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Lieber Land und Meer.
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hatte, danach gefragt, um den Gesang des „Jesu geh voran auf der Lebensbahn" gebeten, als aber der ehrwürdige Geistliche sie darauf aufmerksam gemacht, das; in dem Kirchenliede die Stelle vorkomme: „Soll's uns hart ergehn, laß uns feste stehn," und ob dieser Vers nicht lieber fortgelassen werden solle, da erwiderte sie: „Nein, der
soll erst recht gesungen werden! Ich glaube durchaus nicht, daß ich in meinem neuen Stande immer auf Rosen wandeln werde. Doch habe ich einen Trost: Prinz Wilhelm denkt wie ich, und ich wie er. Wir haben uns vorgenommen, alles gemeinsam zu tragen, und so wird uns auch das Schwere leicht werden!"
Und leicht ist es ihr auch geworden, die Liebe eines ganzen Volkes zu erwerben, das ihr in treuer Verehrung zugethan ist und ihr bei der Wiederkehr ihres Geburtsfestes Glück und Segen in reichster Fülle wünscht.
Aine MtjlkrWk mcl) MV-Asm.
Humoristische Erzählung
KrrrrL Gckberrg.
(Fortsetzung.)
^b Frau Goldstein denken mochte, daß einer von uns Isidor für sie herbeiholen sollte? Jedenfalls blieb sie, wie eine Dampfpumpe Luft schöpfend, einige Minuten stehen, wo sie stand. Wir blieben ebenfalls stehen, stumm und fröhlich, und labten u'ns an ihrem gesunden Anblick.
Sie hatte einen nach dem andern von oben bis unten gemustert.
„Ach, Sie sind wohl die Künstler?" schnarrte sie.
Als ob sie eine Truppe mit Affentheater anredete.
Mecerino siel's gar nicht ein, Zu antworten. Vielmehr bekam er einen roten Kopf. Er war an ganz andres Entgegenkommen gewöhnt.
Die Spatz zuckte stumm die Mundwinkel.
„Ganz recht," erwiderte ich gutmütig.
Wieder mußten wir uns einen hochmütig herausfordernden Blick gefallen lassen.
Dann machte sie Kehrt und rief mit einer Stimme, die die Posaunen von Jericho hätte ersetzen können, zur Thür hinaus:
„Herr Cohn! — Herr Cohn, ich will Sie sprechen!"
Es vergingen einige Augenblicke, dann stürzte Cohn herbei und zwar aus der Thür, durch welche Jeremias das Essen hereingetragen hatte.
„Isidor," rief sie ihm mit Zeichen heftiger Aufregung entgegen, „die Glasphyra ist noch nicht zurück!"
„Was Sie sagen, Frau Goldstein!"
„Ist sie bei Ihnen?"
„Gott der Gerechte, was wird sie bei mir sein!"
„Haben Sie sie gesehen?"
„Gewiß Hab' ich sie gesehen. Auf 'm Bahnhof Hab' ich sie gesehen mit den Rosen, die Sie ihr haben gegeben —"
Die Goldstein fuhr auf Cohn los und, wahrhaftig, sie streckte ihm ihre Faust entgegen.
„Sie ist weg mit 'm Zug," rief sie mit der Wut der Ueberzeugung, „und Sie haben's gewußt!"
Er bewahrte eine gewisse Haltung.
„Frau Goldstein, was find Sie für e Chammer! Wo wird die Glasphyra wegfahren mit 'm Zug —"
„Mit 'm Stenscewicz. Gott der Gerechte, ich Hab' keine Ruh, bis der Stenscewicz nicht weg ist! Keinen Augenblick lass' ich sie mehr los!"
„Lassen Sie gut sein und regen Sie sich nicht auf. Die Glasphyra wird sein zu Hause. Gehen Sie nach Hause und sehen Sie nach —"
Dabei schob und trieb er sie halb mit dem Arm, halb durch seine dringlichen Körperbewegungen nach der Thür.
„Nein, ich geh' nicht nach Hause. Ich kann nicht. Ich Hab' keine Ruh'. Ich werde hier warten, bis sie vorüber kommt."
Mir war's, als zucke über sein Gesicht ein leichter Schreck. Indessen faßte er sich sofort.
„'s wird mir 'ne Ehre sein. Bitte, treten Sie näher in die gute Stube. Hier stören Sie die Künstler."
Wir starrten ihnen nach, als sie das Zimmer verließen. Was sollte das? Was bedeutete das?
„So 'n Halunke!" murmelte Mecerino. „Der bläst auf zwei Flöten."
„Ei gar!" staunte die Spatz.
„Bei der Goldstein spielt er den Freund, und der Glasphyra hilft er —"
„Ei, sehen Sie, wie glatt Ihnen der Name über die Lippen fließt."
„Zufall!"
Kaum war die Goldstein mit Cohn verschwunden, als sich wiederum die jenseitige Thür behutsam öffnete und Jeremias erschien, gefolgt von Glasphyra und einem schlanken, schönen jungen Manne, welcher der bessern Gesellschaft anzugehören schien.
„Sie müssen zuerst 'raus," wendete Jeremias sich mit verschmitztem Augenzwinkern an letzteren. „Damit die Leute Sie nicht zusammen sehen!"
Er schlich auf den Zehen durchs Zimmer, so als ob die Goldstein in nächster Nähe schliefe und man ihr fürchterliches Erwachen umgehen wolle, öffnete vorsichtig die Thür, und der junge Mann eilte, einen flüchtigen Gruß zurücksendend, aus dem Zimmer.
„Drücken Sie sich rechts an die Häuser, damit sie Sie nicht sieht!" zischelte der Pfiffige ihm nach.
Glasphyra — sie trug ein weiches, warmes Tuch über dem Arm — war ans Fenster getreten und hielt die Augen gesenkt. Es war, als ob sie sich vor uns des kleinen Vorganges schäme.
„Der Cousin!" warf Jeremias uns erklärend zu.
Sie schnellte das Haupt in den Nacken, obgleich sie uns den Rücken wendete.
„Darum sehen sie sich auch so ähnlich," bemerkte Mecerino ironisch.
„Auch ein Herr Goldstein?" fragte sogleich die Spatz, aber ebenfalls nicht ohne Spott.
„Jetzt können Sie auch gehen," flüsterte Jeremias dem Mädchen zu. „Drücken Sie sich rechts gegen die Häuser, damit sie Sie nicht sieht!"
Ohne Gruß eilte sie hinaus.
Jeremias schloß grinsend die Thür. Dann folgte er einem Wink Mecerinos.
„Sage mal. Kleiner," nahm dieser das Wort und zog den Halberwachsenen nah' zu sich heran, „was geht denn hier bei euch vor?"
„Einer kommt, und die andern gehen," antwortete Jeremias mit einer Promptheit, die staunenerregend war.
„Schafskopf," erwiderte Mecerino und schlug ihm leicht hinter die Ohren. Jener entsprang wie ein Aeffchen, dem man die Kette gelöst hat.
Isidor Cohn steckte den Kopf in die Thür, und als er nur uns in dem Zimmer gewahrte, kam er herein.
„Sind sie beide weg?" fragte er den Jungen, der bestätigend nickte.
Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
„Gott du Gerechter, was hat sie nur gemacht für ein Geschrei um die Glasphyra. Haben Sie's nicht gehört? Eine wahre Seelenangst hat sie um die Glasphyra. Eine wahre Todesangst hat sie, daß sie dem Levison durch die Finger gehen könnte! Sie ist meschugge."
„Warum will man das Mädchen durchaus zu der Ehe mit diesem allgemein unbeliebten Herrn Levison —"
„Verhaßten Levison — sagen Sie ruhig verhaßtem ; denn er ist verhaßt. Bei den meisten Leuten ist er verhaßt. Warum sie den Levison heiraten soll? Nn, erstens, weil er sie will. Zweitens sitzt der Levison auf 'm großen Vermögen. Ein junger Mann ist er nicht mehr. Wenn ich sage sechzig — na — neunundfünfzig, will ich sagen — da mach' ich ihn auch nicht um ein Jahr älter, als er ist. Wie lange wird er leben? Zehn, fünfzehn, zwanzig Jahr. Er kann auch bald sterben, wenn's das Schicksal will, heute — morgen, wie haißt! Nimmt sie 'n, so bekommt sie seine Millionen. Und stirbt sie kinderlos, so erbt die Joel-Goldstein. Das hat die Solche Goldstein schriftlich mit dem Levison abgemacht. In Breslau liegt der Kontrakt beim Rechtsanwalt Rosenthal. — Jeremias geh zur Goldstein und sag ihr, du wärst drüben gewesen und die Glasphyra wäre zu Hause."
Jeremias schien ohne Schwierigkeiten aufzufassen. Er ging, bestellte, und nach wenigen Minuten dampfte Frau Goldstein aus dem Hause.
Cohn sah ihrem Fortgange mit unverkennbarer Befriedigung zu.
Plötzlich wandte er sich an Mecerino:
„Sie war sehr wütend, daß Sie ihr keine Staatsvisite machen wollen, Willibald. Sie hat gesagt, Isidor, hat sie gesagt, wenn der berühmte Mecerino mir nicht macht seinen Besuch, wie ich's beanspruchen kann als Erste von Rempen, gebe ich den Schlüssel zu meinem Flügel nicht 'raus."
Mecerino lachte gezwungen auf.
„Das wär' noch besser!"
„Sie werden sehen. Gehen sie gütlich hin, sag' ich."
„Da kennen Sie Mecerino schlecht. Wie einen Cirkusreisenden hat sie mich vorhin angeblasen. Der soll ich Besuch machen? Haha!"
„Aber ich muß den Flügel proben," sagte die Spatz.
„Und ich die Akustik prüfen," fügte Mecerino hinzu. „Uebrigens, meine Herrscbaften, bitte ich, nicht mehr mit mir zu sprechen. Meine Stimme will geschont sein. — Wo ist der Saal, Isidor?"
„Ach so. Sie wollen ihn sich ansehen! Kommen Sie."
Er machte den Fremdenführer.
Die Konzerthalle, ein großer Raum mit sechs Spitzenbogenfenstern, die auf die Straße hinausführten, besaß eine Bühne, welche als Konzertpodium dienen mußte. Man konnte von der Bühne aus sogar die Straße und die gegenüberliegende Häuserfront beobachten, wenn man sich im Vordergrund befand.
Villa Levison, ebenfalls ein vornehmeres Gebäude als seine Nachbarn — es hatte einen leuchtend gelben Anstrich, Erdgeschoß und Bel-Etage — wies bereits einladend aus den Kunstgenuß des Abends hin. Da standen alle Fenster offen, und die über die Brüstungen hinüberschanenden Stuhllehnen bewiesen, daß der Platzverkaus ein recht ergiebiges Geschäft gewesen sein mußte. In dem Dunkel des Hintergrundes bewegte sich eine kleine Gestalt.
„Da ist der Levison," sagte Cohn mit dem Ausdruck der Gehässigkeit. „Der ist nicht gekommen, zu hören das Konzert; der ist nur gekommen, um sich zu weiden an der Glasphyra!"
Ein dämonisches Lächeln umspielte seinen Mund. Kein Funken Güte darin. Dann spuckte er aus.
Die Spatz hatte sich mit Mecerinos Hilfe auf die Bühne geschwungen, eine etwas merkwürdige Ansfahrt, die unter Gelächter und Gequietsche vor sich ging und mich bewog, lieber den normalen Ausgang zu benutzen.
Der normale Aufgang war eng und dunkel. Isidor geleitete mich. Zuerst durch eine Seitenthür des Saales, die auf einen dunkeln Rundgang führte, dann einige zwischen engem Bretterwerk sich windende Stufen aufwärts — dunkelste Nacht, ein Lichtschimmer durch ein rundes Löchelchen. Cohn quetschte seinen Arm an mir vorbei, drückte auf einen Knopf — vor uns lag taghell die Bühne.
Die Spatz und Mecerino standen am Flügel. Er wollte sich totlachen, und sie hielt uns ihre zehn gespreizten Finger degoutiert entgegen.
„Haben Sie den mal als Schmalzkiste benutzt?" fragte Mecerino.
Cohn wischte mit der gekrümmten Hand über die glänzende Fläche, die thatsächlich von Fett triefte, und murmelte: „'n bißchen viel!"
„Na, aber 'n bißchen sehr viel. Was haben Sie denn damit gemacht? Man wird zum Fettfleck, wenn man sich nur dran stößt."
Isidor warf sich in die Brust.
„Ich Hab' ihn abreiben lassen mit Oel."
„Ei gar!" rief die Spatz. „Mein Gutster, warum denn das?"
„Da ist er geworden wie neu. Wie neu!"
Mit einem Blick innigsten Stolzes umfaßte er den Flügel, den die Spatz voll Entsetzen anstarrte.
„Ja — ist er denn nicht neu?" fragte sie endlich. Sie war gewöhnt, in Konzerten nur taufrische Instrumente zu benutzen.
„Nu — so ganz neu ist er nicht," entgegnete Cohn, mit einem Gesicht, als hielte er einen neuen Flügel überhaupt für eine Beleidigung. „Es ist doch der Flügel von der Goldstein, den der Levison vor drei Jahren gekauft hat ans der Auktion.
„Wenn das nur kein ausgedientes Roß ist," murmelte die Spatz düster und wollte öffnen. Aber der Deckel widerstand. Sie trat zurück. „Bitte, schließen Sie aus, Herr Cohn."