Linksrheinisch.
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Dies alles stand ihr in nächster Zeit wieder bevor, und der Gedanke daran beruhigte ihr Inneres so völlig, daß sie ihr Vorhaben, mit der Gärtnerstochter zu reden, nicht länger verschob; sie läutete ihrer Jungfer, und ein paar Minuten später stand die nette, kleine, dunkeläugige Bäuerin vor dem Fräulein des Hauses. Dieses hielt dem Mädchen eine wohlverdiente kleine Strafpredigt wegen ihres Verkehrs mit dem deutschen Ofsiziersburschen, forderte ihr Ehrgefühl heraus und bemühte sich redlich, in dem sehr gleichmütig dreinschauenden Geschöpf ein Gefühl des Patriotismus zu erwecken. Theres fagte nach jedem Satz, den das Fräulein sprach: „Ja, Mamsell," und blieb dabei, obgleich sie wiederholt anfgefordert wurde, französisch zu sprechen. In Wahrheit verstand sie kein Wort.
Die Gärtnersleute bewohnten erst seit kurzem das Portierhäuschen an: Eingang von Monsieur Merkles Garten. Der Mann hatte als französischer Husar den siebziger Krieg mitgemacht und war dann als Invalide in sein Heimatstädtchen zurückgekehrt. Der Fabrikherr nahm sich des ehemaligen Arbeiters an und schickte ihn als Verwalter auf sein kleines Jagd- fchlößchen in den Vogesen.
Die Bauern auf den: Lande sind unabhängiger als die Fabrikstüdter; sie haben keine Vorgesetzten, nach deren Gesinnung sie sich richten müssen; dem ehemaligen Husaren war in den: friedfertigen Dörf- lein, das das kleine Schloß umgab, allgemach aller Haß und Groll gegen die Ueberwältiger abhanden gekommen. Dazu trug viel der Umgang mit den: Lehrer bei, dessen treuherziges Schwarzwälder Deutsch den Elsässern verwandt klang. Die Kinder hingen ihren: Schullehrer an, und ehe man sich's versah, wuchs da unter seinen Händen ein junges deutsches Völklein heran, das aus voller Kehle die alten deutschen Weisen sang, ohne sich weiter etwas dabei zu denken. Einzig allein den: Takt, der Volks- kenntnis dieses Mannes war die friedliche Wendung der Dinge zu danken. Er saß im Wirtshaus mitten unter den alten französischen Veteranen und den jungen deutschen Rekruten und hatte es mit der Zeit dahin gebracht, daß sie ihre entgegengesetzten Meinungen ohne alle Händel austanschten und ihre militärischen Ansichten mit einem gewissen Humor gegeneinander ins Treffen führten.
Jean, der Sohn Gilberts, des Verwalters, war bis zu seinem zwölften Jahre in diese Schule gegangen; dann kam er nach Straßburg aus ein Gymnasium; sein Vater gab vor, einen Freiplatz von dort erhalten zu haben.
Mit achtzehn Jahren kehrte der junge Mensch von: Gymnasium zurück und fand seine Familie statt in den Vogesen in: Portierhänschen des Monsieur Merkle. Der ließ den jungen Mann ans sein Bureau kommen; er sah verschlossen aus, hatte eine nachlässige Haltung und kluge, tiefliegende Augen.
Der Fabrikherr stellte allerlei Fragen an ihn; was er zu thun gedenke, für welchen Beruf er sich interessiere?
Jean erklärte, er habe nur den einen Wunsch, so bald wie möglich selbständig zu werden und Geld zu verdienen.
„Warum?" fragte Monsieur Merkle.
„Die Eltern sollen v jetzt schön haben," gab der junge Mann zur Antwort.
Der Fabrikherr, der den jungen Menschen die ganze Zeit über nicht aus den Augen gelassen, senkte plötzlich den Blick, indem er drei-, viermal: „Hm so! — hm so!" hervorstieß. Er that das immer, wenn irgend eine Rechnung, die er in seinen: Innern gemacht hatte, nicht ganz stimmte.
„Hören Sie meinen Vorschlag," redete er den jungen Gilbert an, „treten Sie in meine Fabrik ein; Sie können keinen vorteilhafteren Weg Zur Selbständigkeit einschlagen. Bedingung: daß Sie als Arbeiter anfangen, mit den Leuten verkehren und sie kennen lernen. Dies wird Sie in Zukunft sowohl vor Grausamkeit als vor Sentimentalität bewahren."
Schon nach einem Jahre wurde Jean Spinnereimeister; er war ein so außerordentlich tüchtiger und streng thätiger Mensch, daß sein rasches Vorwärtskommen niemand wundernehmen konnte. Allein trotzdem er jetzt ein wohlbezahlter junger Mann war, rauchte er nicht eine Zigarre mehr als sonst, und nie sah man ihn in: Wirtshaus oder mit andern Burschen zusammen. Er saß immer zu Hause, las nach den: Abendessen in einem Band Weltgeschichte und ließ die Seinen reden. Nur manchmal, wenn seine Mutter, eine rasche, lebhafte Frau, die ihn: so unähnliche Schwester tadelte oder ohrfeigte, ergriff er lebhaft deren Partei mit den Worten:
„Laß sie doch, sie soll lachen und schwatzen, so viel sie mag, und sich keinen Zwang anthun."
Das brauchte man der leichtblütigen Theres nicht auch noch anzuempfehlen. Kaum erblickte sie an: Abend desselben Tages, an den: sie von Mademoiselle Jeanne ausgezankt worden war, ein paar rote Achselklappen hinter dem Gitter des Nachbargartens, als sie auch schon ihre Gießkanne beiseite stellte und mit einem „Pst! Pst!" sich dem Gitter näherte. Der Bursche folgte den: Appell, und als er vor dem Mädchen stand, das ihn lustig anlachte, fragte er mit einen: gewissen Mißtrauen:
„Sin Ihr nit au so e verfluchte Französe an: End'?"
„Eh nei," verwahrte sich Theres, „mine Mamsell hät mir eba e Längs und e Breits uf Französisch g'sagt, und i Hab' sie kei Wörtle verstanda; i ka nur dütsch; wo sei: denn Ihr d'heim?"
„E Wälder bin i," sagte er, „ns em Hanen- steinische drübe, im Schwarzwald, aber 's g'fallt mir nüt bi euch."
„Eh, warum nit," fragte sie, „parliere mer nit die nemlich Sproch als ihr? Und singe kanne mer oi:
,Deutschland, Deutschland über alles —
Hub sie an, der Bursche fiel mit seiner ungeschlachten Stimme ein, und indem sie sangen, sahen sie sich voller Vergnügen in die Augen, als plötzlich ein heftiges Geklingel ans dem Boudoir von Mademoiselle Jeanne die Ahnungslosen verstummen machte.
Au: andern Morgen schickte Jeanne Zu Monsieur Martelet und ließ ihn: sagen, sie erwarte ihn mit den: Kapitän und zwar so bald als möglich.