Romane und Novellen eine stark summarische Beschreibung, die nichts Überraschendes bietet und nur ungenau auf die eigentliche Leistung des Erzählers Fontane eingeht.
Um ein Beispiel herauszunehmen: im Zusammenhang mit „Irrungen, Wirrungen" behauptet Sichelschmidt, Fontane habe in dieser Geschichte ein Verhältnis „zwischen Angehörigen sozial heterogener Stände (thematisiert), das unsere Literatur bis dahin wohlweislich ausgesperrt hatte." (S. 273). Die zum Teil unsäglichen, für die Fontane-Forschung aber nicht uninteressanten Erzählungen und Romane, die den Unterhaltungs- und Familienzeitschriften jener Zeit eine stabile Abonnentenschar sicherten, widerlegen diese Behauptung schlagend. Und ob sich Fontanes literar-strategisches Verhalten, das ihn zur Schilderung der Liebesbeziehung zwischen Lene und Botho bewog (einschließlich deren Publikation in der Vossischen Zeitung), tatsächlich als ein „Vorpreschen" charakterisieren läßt, „um Heuchler und Sittenrichter in der notwendigen Auseinandersetzung zwischen Standesdünkel und gesellschaftliche Vorurteile in die Arena zu locken" (S. 274), muß angesichts der Textfassung und der Rezeptionsgeschichte entschieden bezweifelt werden.
Die Bibliographie, mit der das Buch abschließt, bestätigt, was die Darstellung vermissen läßt: auf die neuere und neueste Literatur zu Fontane ist im wesentlichen verzichtet worden. Daß die Fontane-Blätter, immerhin schnell reagierendes Organ im Zentrum der Forschung über den Dichter, in der Zusammenstellung nicht auftauchen, erklärt im Nachhinein eine Reihe von Aussparungen, Leerstellen und die — das gilt für die Biographie als Ganzes — augenfällige Materialarmut.
„Die Frage nach den verbindenden und Einheit bildenden Momenten in Theodor Fontanes Persönlichkeit und Werk löst nach wie vor Verlegenheit aus" — zu diesem Resümee war Aust seinerzeit gekommen. Die Fontane-Arbeitstagung im Sommer 1986 rückte das komplizierte Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität in Fontanes Biografie in den Mittelpunkt der Forschungen für die nächsten Jahre. Die Lösung, die Gustav Sichelschmidt anbietet (bei aller Akzeptanz hinsichtlich des Verlagskonzepts u. ä.) dokumentiert, in welch geringem Maße das Problembewußtsein der Spezialforschung die allgemeine Auffassung von Fontane und seinem Werk tangiert hat. Die Notwendigkeit einer les- und handhabbaren Fontane-Biographie, die möglichst viele Leser befriedigt, hat sich mithin nicht erledigt.
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