Christian Grawe: Theodor Fontane: Effi Briest. Frankfurt a.'M., München, Berlin: Diesterweg, 1985 (Grundlagen und Gedanken zum Verständnis erzählender Literatur) [Rez. Carola Pohlmann, Berlin]
In der von Hans-Gert Roloff im Diesterweg-Verlag herausgegebenen Reihe „Grundlagen und Gedanken zum Verständnis erzählender Literatur" erschien 1985 ein Band über Theodor Fontanes Roman „Effi Briest". Auf knapp 130 Seiten hat der Autor Christian Grawe (Fontane-Kennern besonders vertraut durch seine Publikation „Führer durch die Romane Theodor Fontanes", Frankfurt a. M„ 1980) eine Fülle von Informationen über Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte, Symbolgehalt und Figurenensemble zusammengetragen.
Im ersten Teil des Buches, den er „Allgemeine Grundlagen" nennt, versucht Grawe, Fontanes Roman in das historische und literarische Zeitgeschehen einzuordnen. In diesem Zusammenhang sind seine Vergleiche zwischen „Effi Briest" und anderen Ehebruchromaneß des. 19; Jahrhunderts aufschlußreich. Grawe zieht Parallelen zu Goethes „Wahlverwandtschaften", Flauberts „Madame Bovary", Tolstois „Anna Karenina* und zu Friedrich Spielhageris Roman „Zürn Zeitvertreib", der ebenfalls das Schicksal der Elisabeth von Ardenne behandelt. Grawes Aussagen stützen sich im ersten Kapitel auf gesicherte Forschungsergebnisse. Er beschränkt sich jedoch nicht auf das bloße Referieren literaturwissenschaftlicher Fakten, sondern macht sie durch zahlreiche Zitate und Kommentare plastisch.
An die Darstellung der theoretischen Grundlagen schließt sich ein sorgfältig aufbereiteter Wort-und Sachkommentar an."
Der dritte und vierte Teil beschäftigen sich'mit dem Text des Romans. Breiten Raum nimmt bei Grawe die Erläuterung der von Fontane verwendeten Symbole ein. Durch die detaillierte Analyse der Gestaltungsmittel macht der Autor die enge Verknüpfung der verschiedenen Textteile deutlich. Allerdings entsteht bei der Lektüre seines Buches der Eindruck, daß geradezu jeder Baum, Anzug, Schleier oder Wagen eine über sich selbst hinausweisende Bedeutung hätte. Eine solche „symbolische Totalität" ist sogar bei einem Autor wie Theodor Fontane unwahrscheinlich, und einige der hier aufgestellten Thesen halten einer genaueren Prüfung wohl nicht stand.
Trotzdem bin ich der Meinung, daß Christian Grawe mit seiner bis ins einzelne gehenden Analyse ein sehr produktives, weil zum Weiterdenken anregendes Verfahren anwendet. Er verfolgt den Gang der Handlung von Kapitel zu Kapitel und weist jeder' Szene ihren Platz im Romangefüge zu. Die kompositorische Geschlossenheit des Fontane-Romans ist selten so überzeugend gezeigt worden.
Einen der Hauptvorzüge des Buches sehe ich in dem ausgewogenen Verhältnis von sachlicher Darstellung und persönlichem Engagement des Autors. Grawe ist ebenso fachkundiger Literaturwissenschäftler wie Fontane-Liebhaber. Die Sympathie für den großen Romancier prägt seine Urteile mit, läßt ihn aber auch die Schwächen Fontanes erkennen. '
583