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Die cheschichte vom kleinen Arlecchino.
saß im Halbdunkel der Lampe, seine Beine lagen im Schatten, sein Gesicht war auch nicht deutlich zu sehen. So machte er denn durchaus den Eindruck eines großen, schwarzen, auf die Spitze gestellten Eies, und dieser Gedanke kam Lala plötzlich so überwältigend, daß sie ihm mit einem Male ins Gesicht lachte.
Da wurde er dunkelrot und begann zu schluchzen oor Wut. Er sprang auf; seine langen Arme schlotterten am Körper hinab, und die Hände ballten sich krampfhaft zur Faust. Und nachdem er eine Zeitlang so gestanden, ein Bild der verzweiflungs- vollen Wut, mit der ein Mörder sein Todesurteil hört, da sagte er leise und von schweren Atemzügen unterbrochen:
„Und ich bin nur deinetwegen Arlecchino geworden ..."
Dann ging er hinaus, ohue eine Antwort abzuwarten.
Lala wußte die ganze Nacht nicht, ob sie sich amüsieren oder schämen sollte. Schlafen konnte sie nicht, sie war Zu aufgeregt dazu. Er war doch ein so sonderbarer Mensch, wie sie in ihrem Leben noch keinen kennen gelernt hatte.
In der nächsten Zeit redete sie öfter mit ihm, nachdem sie ihn am folgenden Tage — mit abgewandtem Gesicht — nur Verzeihung gebeten hatte. Da begannen aber ihre Kollegen und Kolleginnen und besonders auch die Herren, die sich hinter den Coulissen Herumtrieben, über ihren „guten Geschmack" zu witzeln und sie mit dem Arlecchino zu necken, so daß sie vor Wut manchmal hätte weinen mögen. Das wurde von Tag Zu Tag schlimmer.
Verteidigen konnte sie ihn ja nicht. Es wäre zu dumm gewesen; was konnte sie dafür, daß er so komisch war? Und die Witze über ihn paßten alle so ausgezeichnet! Warum sollte sie ihn nicht gerade so auslachen wie alle andern?
Das that sie denn auch, und sie amüsierte sich manchmal königlich mit ihren Freundinnen und einigen Herren, die sich sehr für sie zu interessieren schienen und ihr oft allerlei kostbare Sachen schenkten. Nur wenn sie mit ihm gespielt hatte, dann war es niemand möglich, sie noch für den Abend genießbar zu machen.
Der Arlecchino schien übrigens ganz genau vou ihrem Leben Zu wissen und sie fortwährend zu beobachten. Im Theater Pflegte er jetzt als Thema für feine Improvisationen die Eifersucht und die ohnmächtige Wut des verschmähten und betrogenen Liebhabers zu wählen. Darin war er fast noch lächerlicher und auch natürlicher als in feinen früheren Scenen.
Lala hatte feit dieser Zeit immer eine geheime Unruhe, ja beinahe Angst, mit ihm zu spielen. Denn sobald sie die Augen schloß oder sich so von ihm abwandte, daß sie ihn nicht sehen konnte, hatte sie das Gefühl, als ob er im vollen Ernst redete; und schon manchmal war sie nahe daran gewesen, wirklich zu weinen oder von der Bühne zu fliehen, und sie konnte sich dann nur dadurch wieder zur Vernunft bringen, daß sie ihn betrachtete. Dann war es ja klar, daß es kein Ernst sein konnte.
Eines Abends stand sie vor Beginn der Vorstellung hinter den Coulissen mit einem Herrn zusammen, der sie durchaus überreden wollte, mit ihm zu Abend zu essen, mit ihm ganz allein; sie würde sich schon amüsieren. Sie hatte nun durchaus nicht die Absicht, daraus einzugehen, denn das hätte doch sonderbar erscheinen können, allein mit einem Herrn zu Abend zu essen; und sie sagte ihm deshalb mit einem schnippischen Lächeln, das er natürlich als Zustimmung auffaßte: „Vielleicht!"
Da merkte sie erst, daß der Arlecchino aus der andern Seite stand und alles mit angehört hatte. Der faßte natürlich das „Vielleicht!" auch als Zustimmung aus. Aber was schadete das? Sie ging ja doch nicht daraus ein. Sie wunderte sich nur, wie blaß er aussah: beinahe wie eine Leiche, dachte sie, und es lief ihr kalt über den Rücken hinab.
Heute hatte sie wirklich Angst vor ihrer Scene — zum erstenmal in ihrem Leben; und dabei war doch gar kein Grund dazu da! — Das Publikum meinte, die beiden spielten besser als jemals. Diese Totenblässe des Hintergangenen Geliebten war einfach grandios, und die geheime Angst, die sich auf ihrem Gesicht spiegelte, war wirklich wunderhübsch. Und wie sie immer vermied, ihn anzusehen! Köstlich!
O, sie konnte diese Leichenblässe nicht ertragen; sie konnte ihn nicht ansehen! Wenn sie ihn doch lieber aufgeklärt hätte!
Und nun, wo sie ihn nicht sah, da schien es ihr wieder und von Sekunde zu Sekunde immer mehr, als ob er alles im Ernst spräche. Das war der Ton des verzweifelten Schmerzes, das wieder die Wut und dazwischen die flehende, ängstliche Liebe, die nichts von dem Entsetzlichen glauben will. — „Soll ich denn deinetwegen sterben?" sagte er in ergreifender Weichheit. Das Publikum donnerte heulenden Beifall. Aber Lala fing plötzlich an zu zittern, stieß einen furchtbaren Schrei aus und sprang vou der Bühne, wie vou gräßlicher Angst getrieben, mitten ins Parkett hinein.
Um zwölf Uhr ging der Arlecchino auf sein Zimmer. Er hatte über eine Stunde mit Lala gesprochen, und sie hatte bloß gesagt:
„Jetzt fürchte ich Sie nur noch."
Die Lampe auf seinen: Zimmer brannte die ganze Nacht. Sein Zimmernachbar, der Bonvivant —- es war eine Marotte vom Direktor, daß „die von Charakter ähnlichsten auch am nächsten bei einander wohnen" mußten — dieser Nachbar hörte ihn sehr lange weinen und dann einige Worte in einer fremden Sprache langsam und mit wunderbarer Betonung sprechen. Dann blieb alles still . . .
Aber die Lampe brannte noch, als die Helle Morgensonne zum Fenster hineinlachte. Aus dem Tisch in seiner Stube lag sein Tagebuch aufgeschlagen; das letzte, was darin stand, lautete: „Jetzt ist auch die Seele, die ich erweckte, gestorben. Ich folge ihr." Daneben lag ein versiegelter, dicker Brief „an Lala" und ein Pack Papiere: „Meine Personalien" und ein kleines, leeres Fläschchen. . .
Aus dem Bett aber lag der Arlecchino — tot. Jetzt sah er nicht mehr komisch aus. Ein unendlich