Anita Golz unterbreitete hochinteressantes, nur wenigen zugängliches, geschweige denn bekanntes Material über Zustand(Überlieferung) und Arbeitsspuren der Fontaneschen Gedichthandschriften. Seit Jahren wird im Aufbau- Verlag an der ersten umfassenden Gedichtausgabe gearbeitet, und es ist schwer zu beschreiben, was sich da an Korrekturen, Neudatierungen und Funden auf den Rückseiten anderer Materialien fand. Erscheint diese Ausgabe, so kann das große, bis heute nicht geschriebene Kapitel (Buch) .Der Lyriker Fontane" in Angriff genommen werden. Natürlich gibt es Vorarbeiten, sehr verdienstvolle sogar für einige wenige Werkteile, aber weder die Gesamtschau war bisher möglich, noch ließ sich über diese Gedichte, ihre Fassungen und Entwürfe derart viel über Datierungen, mithin Entstehungsfragen und über Umarbeitungsfragen als auch über neue Poesiekonzepte im Kontext anderer Werkteile sehen. Die Editoren schaffen neue Grundlagen, die Einbeziehung des Materials in die Gesamtdarstellung der Werkentwicklung kann nur in komplexem Vorgehen erreicht werden. Und auch die Prosa-Arbeiten werden auf neue Weise der Kritik zugänglich. Hochverdienstlich ist die zur Konferenz vorgelegte Spezialuntersuchung von Domenico Mugnolo (Druck mit Hilfe der Deutschen Staatsbibliothek 1985), die sich „Vorarbeiten zu einer kritischen Fontane-Ausgabe" nennt. Schon jetzt ist eine weiterführende Debatte um Editionsmodelle und deren Nutzung ausgelöst worden, wie sie auch in Heft 43 und 44 dieser Zeitschrift geführt wird. Was Mugnolo wie Anita Golz über die philologische Arbeit hinaus anbieten, sind ganz fruchtbare neue Einsichten in Fontanes Arbeitsweise. Daß diese die Biografie eines Künstlers in besonderem Maße bedienen, bedarf sicher keiner Hervorhebung. Es darf aber wohl erwähnt werden, daß die künstlerischen Momente und Poesiekonzepte mit den historischen Bedingungen des „literarischen Lebens" ein wechselndes Spannungsfeld bilden, aus dem die zeitgenössischen und die gegenwärtigen Wirkungen der großen Realisten ihre Impulse empfangen.
So viele Fragen auch diese Tagung offenlassen mußte, sie hat mit den hier nur sehr unvollkommen skizzierten Beiträgen u. E. einen neuen Ansatz und sehr wertvolles Material für die komplexe Erarbeitung der Biografie angeboten. Der engagierte preußisch-patriotische Schriftsteller Fontane, der sogenannte mittlere Fontane der Jahre 1855—1875, bezeichnet, eine wichtige, weil lebenslang nachwirkende Station, die mit den Umständen nachrevolutionärer Entwicklungen in Preußen-Deutschland zusammenhängt. Als Konzept ist diese Position Fontanes erworben und schließlich auch verworfen worden. Die Umbrüche, wie sie sich auch in der Abb. auf Seite 511 dieses Heftes dokumentieren, sollten zu Kernzonen der Forschung werden, weil sie reiche Aufschlüsse über Fontane und das neunzehnte Jahrhundert erwarten lassen. Wenn Fontane später vom „Stechlin" sagt, daß dieser Roman „die Wurst" nur vom anderen Ende her anschneide, so darf auch diese Äußerung seines vielgestaltigen Werkes auf den ersten noch „vaterländischen" Roman und seinen Autor bezogen werden (an F. Paulsen, 29. 11. 1897). s
Vom Vormärz-Lyriker und radikalen Demokraten zum kritischen Gesellschaftsschriftsteller (so Hans-Heinrich Reuter) führt kein direkter Weg. Freilich, Wege und Umwege Fontanes und seiner Zeitgenossen sind die Wege (und Gestaltungskonzepte) hin in einen neuen doppelten Widerspruch: Während noch Adel und Bourgeoisie sich in Bündnis und zeitweiliger, Konfrontation
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