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Ueöer Land und Meer.
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Freundschaftsleidenschaft, Orest und Pylades — so was hat es immer gegeben. Und dann, was noch viel mehr sagen will, Sie haben nebenher die Konspirationsleidenschaft ..."
„Aber, Herr von Stechlin."
„Nein, nicht die Konspirationsleidenschaft, ich nehm' es zurück; aber Sie haben dafür was andres, nämlich die Weltverbesserungsleidenschaft. Und das ist eine der größten, die es giebt. Und wenn solche zwei Weltverbesserer zusammen sind, da können Rex und Czako warten, und da kann selbst ein warmes Frühstück warten. Sagt man noch Dejeuner ä 1a t'ourellette?"
„ Kaum, Papa. Wie du weißt, es ist jetzt alles englisch."
„Natürlich. Die Franzosen sind abgesetzt. Und ist auch recht gut, wiewohl unsre Vettern drüben erst recht nichts taugen. Selbst ist der Mann. Aber ich glaube, das Frühstück wartet."
Wirklich, es war so. Während die Herren zu zwei und zwei an der Vuchsbaumwandung ans und ab schritten, hatte Engelke den Tisch arrangiert, an den jetzt Wirt und Gäste herantraten.
Es war eine längliche Tafel, deren dem Nundell zugekehrte Längsseite man frei gelassen hatte, was allen einen Ueberblick über das hübsche Gartenbild gestattete. Dubslav, das Arrangement musternd, nickte Engelke zu, zum Zeichen, daß er's getroffen habe. Dann aber nahm er die Mittelschüssel und sagte, während er sie Nex reichte: „Doujour8 xerärix. Das heißt, es sind eigentlich Krammetsvögel, wie schon gestern abend. Aber wer weiß, wie Krammetsvögel aus französisch heißen? Ich wenigstens weiß es nicht. Und ich glaube, nicht einmal Tucheband wird uns helfen können."
Ein allgemeines verlegenes Schweigen bestätigte Dubslavs Vermutung über französische Vokabelkenntnis.
„Wir kamen übrigens," fuhr dieser fort, „dicht vor Globsow durch einen Dohnenstrich, überall hingen noch viele Krammetsvögel in den Schleifen, was mir ausfiel und was ich doch, wie so vieles Gute, meinem alten Krippenstapel zuschreiben muß. Es wäre doch 'ne Kleinigkeit für die Jungens, den Dohnenstrich auszuplündern. Aber so was kommt nicht vor. Was meinen Sie, Lorenzen?"
„Ich freue mich, daß es ist, wie es ist, und daß die Dohnenstriche nicht ausgeplündert werden. Aber ich glaube, Herr von Stechlin, Sie dürfen es Krippenstapel nicht anrechnen."
Dubslav lachte herzlich. „Da haben wir wieder die alte Geschichte. Jeder Schulmeister schulmeistert an seinem Pastor herum, und jeder Pastor pastort über seinen Schulmeister. Ewige Rivalität. Der natürliche Zug ist doch, daß die Jungens nehmen, wo sie kriegen können. Der Mensch stiehlt wie'n Rabe. Und wenn er's mit einemmal unterläßt, so muß das doch 'nen Grund haben."
„Den hat es auch, Herr von Stechlin. Bloß einen andern. Was sollen sie mit 'nem Krammetsvögel machen? Für uns ist es eine Delikatesse, für einen armen Menschen ist es gar nichts, knapp so viel wie'n Sperling."
„Ach, Lorenzen, ich sehe schon, Sie liegen da wieder mit dem ,Patrimonium der Enterbtem im Anschlag; Sperling, das klingt ganz so. Aber so viel ist doch richtig, daß Krippenstapel die Jungens brillant in Ordnung hält; wie ging das heute Schlag aus Schlag, als ich den kurzgeschornen Schwarzkopp nach Fehrbellin fragte, und wie stramm waren die Jungens und wie manierlich, als wir sie nach 'ner Stunde in Globsow wiedersahen. Wie sie da so fidel spielten und doch voll Respekt in allem. ,Frei, aber nicht frech', das ist so mein Satz."
Woldemar und Lorenzen, die nicht mit dabei gewesen waren, waren neugierig, aus welchen Vorgang sich all dies Lob des Alten bezöge.
„Was hat denn," fragte Woldemar, „die Glob- sower Jungens mit einemmal zu so guter Reputation gebracht?"
„O, es war wirklich scharmant," sagte Czako. „Wir waren noch im Walde drin, als wir auch schon Stimmen, ganz wie Kommandoruse, hörten, und im selben Augenblicke, wo wir aus einen freien, von Kastanien umstellten Platz hinaustraten — eigentlich war es wohl schon ein großer Fabrikhos — sahen wir uns wie mitten in einer Schlacht. Auf unsrer Seite
stand die bis dahin augenscheinlich siegreiche Truppe, deren weiterer Angriff aber wegen der guten Deckung, die sich der Gegner Zn geben gewußt hatte, mit einemmal stoppte, was kaum zu verwundern war, denn eben diese gute Deckung bestand aus Wohl tausend, ein großes Karree bildenden Glasballons, hinter die sich die geschlagene Partei wie hinter eine Barrikade zurückgezogen hatte. Da standen sie nun und nahmen ein Feuergesecht aus, das von hüben und drüben mit den massenhaft umherliegenden Kastanien geführt wurde. Die meisten Schüsse gingen zu kurz und fielen klappernd wie Hagel aus die Ballons nieder. Ich hätte dem Spiel, ich weiß nicht wie lange, zusehn können. Als man unsrer aber ansichtig wurde, stob alles unter Hurra und Mützenschwenken auseinander. Ueberall sind Photographen. Aber wo sie hingehören, da fehlen sie. Genau so wie bei der Polizei."
Dubslav hatte schmunzelnd der Schilderung zugehört. „Hören Sie, Hauptmann, Sie verstehn es aber; Sie können mit 'nem Dukaten den Großen Kurfürsten vergolden."
„Ja," sagte Rex, „das thut unser Freund Czako nicht anders; dreiviertel ist immer Dichtung."
„Ich gebe mich auch nicht für einen Historiker aus und am wenigsten für einen korrekten Aktenmenschen."
„Und dabei, lieber Czako," nahm Dubslav das Wort, „dabei bleiben Sie nur. Auf Ihr Spezielles! Und darin müssen Sie mir in meiner Lieblingssorte Bescheid thun, nicht in Rotwein, den mein berühmter Miteinsiedler das ,natürliche Getränk des norddeutschen Menschen' genannt hat. Einer seiner- mannigfachen Jrrtümer; vielleicht der größte. Das natürliche Getränk des norddeutschen Menschen ist am Rhein und Main zu finden. Und am vorzüglichsten da, wo sich, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, beide vermählen. Ungefähr von dieser Vermählungsstelle kommt auch der hier." Und dabei wies er aus eine vor ihm stehende Bocksbeutelstasche. „Sehen Sie, meine Herren (verhaßt sind mir alle langen Hälse), das hier, das nenn' ich eine gefällige Form. Heißt es nicht irgendwo: ,Laßt mich dicke Leute sehn', — oder so ähnlich. Da stimm' ich zu; ganz mein Fall. Ich bin für dicke Flaschen." Und dabei stieß er wiederholt mit Czako an. „Noch einmal, aus Ihr Wohl. Und auf Ihres, Herr von Nex. Und dann aus das Wohl meiner Globsower, oder wenigstens meiner Globsower Jungens, die sich nicht bloß um Fehrbellin kümmern und um Leipzig, sondern, wie wir gesehen haben, auch selber ihre Schlachten schlagen. Ich ärgere mich nur immer, wenn ich diese riesigen Ballons da sehe. Und da hinter dem ersten Fabrikhof (ich wollte Sie nur nicht weiter damit behelligen), da ist noch ein zweiter Hof, da sieht es noch viel schlimmer aus. Da stehen nämlich wahre GlaSungeheuer, auch Ballons, aber mit langem Hals dran, und die heißen dann Retorten."
„Aber Papa," sagte Woldemar, „daß du dich über die paar Retorten und Ballons nie beruhigen kannst. So lang ich nun denken kann,. eiferst du dagegen. Es ist doch ein wahres Glück, daß so viel davon in die Welt geht und den armen Fabrikleuten einen guten Lohn sichert. So was wie Streik kommt ja hier gar nicht vor. In diesem Punkt ist unsre Stechliner Gegend doch wirklich noch ein Paradies."
Lorenzen lachte.
„Ja, Lorenzen, Sie lachen. Aber eigentlich hat Woldemar doch recht, was — und Sie wissen auch, warum — nicht oft vorkommt. Es ist genau so, wie er sagt. Natürlich bleibt uns Eva und die Schlange; das ist uralte Erbschaft. Aber so viel noch voll guter alter Zeit in dieser Welt zu finden ist, so viel findet sich hier, hier in unsrer lieben alten Grafschaft. Und in dies Bild richtiger Gliederung, oder meinetwegen auch richtiger Unterordnung (denn ich erschrecke vor solchem Worte nicht), in dieses Bild des Friedens paßt mir diese ganze Globsower Ne- tortengläserei und -bläserei nicht hinein. Und wenn ich nicht fürchten müßte, für einen Querkops gehalten zu werden, so hätt' ich bei hoher Behörde schon lange meine Vorschläge wegen dieser Retorten und Ballons eingereicht. Und natürlich gegen beide. Warum müssen es immer Ballons sein? Und wenn schon Ballons, na, dann lieber solche wie diese hier. Die lass' ich mir gefallen." Und dabei hob er die Bocksbentelflasche.
„Wie diese," bestätigte Czako.
„Ja, Czako, Sie sind ganz der Mann, meinen Papa in seiner Idiosynkrasie zu bestärken."
„Idiosynkrasie," wiederholte der Alte. „Wenn ich so was höre. Ja, Woldemar, da glaubst du nun wieder wunder was Feines gesagt zu haben. Aber es ist doch bloß ein Wort. Und was bloß ein Wort ist, ist nie was Feines, auch wenn es so aussieht. Aber dunkle Gefühle, die sind sein. Und so gewiß die Vorstellung, die ich mit dieser lieben Flasche hier verbinde, für mich persönlich was Celestes hat.. . kann man Celestes sagen? . . ." Lorenzen nickte Zustimmend. „So gewiß hat die Vorstellung, die sich für mich an diese Globsower Riesenbocksbeutelflaschen knüpft, etwas Infernalisches."
„Aber Papa."
„Still, unterbrich mich nicht, Woldemar. Denn ich komme jetzt eben an eine Berechnung, und bei Berechnungen darf man nicht gestört werden. Ueber hundert Jahre existiert nun schon diese Glashütte. Und wenn ich nun so das jedesmalige Jahresprodukt mit hundert multipliziere, so rechne ich mir alles in allem ganz gut eine Million heraus. Die schicken sie nun jahraus jahrein in die Welt, zunächst in andre Fabriken, und da destillieren sie denn drauf los und allerhand schreckliches Zeug in diese grünen Ballons hinein: Salzsäure, Schwefelsäure, rauchende Salpetersäure. Das ist die schlimmste, die hat immer einen rotgelben Rauch, der einem gleich die Lunge anfrißt. Aber wenn einen der Rauch auch zufrieden läßt, jeder Tropfen brennt ein Loch, in Leinwand oder in Tuch, oder in Leder, überhaupt in alles; alles wird angebrannt und angeätzt. Das ist das Zeichen unsrer Zeit jetzt, ungebrannt und angeätzt'. Und wenn ich dann bedenke, daß meine Globsower da mitthun und ganz gemütlich die Werkzeuge liefern für die große General- weltanbrennung, ja, hören Sie, meine Herren, das giebt mir immer einen Stich. Und ich muß Ihnen sagen, ich wollte, jeder kriegte lieber einen halben Morgen Land von Staats wegen und kaufte sich zu Ostern ein Ferkelchen, und zu Martini schlachteten sie ein Schwein und hätten den Winter über zwei Speckseiten, jeden Sonntag eine ordentliche Scheibe, und alltags Kartoffeln und Grieben."
„Aber Herr von Stechlin," lachte Lorenzen, „das ist ja die reine Nenlandtheorie. Das wollen ja die Sozialdemokraten auch."
„Ach was, Lorenzen, mit Ihnen ist nicht zu reden .. . Uebrigens Prosit. . . Aber eigentlich verdienen Sie's nicht."
Das Frühstück zog sich lange hin, und das dabei geführte Gespräch nahm noch ein paarmal einen Anlauf ins Politische hinein; Lorenzen aber, der kleine Schraubereien gern vermeiden wollte, wich jedesmal geschickt aus und kam lieber aus die Stechliner Kirche zu sprechen. Er war aber auch hier vorsichtig und beschränkte sich, unter Anlehnung an Tucheband, aus Architektonisches und Historisches, bis Dubslav, ziemlich abrupt, ihn fragte: „Wissen Sie denn, Lorenzen, auf unserm Kirchenboden Bescheid? Krippenstapel hat mich erst heute wissen lassen, daß wir da zwei vergoldete Bischöfe mit Krummstab haben. Oder vielleicht sind es auch bloß Aebte." Lorenzen wußte nichts davon, weshalb ihm Dubslav gutmütig mit dein Finger drohte.'
So ging das Gespräch. Aber kurz vor zwei mußte dem allem ein Ende gemacht werden. Engelke kam und meldete, daß die Pferde da und die Mantelsäcke bereits aufgeschnallt seien. Dubslav ergriff sein Was, um auf ein frohes Wiedersehn anzustoßen. Dann erhob man sich.
Rex, bei Passierung der Rampe, trat noch einmal an die kranke Aloe heran und versicherte, daß solche Blüte doch etwas eigentümlich Geheimnisvolles habe. Dubslav hütete sich, zu widersprechen, und freute sich, daß der Besuch mit etwas für ihn so Erheiterndem abschloß.
Gleich danach ritt man ab. Als sie bei der Glaskugel vorbeikamen, wandten sich alle drei noch einmal zurück, und jeder lüpfte seine Mütze. Dann ging es, zwischen den Findlingen hin, aus die Dorfstraße hinaus, auf der eben eine ziemlich ramponiert aussehende Halbchaise, das lederne Verdeck zurückgeschlagen, an ihnen vorübersuhr; die Sitze leer.