Heft 
(1897) 13
Seite
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Weiles vom Wücherlisch.

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aus seinem Munde Horen kann, ob ihm seine Sünde ver­geben werden kann, trifft den alten Mann ein Schlag­anfall. Nnn flieht Erni Behain: das Heimatsdorf nnd tritt in ein Kloster ein, wo er in Askese und Selbstkasteiung Frieden zn finden hofft. Doch der Stachel, der in ihm bohrt, drückt sich nur tiefer iu seine Seele. Er verläßt das Kloster wieder und schließt sich den schweizerischen Kriegsscharen an, die nach Italien ziehen. Dort verrichtet er Wunder der Tapferkeit für die Freiheit des Vaterlandes. Aber als der Nahm seiner Thaten durch das gauze Kriegs­heer schallt und man ihn auszeichnen und für seine Thaten belohnen will, flieht er wieder. Es zieht ihn zurück in die Heimat; in der sein Heimatdorf umgebenden Wildnis baut er sich seine Einsiedlerhütte, und unerkannt von den alten Heimatgenossen führt er dort ein Leben, das nur der Nächstenliebe und dem Dienst der Mitmenschen geweiht ist. Während die Leute ihn wie einen Heiligen anstaunen, nagt an ihm die Reue weiter über die Sünde, für die er keine Vergebung mehr zu finden hofft. Wahrend ein großes Sterben durch das Land zieht, erscheint er in den Hütten, pflegt die Kranken, tröstet die Sterbenden nnd begräbt die Toten. Da erkennt ihn die Jngendgeliebte, die er um seiner Sünde nullen verlassen hat. Sie findet ein Mittel, ihn dem Leben nnd der Gemeinschaft der Menschen wieder- zugeben, indem sie ihn vor der Gemeinschaft seiner Volks­genossen des von ihm begangenen Verbrechens auklagt und, zugleich seine Verteidigung führend, seine Freisprechung er­wirkt. Für die nicht selten diskutierte Frage, ob der Arzt berechtigt sei, einen unheilbar Kranken von unerträglichen Schmerzen zu erlösen, indem er den Eintritt des Todes beschleunigt, vermag die Schilderung eines Einzelfalles natürlich nicht ausschlaggebend zu sein. Aerzte müßten nicht Menschen und Jrrtümern unterworfen sein, wenn man die Frage jemals bejahen könnte. Dem Verfasser ist es auch wohl unr darum zn thnn gewesen, für seinen Helden ein Schicksal zn konstruieren, das ihn steuerlos in die Un­ruhen und Wirren seiner Zeit hineinwirst, um au ihm zeigen zu können, welche Frage«: nnd Interessen diese Zeit bewegten und wie sie unter Umständen beantwortet wurden. Wer sich gerne ans der Vergangenheit erzählen läßt, der wird den Schicksalen Erni Behaims mit lebhaftem Interesse folgen.

Den deutschen Nennsport schildert der in: gleichen Ver­lage erschienene SportromanDerby" von Wilhelm

Meyer-Förster. Dem Interesse, das aller Sport seit Jahre«: in Deutschland genießt, ist die schöne Litteratur nur langsam gefolgt. Ich erinnere mich außer dieses Romans von Meyer-Förster nur eines Werkes, das die Schilderung des Lebens auf der Rennbahn in den Vordergrund rückt, des RomansMaria da Caza" von Georg Freiherrn von Ompteda. Aber auch in diesen: legt der Verfasser viel mehr Gewicht auf die Entwicklung der Liebesgeschichte, in die sich die an einen großen Sportman verheiratete Heldin verstrickt, als auf sportliche Ereignisse. Meyer-Förster kennt dei: Rennsport und die Hauptrennplätze, auf denen sich das sportfreundliche Publikum ein Rendezvous giebt, und er versteht gut zu schildern. Seine Figuren haben auch individuelle Züge, und die Handlung wickelt sich flott und spannend wie ein Hindernisrennen ab, in dem es nicht an Ueberraschungen fehlt. Nur der Amerikaner, der, auf sein Geld protzend, ans den dentschen Sportplätzen eine Rolle zu spielen versucht, scheint mir stark Romanfigur zu sein. Wenn Amerikaner sich irgendwo mit großen Summen engagiere::, dann sind sie auch praktisch genug, sich ei«: wenig Sachkenntnis in den Dingen anzueignen, in denen sie ihr Geld aufs Spiel setzen.

Eii: Roman von Ludwig Ganghofer,Nachele Scarpa" (hübsch illustriert vou A. F. Seligmann, Stutt­gart, Verlag von Adolf Vonz L Co.), ist so gefällig erzählt, daß er Ganghofers große Beliebtheit bei dem Publikum ganz begreiflich macht, aber auch so ganz nach einer alten Schablone gearbeitet, daß einem diese große Beliebtheit doch wieder nicht ganz begreiflich werden null. Aufregungen bietet die Lektüre sicher nicht, trotzdem die Geschichte ans den: romantischen Hintergründe von Koustantinopel spielt, trotzdem sehr viel Handlung darin ist, und trotzdem auf der einen Seite sehr gute, auf der ander:: Seite sehr schlechte Menschen die Partie spielen. Dieser Mangel an Auf­regung liegt daran, daß der Leser über den schließlichen Ausgang der Partie gar nicht im Zweifel sein kann. Gang­hofer folgt den: alten Rezept, das einen glücklichen Aus­gang zur Vorbedingung jeder guten Erzählung macht. Auch in der Form ist er in dieser Erzählung recht altmodisch. Nehmen wir an, daßNachele Searpa" den Ruf des Autors als Erzähler nicht begründet hätte, wenn er nicht schon so fest begründet wäre, daß er nicht mehr nötig hat, mit voller Kraft zu arbeiten.