Heft 
(1898) 04
Seite
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Arber ^iand und Weer.

Alles an dem Fuhrwerk ließ Ordnung und Sauber­keit vermissen; das eine Pferd war leidlich gut, das andre schlecht, und zu dem neuen Livreerock des Kutschers wollte der alte Hut, der wie ein fuchsiges Torsstück aussah, nicht recht passen.

Das war ja Gundermanns Wagen."

Sv, so," sagte Czako.Auf den hätt' ich beinah' geraten."

Ja, dieser Gundermann," lachte Woldemar. Mein Vater wollt' Ihnen gestern gern etwas Graf- schastliches vorsetzen, aber er vergriff sich. Gunder­mann auf Siebenmühlen ist so ziemlich unsre schlechteste Nummer. Ich sehe, er hat Ihnen nicht recht gefallen."

Gott, gefallen, Stechlin, was heißt gefallen? Eigentlich gefällt mir jeder oder auch keiner. Eine Dame hat mir mal gesagt, die langweiligen Leute wären schließlich gerade so gut wie die interessanten, und es hat was für sich. Aber dieser Gundermann! Zu welchem Zwecke läßt er denn eigentlich seinen leeren Wagen in der Welt herumkutschieren?"

Ich bin dessen auch nicht sicher. Aber wahr­scheinlich in Wahlangelegenheiten. Er persönlich wird irgendwo hängen geblieben sein, um Stimmen einzu­fangen. Unser alter braver Kortschädel nämlich, der allgemein beliebt war, ist diesen Sommer gestorben, und da will nun Gundermann, der sich auf den Konservativen hin ausspielt, aber keiner ist, im Trüben fischen. Er intrigiert. Ich habe das in einem Gespräch, das ich mit ihm hatte, ziemlich deutlich herausgehört, und Lorenzen hat es mir be­stätigt."

Ich kann mir denken," sagte Rex,daß gerade Lorenzen gegen ihn ist. Aber dieser Gundermann, für den ich weiter nichts übrig habe, hat doch wenigstens die richtigen Prinzipien."

Ach Rex, ich bitte Sie," sagte Czako,richtige Prinzipien! Geschmacklosigkeiten hat er und öde Redensarten. Dreimal habe ich ihn sagen hören: ,Das wäre wieder Wasser aus die Mühlen der Sozial­demokratie? So was sagt kein anständiger Mensch mehr, und jedenfalls setzt er nicht hinzu: ,daß er das Wasser abstellen wolle? Das ist ja eine schreck­liche Wendung."

Unter diesen Worten waren sie bis an den hoch­überwölbten Teil der Kastanienallee gekommen.

Engelke, der gleich frühmorgens ein allerschönftes Wetter in Aussicht gestellt hatte, hatte recht behaltend­es war ein richtiger Oktobertag, klar und frisch und milde zugleich. Die Sonne fiel hie und da durch das noch ziemlich dichte Laub, und die Reiter freuten sich des Spieles der Schatten und Lichter. Aber noch anmutiger gestaltete sich das Bild, als sie bald danach in einen Seitenweg einmündeten, der sich durch eine flache, nur hie und da von Wasserlachen durchzogene Wiesenlandschaft hinschlängelte. Die großen Heiden und Forsten, die das eigentlich Charakteristische dieses nordöstlichen Grafschaftswinkels bilden, traten an dieser Stelle weit zurück, und nur ein paar einzelne, wie vorgeschobene Coulissen wirkende Waldstreifen wurden sichtbar.

Alle drei hielten an, um das Bild auf sich wirken zu lassen; aber sie kamen nicht recht dazu, weil sie, während sie sich umschauten, eines alten Mannes ansichtig wurden, der, nur durch einen flachen Graben von ihnen getrennt, auf einem Stück Wiese stand und das hochstehende Gras mähte. Jetzt erst sah auch er von seiner Arbeit auf und-zog seine Mütze. Die Herren thaten ein Gleiches und schwankten, ob sie näher heranreiten und eine Ansprache mit ihm haben sollten. Aber er schien das weder zu wün­schen noch zu erwarten, und so ritten sie denn weiter.

Mein Gott," sagte Rex,das war ja Krippen­stapel. Und hier draußen, so weit ab von seiner Schule. Wenn er nicht die Seehundsfellmütze, die wie aus einer konfiscierten Schulmappe geschnitten aussäh, gehabt hätte, hätt' ich ihn nicht wieder er­kannt."

Ja, er war es, und das mit der Schulmappe wird wohl zutreffen," sagte Woldemar.Krippen- ftapel kann eben alles der reine Robinson."

Ja, Stechlin, Sie sagen das so hin, als ob Sie's bespötteln wollten. Eigentlich ist es doch aber was Großes, sich immer selber helfen zu können. Er wird wohl 'nen Sparren haben, zugegeben, aber Ihrem Lorenzen ist er doch um ein gut Stück überlegen. Schon weil er ein Original ist und ein

Eulengesicht hat. Eulengesichtsmenschen sind andern Menschen immer überlegen."

Aber Czako, ich bitte Sie, das ist ja doch alles Unsinn. Und Sie wissen es auch. Trotzdem, Sie möchten dem armen Lorenzen was am Zeug flicken, bloß weil Sie herausfühlen: ,das ist eine lautere Persönlichkeit'."

Da thun Sie mir unrecht, Stechlin. Ganz und gar. Ich bin auch fürs Lautere, wenn ich nur persönlich nicht in Anspruch genommen werde."

Nun, davor sind Sie sicher, vom Brombeer­strauch keine Trauben. Im übrigen muß ich hier abbrechen und Sie bitten, mich auf ein Weilchen entschuldigen zu wollen. Ich muß da nämlich nach dem Forsthause hinüber, da drüben neben der Waldecke."

Aber Stechlin, was wollen Sie denn bei 'nem Förster?"

Kein Förster. Es ist ein Oberförster, zu dem ich will, und zwar derselbe, den Sie gestern abend bei meinem Papa gesehn haben. Oberförster Katzler, bürgerlich, aber doch beinah' schon historischer Name." ^

So, so; jedenfalls brillanter Billardspieler. ^ Und doch, wenn Sie nicht ganz intim mit ihm sind, sind' ich diesen Abstecher übertrieben artig."

Sie hätten recht, Czako, wenn es sich lediglich um Katzler handelte. Das ist aber nicht der Fall. ? Es handelt sich nicht um ihn, sondern um seine junge Frau."

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Ja, da sind Sie nun auch wieder auf einer ! falschen Fährte. So was kann nicht Vorkommen, ! ganz abgesehn davon, daß mit Oberförstern immer ^ schlecht Kirschen pflücken ist; die blasen einen weg, ! man weiß nicht wie. . . Es handelt sich hier einfach ^ um einen Teilnahmebesuch, um etwas, wenn Sie wollen, schön Menschliches. Frau Katzler erwartet ! nämlich." !

Aber mein Gott, Stechlin, Ihre Worte werden j immer rätselhafter. Sie können doch nicht bei jeder Oberförftersfrau, die ,erwartet', eine Visite machen ^ wollen. Das wäre denn doch eine Niesenaufgabe, i selbst wenn Sie sich auf Ihre Grafschaft hier be- ^ schränken wollten." !

Es liegt alles ganz exceptionell. Uebrigens mach' ich es kurz mit meinem Besuch, und wenn Sie Schritt reiten, worum ich bitte, so hol' ich Sie bei Genshagen noch wieder ein. Von da bis Wutz haben wir kaum noch eine Stunde, und wenn wir's forcieren wollen, keine halbe."

Und während er noch so sprach, bog er rechts ! ein und ritt auf das Forsthaus zu.

Woldemar hatte die Mitte zwischen Rex und ' Czako gehabt; jetzt ritten diese beide nebeneinander. ^ Czako war neugierig und hätte gern Fritz heran­gerufen, um dies und das über Katzler und Frau Zu hören. Aber er sah ein, daß das nicht ging, j So blieb ihm nichts als ein Meinungsaustausch > mit Rex.

Sehn Sie," hob er an, unser Freund Woldemar, ^ trabt er da nicht hin, wie wenn er dem Glücke nach­jagte? Glauben Sie mir, da steckt 'ne Geschichte dahinter. Er hat die Frau geliebt oder liebt sie > noch. Und dies merkwürdige Interesse für den in ^ Sicht befindlichen Erdenbürger. Uebrigens vielleicht ein Mädchen. Was meinen Sie dazu, Rex?" ^

Ach Czako, Sie wollen ja doch nur hören, was Ihrer eignen frivolen Natur entspricht. Sie haben keinen Glauben an reine Verhältnisse. Sehr mit Unrecht. Ich kann Ihnen versichern, es giebt dergleichen."

Nun ja, Sie, Rex. Sie, der sich Frühgottes­dienste leistet. Aber Stechlin..."

Stechlin ist auch eine sittliche Natur. Sittlich- ^ keit ist ihm angeboren, und was er von Natur mit­brachte, das hat sein Regiment weiter ausgebildet."

Czako lachte.Nun hören Sie, Rex, Regi­menter kenn' ich doch auch. Es giebt ihrer von allen Arten, aber Sittlichkeitsregimenter kenn' ich noch nicht."

Es giebt's ihrer aber. Zum mindesten hat's ihrer immer gegeben, sogar solche mit Askese."

Nun ja, Cromwell, Puritaner. Aber ,1oog, loog ago'. Verzeihen Sie die abgedudelte Phrase. Aber wenn fich's um so feine Dinge wie Askese handelt, muß man notwendig einen englischen Brocken einschalten. Sonst bleibt alles beim alten. Sie sind ein schlechter Menschenkenner, Rex, wie alle

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Konventikler. Die glauben immer, was sie wün­schen. Und auch an unserm Stechlin werden Sie mutmaßlich erfahren, wie falsch Sie gerechnet haben. Im übrigen kommt da ein Wegweiser. Lassen Sie uns Nachsehen, wo wir eigentlich sind. Wir reiten so immer drauf los und wissen nicht mehr, ob links oder rechts."

Rex war einfach für Weiterreiten, und das war auch das richtige. Denn keine halbe Stunde mehr, so holte Stechlin sie wieder ein.Ich wußte, daß ich Sie noch vor Genshagen treffen würde. Die Frau Oberförsterin läßt sich übrigens den Herren empfehlen. Er war nicht da, was recht gut war."

Kann ich mir denken," sagte Czako.

Und was noch besser war, sie sah brillant aus. Eigentlich ist sie nicht hübsch, Blondine mit großen Vergißmeinnichtaugen und etwas lymphatisch; auch wohl nicht ganz gesund. Aber sonderbar, solche Damen, wenn was in Sicht steht, sehen immer besser aus als in natürlicher Verfassung, ein Zustand, der allerdings bei der Katzler kaum vorkommt. Sie ist noch nicht volle sechs Jahre verheiratet und erwartet mit nächstem das Siebente."

Das ist aber doch unerhört. Ich glaube, so was ist Scheidungsgrnnd."

Mir nicht bekannt und auch, offen gestanden, sehr unwahrscheinlich. Jedenfalls wird es die Prin­zessin nicht als Scheidungsgrund nehmen."

Die Prinzessin?" fuhren Rex und Czako a temxo heraus.

Ja, die Prinzessin," wiederholte Woldemar. Ich war all die Zeit über gespannt, was das für einen Eindruck auf Sie machen würde, weshalb ich mich auch gehütet habe, vorher mit Andeutungen zu kommen. Und es traf sich gut, daß mein Vater gestern abend nur so leicht drüber hinging, ich möchte beinah' sagen diskret, was sonst nicht seine Sache ist."

Prinzessin," wiederholte Rex, dem die Sache beinah' den Atem nahm.Und aus einem regierenden Hause?"

Ja, was heißt aus einem regierenden Hause? Regiert haben sie alle mal. Und soviel ich weiß, wird ihnen dies ,mal regiert haben" auch immer noch angerechnet, wenigstens sowie sichs um Eheschließungen handelt. Um so großartiger, wenn einzelne darauf verzichten und ohne Rücksicht auf Ebenbürtigkeit sich aus reiner Liebe vermählen. Ich sage ,vermählen', weil ,sich verheiraten' etwas plebeje klingt. Frau Katzler ist eine Jppe-Vüchsenstein."

Eine Jppe!" sagte Rex.Nicht zu glauben. Und erwartet wieder. Ich bekenne, daß mich das am meisten chokiert. Diese Ausgiebigkeit, ich finde kein andres Wort, oder richtiger, ich will kein andres finden, ist doch eigentlich das Bürgerlichste, was es giebt."

Zugegeben. Und so hat es die Prinzessin auch selber aufgefaßt. Aber das ist gerade das Große an der Sache; ja, so sonderbar es klingt, das Ideale."

Stechlin, Sie können nicht verlangen, daß man das so ohne weiteres versteht. Ein halb Dutzend Bälge, wo steckt da das Ideale?"

Doch, Rex, doch. Die Prinzessin selbst, und das ist das Rührendste von der Sache, hat sich dar­über ganz direkt ausgesprochen. Und zwar zu meinem Alten. Sie sieht ihn öfter und möchte ihn, glaub' ich, bekehren, sie ist nämlich von der strengen Richtung und hält sich auch zu Super­intendent Koseleger, unserm Papst hier. Und kurz und gut, sie macht meinem Papa beinah' den Hof und erklärt ihn für einen perfekten Kavalier, wobei Katzler immer ein etwas süßsaures Gesicht macht, aber natürlich nicht widerspricht."

Und wie kam sie nur dazu, Ihrem Papa gerade Konfessions in einer so delikaten Sache zu machen?"

Das war voriges Jahr, genau um diese Zeit, als sie auch mal wieder erwartete. Da war mein Vater drüben und sprach, als das durch die Situation gegebene Thema berührt wurde, halb diplomatisch, halb humoristisch von der Königin Luise, hinsichtlich deren der alte Heim, der berühmte Arzt, als auch da das ,Siebente' geboren werden sollte, von der Notwendigkeit der ,Brache' gesprochen hatte."

Bißchen stark," sagte Rex.Ganz im alten Heim-Stil. Aber freilich, Königinnen lassen sich viel gefallen. Und wie nahm die Prinzessin es auf?"

O, sie war reizend, lachte, war weder verlegen noch verstimmt, sondern nahm meines Vaters Hand