Issue 
(1897) 13
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Ueöer Land und Meer.

Tisch, nur eine großmächtige Kaffeekanne; ich schau' ein wenig hinein nun ja, guter schwerer Wein ist drin, wie er bei mir nicht täglich auf den Tisch kommt. Und haben sie glücklich ihren ganzen schönen Verdienst durch die Gurgel gejagt, so nennen sie's Arbeiterelend. Drum rechne ich so: Zucht, strenge Zucht, die allein schafft tüchtige Menschen."

Es muß aber auch heitere geben, liebenswürdige, fröhliche," meinte der Hauptmann,nicht allen ist die Rute Zuträglich glauben Sie mir, Herr Merkle."

Ich glaube überhaupt nichts als das, was ich sehe, und das nicht einmal," fiel ihm der Nachbar ins Wort.Lachen Sie nicht, ich bin ganz gut bei diesem Grundsatz gefahren; Sie hätten gewiß jene Kaffeekanne, die so ehrbar auf dem Tisch stand, für eine brave Kaffeekanne gehalten, es war aber Wein drin. Wenn man recht zuschaut im Leben, so erfährt man, daß es überhaupt eine ungeheure Betrugs­anstalt ist, und inan thut wohl, sich von vorn­herein aus das Schlimmste gefaßt zu machen; das ist die beste Rechnung, die immer stimmt."

Es könnte aber auch einer ganz die entgegen­gesetzten Erfahrungen gemacht haben," meinte der Hauptmann,wie dann?"

Haben Sie Ihre Erfahrungen untersucht?" fragte Monsieur Merkle,wissen Sie bestimmt, daß Sie nicht Schwarz für Weiß und Weiß für Schwarz genommen haben?"

Ich weiß nur, daß ich von klein auf recht ans die Güte der Menschen angewiesen war, und daß es mir immer gut gegangen ist. Ich bin früh ver­waist gewesen; man steckte mich ins Kadettenhaus. Wenn nun die Ferien herankamen, so war ich der einzige, der niemand hatte, aus den sich weder ein Vater noch eine Mutter freute. Aber das ist mir kaum zum Bewußtsein gekommen, denn unter meinen kleinen Kameraden entstand jedesmal ein wahrer Wettstreit, welcher von ihnen mich in den Ferien mit nach Hause nehmen dürfe. Ich lernte so das Familienleben unter allen möglichen Verhältnissen kennen, ich fand es wunderschön, denn nie hat es mich je ein Mensch empfinden lassen, daß die Freuden, die ich genoß, mir ja eigentlich nicht Zukamen. Sie dürfen es mir also nicht verdenken, wenn ich an das Gute im Menschen glaube und, statt mit dem Schlimmsten zu rechnen, einfach auf meinen guten Stern vertraue."

Unsinn!" fuhr Monsieur Merkle auf.

Glauben Sie an die Unfehlbarkeit Ihrer Be­rechnungen ?

Unbedingt."

Sehen Sie, das halte ich für Unsinn."

Monsieur Merkle lachte kurz auf; es war ihm plötzlich etwas in den Hals gekommen, er räusperte sich, grüßte und schoß davon.

Wie schade, dachte Jeanne in ihrem Hüttchen, wie manches könnte man doch von der Welt lernen, wenn unsre Herren auch von andern Dingen als Baumwolle und Jagd zu plaudern verständen.

Sie hörte ihre Katze drüben im Nachbarsgarten miauen und trat rasch ans Gitter, um ihr zu rufem

Mit Bichette kam auch der Hauptmann; ganz un­befangen trat er heran, als sei das völlig in der Ordnung, begrüßte das Fräulein, während ihm die Katze zutraulich um die Beine strich, und zeigte nicht die geringste Verlegenheit, obwohl seine Hände ganz erdig waren.

Da haben Sie ja unsern Goethe," sagte er freudig,find Sie schon sehr weit damit? Haben Sie gelesen, welchen Eindruck ihm das Münster gemacht, und ist es nicht wunderbar, wie er einzig durch seine genaue Beobachtung erkannte, daß der eine Turm nicht ausgeführt war und ihm etliche Turmspitzen fehlten?"

Ich danke Ihnen für das Buch," sagte Jeanne, ich darf es Ihnen wohl hier Zurückgeben."

Sie können doch unmöglich schon fertig damit sein?"

Nein, ich"

Dann nehme ich es auch nicht zurück; wirklich, mein gnädiges Fräulein, lernen Sie unsern Goethe kennen; es ist freilich nicht so leicht, seine einfache Größe und Tiefe machen Ansprüche an den Leser; ein oberflächlicher Mensch wird ihn einfach lang­weilig finden; mir ging's auch so im Anfang, aber man muß nur ausharren, mit einemmal fühlt man, wie das Verständnis wächst, und dann läßt es einen nie wieder los."

Wie haben Sie nur preußischer Offizier werden können?" fragte Jeanne.

Der Hauptmann sah sie mit seinen sonnigen, braunen Augen lächelnd an:Das leidige Vorurteil! Wissen Sie, mein gnädiges Fräulein, in jeder Uniform steckt ein Mensch, der feine ureigne Natur hat, seine Anlagen im guten und bösen Sinne. Die

gemeinsamen Lebensbedingungen und die dazu ge­hörenden Formen machen uns äußerlich ähnlich. Aber in allen Kreisen herrschen gewisse Formen, geben Sie nur einmal acht; in Wahrheit sind sich die Menschen überall gleich."

Jeanne sah vor sich hin:Man weiß sich so manches zu erzählen, wie unbillig, wie hart oft diese Fremden gegen uns Vorgehen, weil wir uns zurück­halten, weil wir noch heute denken wie vor fünf­undzwanzig Jahren. Ich werde nie anders denken."

Was sind fünfundzwanzig Jahre!" entgegnete der Hauptmann.Jenseits des Rheins, im Hanenftein- fchen, wohnt ein Völklein, das hängt noch heute mit allen Fasern seines Herzens am Hause Oester­reich, dem es einmal, es sind bald hundert Jahre her, zugehört hat Ihre Stammesverwandten, gnädiges Fräulein; ich, ein geborener Freiburger, zähle auch mit dazu. Das arme Elsaß hat von jeher unter der Zähigkeit seiner alemannischen Treue zu leiden gehabt, das ist doch schöner, als wenn es ein wetterwendisches Volk wäre."

Jeanne bekam einen plötzlichen Schreck; das ging doch nimmermehr, daß sie, wie ihr Vater, hier am Gartengitter lange Gespräche mit dem Nachbar führte! In ihrer Verlegenheit rief sie noch einmal nach ihrer Katze, neigte flüchtig das Haupt und schritt mit ihrem Buch davon. Sie schalt mit sich selber, daß sie abermals die Gelegenheit hatte vorübergehen