Heft 
(1898) 01
Seite
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Aber da kommen Ihre Mantelsäcke, meine Herren. Engelke, führe die Herren auf ihr Zimmer. Wir haben jetzt sechseinviertel. Um sieben, wenn ich Litten darf."

Engelke hatte mittlerweile die beiden von Dubs- lav etwas altmodisch alsMantelsäcke" bezeichnten Plaidrollen in die Hand genommen und ging damit, den beiden Herren voran, auf die doppelarmige Treppe zu, die gerade da, wo die beiden Treppen­arme sich kreuzten, einen ziemlich geräumigen Podest mit Süulchengalerie bildete. Zwischen den Säulchen aber, und zwar mit Blick auf den Flur, war eine Nokoko-Uhr angebracht, mit einem Zeitgott darüber, der eine Hippe führte. CZako wies darauf hin und sagte leise zu Nex:Ein bißchen graulich," ein Gefühl, drin er sich bestärkt sah, als man bis auf den mit ungeheurer Raumverschwendung angelegten Oberslur gekommen war. lieber einer nach hinten zu gelegenen Saalthür hing eine Holztafel mit der Inschrift:Museum", während hüben und drüben, an den Flurwänden links und rechts, mächtige Birken­maser- und Ebenholzschränke standen, wahre Pracht­stücke, mit zwei großen Bildern dazwischen, eines eine Burg mit dicken Backsteintürmen, das andre ein überlebensgroßer Ritter, augenscheinlich aus der F-rnndsbergzeit, wo das bunt Landsknechtliche schon die Rüstung zu drapieren begann.

Js wohl ein Ahn?" fragte Czako.

Ja, Herr Hauptmann. Und er ist auch unten in der Kirche."

Auch so wie hier?"

Nein, bloß Grabstein und schon etwas ab­getreten. Aber man sieht doch noch, daß es der­selbe ist."

Ezako nickte. Dabei waren sie bis an ein Eck­zimmer gekommen, das mit der einen Seite nach dem Flur, mit der andern Seite nach einem schmalen Gang hin lag. Hier war auch die Thür. Engelke, vorangehend, öffnete und hing die beiden Plaidrollen an die Haken eines hier gleich an der Thür stehenden Kleiderständers. Unmittelbar daneben war ein Klingel­zug mit einer grünen, etwas ausgesransten Puschel daran. Engelke wies darauf hin und sagte:Wenn die Herren noch was wünschen. . . Und um sieben . . . Zweimal wird angeschlagen."

Und damit ging er, die beiden ihrer Bequemlich­keit überlassend.

Es waren zwei nebeneinander gelegene Zimmer, in denen man Nex und Czako untergebracht hatte, das vordere größer und mit etwas mehr Aufwand eingerichtet, mit Stehspiegel und Toilette, der Spiegel sogar zum Kippen. Das Bett in diesem vorderen Zimmer hatte einen kleinen Himmel und daneben eine Etagere, auf deren oberem Brettchen eine Meißner Figur stand, ihr ohnehin kurzes Röckchen lüpfend, während auf dem unteren Brett ein Neues Testament lag, mit Kelch und Kreuz und einem Palmenzweig auf dem Deckel.

Czako nahm das Meißner Püppchen und sagte: Wenn nicht unser Freund Woldemar bei diesem Arrangement seine Hand mit im Spiel hat, so haben wir hier in Bezug auf Requisiten ein Ahnungs­vermögen, wie's nicht größer gedacht werden kann. Das Püppchen xour moi, das Testament xour veus."

Czako, wenn Sie doch bloß das Necken lassen könnten!"

Ach, sagen Sie doch so was nicht, Rex; Sie lieben mich ja bloß um meiner Neckereien willen."

Und nun traten sie, von dem Vorderzimmer her, in den etwas kleineren Wohnranm, in dem Spiegel und Toilette fehlten. Dafür aber war ein Rokoko­sofa da, mit hellblauem Atlas und weißen Blumen daraus.

Ja, Nex," sagte Czako,wie teilen wir nun? Ich denke, Sie nehmen nebenan den Himmel, und ich nehme das Rokokosofa, noch dazu mit weißen Blumen, vielleicht Lilien. Ich wette, das kleine Ding von Sofa hat eine Geschichte."

Rokoko hat immer eine Geschichte," bestätigte Rex.Aber hundert Jahr zurück. Was jetzt hier haust, sieht mir, Gott sei Dank, nicht danach aus. Ein bißchen Spuk trau' ich diesem alten Kasten aller­dings schon zu; aber keine Rokokogeschichte. Rokoko ist doch immer unsittlich. Wie gefällt Ihnen übrigens der Alte?"

Vorzüglich. Ich hätte nicht gedacht, daß unser

Freund Woldemar solchen famosen Alten haben könnte."

Das klingt ja beinah," sagte Rex,wie wenn Sie gegen unsern Stechlin etwas hätten."

Was durchaus nicht der Fall ist. Unser Stechlin ist der beste Kerl von der Welt, und wenn ich das verdammte Wort nicht haßte, würd' ich ihn sogar einen,perfekten Gentleman' nennen müssen. Aber..."

Nun..."

Aber er paßt doch nicht recht an seine Stelle."

An welche?"

In sein Regiment."

Aber Czako, ich verstehe Sie nicht. Er ist ja brillant angeschrieben. Liebling bei jedem. Der Oberst hält große Stücke von ihm, und die Prinzen machen ihm beinah den Hof..."

Ja, das ist es ja eben. Die Prinzen, die Prinzen."

Was denn, wie denn?"

Ach, das ist eine lange Geschichte, viel zu lang, um sie hier vor Tisch noch auszukramen. Denn es ist bereits halb, und wir müssen uns eilen. Uebrigens trifft es viele, nicht bloß unsern Stechlin."

Immer dunkler, immer rätselvoller," sagte Rex.

Nun, vielleicht daß ich Ihnen das Rätsel löse. Schließlich kann man ja Toilette machen und noch seinen Diskurs daneben haben. ,Die Prinzen machen ihm den Hof', so geruhten Sie zu bemerken, und ich antwortete: ,Ja, das ist es eben'. Und diese Worte kann ich Ihnen nur wiederholen. Die Prinzen damit hängt es zusammen, oder, um es noch deutlicher zu sagen, damit, daß die seinen Regimenter immer seiner werden. Kucken Sie sich mal alte Ranglisten an, das heißt wirklich alte, voriges Jahr­hundert und bis Anno sechs.. Da finden Sie bei Regiment Garde du Corps oder bei Regiment Gens­darmes unsre guten alten Namen: Marwitz, Wakenitz, Kracht, Löschebrand, Bredow, Rochow, höchstens daß sich mal ein höher betitelter Schlesischer mit hinein verirrt. Natürlich gab es auch Prinzen damals, aber der Adel gab den Ton an, und die paar Prinzen mußten noch froh sein, wenn sie nicht störten. Damit ist es nun aber, seit wir Kaiser und Reich sind, total vorbei. Natürlich sprech' ich nicht von der Provinz, nicht von Litauen und Masuren, sondern von der Garde, von den Regimentern unter den Augen seiner Majestät. Und nun gar erst diese Gardedragoner! Die waren immer piek, aber seit sie, pour eombler Io bonlleur, auch noch Königin von Großbritannien und Irland' sind, wird es immer mehr davon, und je pieker sie werden, desto mehr Prinzen kommen hinein, von denen übrigens auch jetzt schon mehr da sind, als es so obenhin aussieht, denn manche sind welche und dürfen es bloß nicht sagen. Und wenn man dann gar noch die alten mitrechnet, die bloß a 1a suite stehn, aber doch immer noch mit dabei sind, wenn irgend was los ist, so haben wir, wenn der Kreis geschloffen wird, zwar kein Parkett von Königen, aber doch einen Cirkus von Prinzen. Und da hinein ist nun unser guter Stechlin gestellt. Natürlich thut er, was er kann, und macht so gewisse Luxusse mit, Gefühls- luxusse, Gesinnungsluxusse und, wenn es sein muß, auch Freiheitsluxusse. So 'nen Schimmer von Sozial­demokratie. Das ist aber aus die Dauer schwierig. Richtige Prinzen können sich das leisten, die ver- bebeln nicht leicht. Aber Stechlin! Stechlin ist ein reizender Kerl, aber er ist doch bloß ein Mensch."

Und das sagen Sie, Czako, gerade Sie, der Sie das Menschliche stets betonen?"

Ja, Rex, das thu' ich. Heut wie immer. Aber eines schickt sich nicht für alle. Der eine darf's, der andre nicht. Wenn unser Freund Stechlin sich in diese seine alte Schloßkate zurückzieht, so darf er Mensch sein, so viel er will, aber als'Garde­dragoner kommt er mit dem bloßen alten Menschen nicht aus. Vom alten Adam will ich nicht sprechen, das hat noch so 'ne Nebenbedeutung."

Während Rex und Czako Toilette machten und abwechselnd über den alten und den jungen Stechlin verhandelten, schritten die, die den Gegenstand dieser Unterhaltung bildeten, Vater und Sohn, im Garten auf und ab und hatten auch ihrerseits ihr Gespräch.

Ich bin dir dankbar, daß du mir deine Freunde mitgebracht hast. Hoffentlich kommen sie auf ihre Kosten. Mein Leben verläuft ein bißchen zu einsam,

und es wird ohnehin gut sein, wenn ich mich wieder an Menschen gewöhne. Du wirst gelesen haben, daß unser guter alter Kortschädel gestorben ist. und in etwa vierzehn Tagen haben wir hier 'ne Neuwahl. Da muß ich dann 'ran und mich populär machen. Die Konservativen wollen mich haben und keinen andern. Eigentlich mag ich nicht, aber ich soll, und da paßt es mir denn, daß du mir Leute bringst, an denen ich mich für die Welt sozusagen wieder wie einüben kann. Sind sie denn ausgiebig, plauderhaft?"

O sehr, Papa, vielleicht zu sehr. Wenigstens der eine."

Das is gewiß der Czako. Sonderbar, die von Alexander reden alle gern. Aber ich bin sehr dafür; Schweigen kleid't nicht jeden. Und dann sollen wir uns ja auch durch die Sprache vom Tier unter­scheiden. Also wer am meisten red't, ist der reinste Mensch. Und diesem Czako, dem Hab' ich es gleich angesehn. Aber der Nex. Tu sagst Ministerial- assessor. Ist er denn von der frommen Familie?"

Nein, Papa. Du machst dieselbe Verwechslung, die beinah' alle machen. Die fromme Familie, das sind die Reckes, gräflich und sehr vornehm. Die Rex natürlich auch, aber doch nicht so hoch hinaus und auch nicht so fromm. Allerdings nimmt inein Freund, der Ministerialassessor, einen Anlauf dazu, die Reckes womöglich einzuholen."

Dann Hab' ich also doch recht gesehn. Er hat so die Figur, die so was vermuten läßt, ein bißchen wenig Fleisch und so glatt rasiert. Habt ihr denn beim Rasieren in Cremmen gleich einen gesunden?"

Er hat alles immer bei sich; lauter englische. Von Solingen oder Suhl will er nichts wissen."

Und muß man ihn denn vorsichtig ansassen, wenn das Gespräch ans kirchliche Dinge kommt? Ich bin ja, wie du weißt, eigentlich kirchlich, wenigstens kirchlicher als mein guter Pastor (es wird immer schlimmer mit ihm), aber ich bin so im Ausdruck mitunter ungenierter, als man vielleicht sein soll, und bei ,niedergefahren zur Hölle' kaun mir's passieren, daß ich nolens volens ein bißchen tolles Zeug rede. Wie steht es denn da mit ihm? Muß ich mich in acht nehmen? Oder macht er bloß so mit?"

Das will ich nicht geradezu behaupten. Ich denke mir, er steht so wie die meisten stehn; das heißt, er weiß es nicht recht."

Ja, ja, den Zustand kenn' ich."

Und weil er es nicht recht weiß, hat er sozu­sagen die Auswahl und wählt das, was gerade gilt und nach oben hin empfiehlt. Ich kann das auch so schlimm nicht finden. Einige nennen ihn einen ,Streber'. Aber wenn er es ist, ist er jedenfalls keiner von den schlimmsten. Er hat eigentlich einen guten Charakter, und im oereis intime kann, er reizend sein. Er verändert sich dann nicht in dem, was er sagt, oder doch nur wenig, aber ich möchte sagen, er verändert sich in der Art, wie er zuhört. Czako meint, unser Freund Nex halte sich mit dem Ohr für das schadlos, was er mit dem Munde ver­säumt. Czako wird überhaupt am besten mit ihm fertig; er schraubt ihn beständig, und Rex, was ich reizend finde, läßt sich diese Schraubereien gefallen. Daran siehst du schon, daß sich mit ihm leben läßt. Seine Frömmigkeit ist keine Lüge, bloß Erziehung, Angewohnheit, und so schließlich seine zweite Natur geworden."

Ich werde ihn bei Tisch neben Lorenzen setzen; die mögen dann beide sehn, wie sie miteinander fertig werden. Vielleicht erleben wir 'ne Bekehrung. Das heißt Rex den Pastor. Aber da höre ich eine Kutsche die Dorsstraße 'raufkommeu. Das siud natürlich Gundermanns; die kommen immer zu früh. Der arme Kerl hat mal was von der Höflichkeit der Könige gehört und macht jetzt einen zu weit­gehenden Gebrauch davon. Autodidakten übertreiben immer. Ich bin selber einer und kann also mit­reden. Nun, wir sprechen morgen früh weiter; heute wird es nichts mehr. Du wirst dich auch noch ein bißchen striegeln müssen, und ich will mir 'nen schwarzen Nock anziehn. Das bin ich der guten Frau von Gundermann doch schuldig; sie putzt sich übrigens nach wie vor wie 'n Schlittenpferd und hat immer noch den merkwürdigen Federbusch in ihrem Zopf - das heißt, wenn's ihrer ist."

(Fortsetzung folgt )