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Ucker Land und Weer.
Die beiden alten Hausfreunde traten zu gleicher Zeit bei Mademoiselle Jeanne ein; sie kam ihnen mit vor Erregung lebhaft geröteten Wangen entgegen, fiel jedoch nicht mit der Thür ins Haus, sondern Lat die Herren, Platz zu nehmen, lächelte über ein Kompliment, das Martelet nicht umhin konnte, ihr zu Füßen zu legen, und dann erst kam sie aus die schwere Beleidigung Zu sprechen, die ihr durch die Nachbarschaft zugefügt worden war. Deutsche Lieder, herausfordernde deutsche Baterlandslieder hatte man aus Bosheit unmittelbar am Gartengitter gesungen. „Und Papa," setzte Jeanne mit einem leisen Zittern der Stimme hinzu, „Papa sieht leider nicht ein — ist nicht zu überzeugen — er will diesen Fremden nicht gehen heißen, und so bleibt mir nichts übrig, als Sie, meine Herren, um Ihren Beistand zu bitten."
Martelet war schon auf den Füßen; er wolle augenblicklich hinüber, und wenn dieser Barbar nicht sofort bereit sei, das Feld zu räumen, so fordere er ihn aus Tod und Leben.
„Nein, nein," unterbrach ihn Jeanne, „bitte, Herr Kapitän, Helsen Sie mir — es darf nichts Ausfälliges geschehen, vielleicht wenn Sie an die Ehre dieses Deutschen appellierten, vielleicht wenn Sie ihm sagten — schieben Sie alles aus mich — sagen Sie einfach, ich sei untröstlich, in so naher Nachbarschaft mit einen: Fremden wohnen zu müssen, oder- besser, bitten Sie ihn, mir den Gefallen zu erweisen —"
„Mademoiselle Jeanne," unterbrach sie der Kapitän, aber Martelet zog ihn schon an: Arm zur Thür hinaus.
„Keine Reden, keine Reden, handeln wir, mein Freund."
Sie gingen hinüber, Martelet voraus, mit einem so unternehmenden Gesichtsansdrnck, daß der Kapitän eben bei sich selbst überlegte: unter keiner Bedingung gebe ich zu, daß sich Martelet schlägt — als dieser auch schon mit dem liebenswürdigsten Lächeln vor den: deutschen Offizier stand, der ihnen die Thür öffnete.
Hauptmann von Dumont empfing seine Gäste ohne eine Spur von Erstaunen oder Befangenheit und geleitete sie in sein Zimmer.
„Sie sehen, meine Herren, ich habe es mir schon behaglich gemacht."
Und wie vergnügt er das behauptete; Martelet hätte fast hell ausgelacht, denn seine kleinen, lebhaften Augen hatten in: Nn den ganzen Raum überschaut, der allerdings einen höchst merkwürdigen Begriff von Behaglichkeit erweckte. Von den drei Tischen, die herum standen, schien jeder seine besondere Bestimmung zu haben; der eine war gedeckt wie zun: Speisen, der andre ganz überladen mit Büchern, Zeitungen und Briefmappen, auf den: dritten stand ein kleiner Petroleumherd und allerlei Kochgeschirr. An den Wänden hingen ii: schöner Eintracht mit Pfeifen und alten und neuen Offiziersmützen Küchenschürzeu, Kochlöffel und Zimmergerätschaften. In der Ecke über den: Klavier thronte die Venns von Milo.
Monsieur Martelet wendete sich von der Betrachtung der Einrichtung an den Menschen, der dor
thin saß, und den: es nicht in: Traun: einzusallen schien, daß der Besuch eine andre als angenehme Ursache haben könne. Er freute sich, seine Nachbarn kennen zu lernen, erzählte, daß er die Bekanntschaft von des Kapitäns Hündchen gemacht habe und sich auch des täglichen Besuches einer sehr- schönen Katze aus des Fabrikanten Hause erfreue.
„Ich habe eine große Liebe für Tiere," setzte er hinzu; „wenn es die Herren interessiert, kann ich Ihnen zwei hübsche Schildkröten Zeigen, die äußerst zuthunlich sind. Ich werde nur Bienen halten und Tauben und überhaupt das Leben eines Landwirts führe::, solange ich Bezirksofsizier bin. Eine kleine Quetschung des Schienbeins bei einem Sturz mit dem Pferde ist die Ursache meines Hierseins."
Martelet, der seinen: Freunde ansah, daß er daraus brannte, mit der wahren Ursache seines Besuches herauszurücken, kan: ihn: schnell zuvor, indem er die Frage an den deutschen Offizier richtete:
„Pardon, Monsieur, aber was thut denn dieser kleine Herd in Ihren: Zimmer?"
Dumont lächelte: „Das ist ja gerade das Schöne, kein Wirtshausessen inehr, kein Kasino - Hausmannskost; ich habe die Davidis."
„Eine Köchin?" erkundigte sich Martelet.
„Eine ausgezeichnete, die man in seinem Koffer mit sich führen kann."
Er hielt dem Franzosen ein Buch hin.
„Das ist meine Köchin; jeden Mittag und jeden Abend wird ein Gericht gekocht nach irgend einen: Rezept aus diesen: Buch; mehr braucht der Mensch nicht, und meistens ist unser Machwerk ausgezeichnet."
„Scharmant! Scharmant!" rief Martelet ans, „Sie scheinen kein so strammer Herr zu sein wie Ihr Vorgänger."
„Wie meinen Sie das?" fragte Tnmont.
Nun nahm der Kapitän, der schon lange darauf brannte, das Wort: „Der Herr gab einen: kleinen Knaben eine Ohrfeige, weil er französisch sprach."
„Hm, das thut mir leid," sagte der Hauptmann.
Den: Kapitän bebten die Nasenflügel: „Und die Ursache, weshalb wir hier sind — es sind deutsche Lieder an: Gartengitter gesungen worden — mit Absicht natürlich!"
„Glauben Sie das nicht," unterbrach ihn der Hanptmann, „mein Bursche, der hat gesungen, wie jener Knabe französisch sprach — aus Gewohnheit; ich kann beides nicht schlimm finden."
„Ich auch nicht," rief Monsieur Martelet ans, „wozu sich das Leben unnötig verbittern?"
„Ich gedenke es hier in: Gegenteil sehr zu genießen," sagte der Hauptmann. „Ein Häuschen allein zu bewohnen mit einen: Garten, in dieser wunderbaren Stille, die Berge vor der Thür, was kann der Mensch sich Besseres wünschen? Aber ich verspreche, meine Herren, der Bursche soll, wenn er singen will, aus seine Bude gehen oder in den Wald; nur freilich, die deutschen Lieder kann ich ihn: nicht verbieten, da er in keiner andern Sprache Zu singen vermag. Uebrigens werde ich selbst zu Herrn Merkle hinübergehen und seine Damen um Entschuldigung bitten."