Heft 
(1897) 13
Seite
406
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Weöer Land und Weer.

Julius von Werther (Stuttgart, Verlag von Adolf Nonz L Co.) behandelt eine Liebesepisode, die sich zwischen dein Markgrafen Karl Philipp von Brandenburg, einem Stiefbruder des ersten Königs von Preußen, und der ver­witweten Gräfin Salmour abspielt. Markgraf Karl Philipp kommandierte die brandenburgifchen Hilfstruppen, die den Herzog Viktor Amadeus II. von Savoyen gegen Ludwig XIV. von Savoyen unterstützten, und starb bei einem Sturm auf die Festung Casale den Heldentod. Was an der von Julius von Werther geschilderten Episode historisch ist, kann ich nicht beurteilen. Der Roman hat die Spannung eines gut gemachten höfischen Jntriguenromaus, der das Interesse mehr durch die Ueberraschuugen der Handlung als durch die Feinheit der Charakteristik erregt. Markgraf Karl Philipp verliebt sich leidenschaftlich in die am Hofe des Herzogs von Savoyen lebende Gräfin Salmour, dir in ihrer ersten Ehe nicht glücklich gewesen ist und die Liebe des jungen Prinzen ebenso leidenschaftlich erwidert. Aber der Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg, der spätere König Friedrich I. von Preußen, des Markgrafen Bruder, weigert sich, seine Einwilligung zu der nicht ebenbürtigen Ehe zu geben, und fordert mit der Drohung, andernfalls seine Truppen abzuberufen, den Herzog von Savoyen ans, das Liebespaar zu trennen. Der Herzog entschließt sich erst zu Gewaltmitteln, als die Ehe bereits allerdings in ungewöhnlicher Form, deren Gültigkeit nicht zweifel­los erscheint geschlossen ist. Das Liebespaar wird ge­zwungen, sich zu trennen, die Gräfin Salmour muß ihren Aufenthalt in einem Franenkloster nehmen. Da erklärt sich die Kirche bereit, dem Paar ihren Schutz angedeihen zu lassen, wenn die Gräfin das Versprechen abgiebt, ihren ganze!: Einfluß dahin aufzubieten, den Markgrafen der katholischen Kirche zuzuführen. Die Gräfin entschließt sich dazu, weil sie in diesem Versprechen die einzige Möglichkeit zu sehen glaubt, den Geliebten wiederzugewinnen, trotzdem sie vorher dem Markgrafen die Versicherung gab, daß sie niemals den Versuch machen würde, ihn seiner Konfession abwendig zu machen. Markgraf Karl Philipp erfährt da­von und sieht darin eine Untreue der Geliebten, die sie nicht mit ihm vereinigt, sondern auf immer von ihm scheidet. In seiner Verzweiflung sucht und findet er den Tod in der Schlacht. Erst ein Brief, der den Schwerverwnndeten kurz vor seinem Ende erreicht, klärt ihn über die Motive auf, die die Gräfin zu ihrem Versprechen an die Kirche veranlaßten, und läßt ihn innerlich versöhnt mit der Ge­liebten aus dem Leben scheiden. In der Behandlung des Stoffes verrät Julius von Werther den routinierten Kenner der Bühne und den praktischen Bühnenleiter, der er Jahre hindurch gewesen ist. Es fehlt nicht an dramatischen Zu­spitzungen und Ueberraschungen, und das Dekorative, Scene und Kostüm jener Zeit, sind nicht nur mit großer Sach­kenntnis, sondern auch so eingehend behandelt, daß Deko­rationsmaler und Theaterfchneider recht wohl danach arbeiten könnten. Aber die Charakteristik kommt nicht viel darüber hinaus, daß die anftretenden Brandenburger brav, derb und zuverlässig sind den jugendlichen Markgrafen aus­genommen, der das Feiler und die Eleganz entwickelt, die dem jugendlichen Liebhaber ziemen, die anftretenden Italiener liebenswürdig, intrigant und unzuverlässig. Von dem Nuntius, der den Markgrafen Karl Philipp durch die Gräfin Salmour für die katholische Kirche einfangen lassen will, sagt Julius von Werther:Aus dem Auge des Nuntius blitzte wilder Haß. Ein polnischer Edelmann war er von dem Großen Kurfürsten außer Landes ver­wiesen worden, weil er sich an der polnischen Insurrektion beteiligt hatte. Sein Rachegefühl dereinstens zu befriedigen, war er Geistlicher geworden. Endlich schien ihm der Tag seiner Abrechnung gekommen zu fein." Das scheint mir ein etwas verfrühter polnischer Insurgent zu sein. Zur

Zeit des Großen Kurfürsten war Polen noch nicht verloren, sondern eine ganz ansehnliche europäische Macht, und vom Großen Kurfürsten etwa Ausgewiesene hatten es leichter, in Warschau, Stockholm, Kopenhagen, Dresden oder in Wien als in Rom den Tag der Revanche herbeizusehnen. Diesen polnischen Edelmann muß wohl etwas andres zum päpstlichen Nuntius gemacht haben als ein kurbranden- burgischer Ausweisungsbefehl.

Von N ichard Brcde nb r ü ck er liegt ein neuer Band Tiroler Novellen vor, der den Titel der erstenI bin a Lump und bleib' a Lump" als Gesamttitel trägt (Berlin, Vita, Deutsches Verlagshaus). Am besten gefällt mir von den drei Novellen die zweite,Die salige Dirn", die mit ganz urwüchsigem, kräftigem Behagen und so viel Decenz, als der Stoff nur irgend znläßt, ein ganz durch­triebenes Südtiroler Frauenzimmer schildert, das die Spröde spielt, bis sie endlich doch noch einen Vater für ihre Kinder festgemacht hat. In dieser und auch in der ersten Novelle ist eine so kernige Charakteristik und so unverfälschtes Volks­empfinden, wie nur Bredenbrücker es in Tiroler Gewand zu kleiden weiß. Verfehlt scheint mir dagegen die letzte der Geschichten:Vom Lopätz, Maxl und Napolon, ein Kapitel aus Daml Strohgrintners Beiträgen zur mexikani­schen Geschichte". Darin erzählt Daml Strohgrintner, was sich in feinem .Hirn Konfuses über Leben und Sterben Maximilians von Mexiko zusammengehäuft hat, ungefähr in der Art, wie der bekannte Sachse, dessen Name mir im Angenblick nicht einfallen null, Napoleon I. in der Schlacht von Leipzig schildert. Selbst wenn das kurzweilig vor­getragen wäre, was es aber nicht ist vielmehr hat Bredenbrücker die Zitrone bis zum letzten Tropfen aus­gepreßt, so würde es doch kaum kurzweilig wirken. Denn Napoleon I. war ein großer Kriegsheld, und der kann sich auch solche Späße gefallen lassen, wie sie der ihn schildernde Sachse macht. Aber Maximilian von Mexiko war gar kein Heid, in keiner Lage seines Lebens, sondern ein Märtyrer, der mutig wie ein Mann in den Tod ging, und er kann daher auch niemals der Held einer Burleske werden.

Ein Schweizer Autor, Ernst Zahn, giebt in seinem RomanErni Behaim" (Stuttgart, Deutsche Verlags- Anstalt) eine kulturgeschichtliche Schilderung der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts, deren Schauplatz die freie Bauerugemeinde Abfrutt des Bernervolkes ist. Die gründ­lichen historischen Studien, die dem Werke zu Grunde liegen, haben in der dichterischen Gestaltungskraft des Verfassers reales Leben gewonnen, und die eigenartige Handlung ist so tiefgründig motiviert, daß auch das derselben zu Grunde liegende psychologische Problem den Leser auf das stärkste fesselt. Erni Behaim ist der einzige Sohn einer ehe- verlassenen Frau, deren Gatte sich abenteuernd in der Welt umhertreibt. Wißbegierig und mit einein Triebe ausgestattet, den Geheimnissen der Natur nachzugehen, hat er von dem alten Geistlichen des Ortes so viel gelernt, wie der damalige Stand der ärztlichen Wissenschaft ihm zu geben vermochte. Aber sein und seines alten Lehrers Wissen zeigt sich macht­los dem qualvollen Leiden gegenüber, von dem die eigne geliebte Mutter seit Jahren geplagt wird. Die unter ihren Schmerzen verzweifelnde Frau fleht den Sohn an, da er ihre Leiden nicht zu lindern vermag, sie von ihren Leiden zu erlösen, ihr einen Trank zu reichen, der den Tod herbei­führen muß. Nach langen inneren Kümpfen gewährt der Sohn die Bitte; die letzten Worte der Mutter danken ihm seine That und sagen ihm, daß er nichts zu bereuen habe und nichts bereuen dürfe. Aber als der Sohn den Leib der Toten auf dem Friedhof gebettet hat und in die leere Hütte zurückkehrt, packt ihn doch der Zweifel, ob recht war, was er gethan, und die Neue über seine That. Er flüchtet zu dem alten Geistlichen und beichtet ihm. Aber ehe er