die Jahre von 1850—1870 verdienen auch nach den gründlichen Untersuchungen von Helmut Nürnberger und Charlotte Jolles biografiegeschichtliches Interesse. Hierbei kann die Ausweitung des Untersuchungsfeldes auf „literarisches Leben" hellem Hatte Roland Berbig die erste Entwicklungsphase des Rütli untersucht, in dem neben Fontane Franz Kugler, Wilhelm von Merckel, Theodor Storni u. a. agierten und versuchten, durch einen Zeitschriftenprojekt (die „Argo") die unbefriedigenden Öffentlichkeitsverhältnisse in Preußen zu unterlaufen, so beleuchtete Michael Masanetz den poetologischen Standort der Werke dieses Zeitraumes in der zeitgenössischen Kritik. Überraschende neue Einsichten in bekannte Texte Fontanes traten dadurch hervor, daß diese Texte als Teil der theoretischen Debatte dieser Zeit erschienen. Der Rahmen erstreckte sich von Robert Prutz' „Deutschem Museum" über die „Grenzboten" Julian Schmidts bis zu den „Unterhaltungen am häuslichen Herd", für die Karl Gutzkow verantwortlich zeichnete. In jenen Jahren habe auch Fontane um ein neues Poesieverständnis gerungen, in dem Wege feuilletonistischen Schreibens und neue Möglichkeiten für subjektive Authentizität ausprobiert worden seien. Der Referent hob das Gespür Karl Gutzkows hervor, in Fontanes England-Büch (1854, „Ein Sommer in England") zu entdecken, was die frühe novellistische Prosa wie etwa „Tuch und Locke" (geschrieben für die „Argo", 1854) noch vermissen ließ: literarische Individualität. Ebenso wie Grawe (und von anderem Material her als Wülfing) suchte Masanetz in den scheinbar weniger kunstliterarischen Erzeugnissen charakteristische Züge und Bezüge aufzudecken, die mit einer allmählichen Neuorientierung im literarischen Leben im Zusammenhang stehen. Die immer noch vorherrschende Festschreibung von Trennwänden zwischen den Gattungen ohne Blick auf die Medien und Publikumsbeziehungen wurde einmal mehr problematisiert.
Verbindungslinien zwischen Fontane und „englischen Erfahrungen" im Bereich der Unterhaltungskünste und der Unterhaltungskünstler zog Helen E. Chambers, wenn sie die kaum bekannten Äußerungen Fontanes über Smith und Cumming in viel zeitgenössisches Umfeld einbettete (einschließlich der Biografie der Autoren und ihrer Marktabhängigkeit). Auch Beatrix Kampei, die von Fontanes Beiträgen in der „Gartenlaube" ausging, rückte mediale Gesichtspunkte für Prosaklischees so in den Vordergrund, daß Relativierung möglich wurde, Fontanes Entwicklung sichtbar wurde als die eines Autors, der sich der gängigen Strukturen bediente. In diesem Untersuchungsfeld wurde der Beitrag von Frederick Betz schmerzlich vermißt, der in einem weiten Aufriß Forschungsbericht und exemplarische Analyse angekündigt hatte. Der Autor erkrankte, die Tagung sandte ihm freundschaftlich-kollegiale Grüße und Genesungswünsche. Seine umfangreichen Vorarbeiten versprechen, in den nächsten Jahren fruchtbar zu werden — ähnlich wie die ersten Ergebnisse,
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