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Ueber Land und Meer.
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Unterzeichnete Herzog Christian August die Verzichtsurkunde zu Gunsten seines ältesten Sohnes, und dieser, der Erbprinz Friedrich, that die zunächst nötigen Schritte, um sein Recht auf die Krone und Herrschaft der Herzogtümer zu wahren. Es würde uns hier zu weit führen, auch nur in kürzesten Zügen die Geschichte jener Bestrebungen zu schildern, erwähnen wollen wir nur, daß der Erbprinz von seinem heiligen Recht überzeugt war, daß er sein Heimatland auf das glühendste liebte, und daß ihn wahrlich nicht das Streben nach Glanz und Besitz leitete. „Was ich will," sagte er bei den im November 1863 in Gotha gepflogenen Beratungen, „ist, die Herzogtümer von der dänischen Herrschaft zu befreien. Ich kann mir sehr wohl denken, daß meine Person in diesem abscheulichen Kampfe, dem ich entgegengehe, unmöglich wird. Für diesen Fall muß ich, um meinen Zweck besser zu erreichen, in der Lage sein, mein Recht an einen andern deutschen Fürsten cedieren zu können." Sein Recht wurde in einer persönlichen Unterredung auch vom damaligen preußischen Ministerpräsidenten von Bismarck anerkannt, aber letzterer steuerte bereits das preußische Staatsschiff in den Wellen der groß-deutschen Politik und hätte lieber die Herzogtümer unter dänischer Herrschaft gesehen als unter der eines deutschen Fürsten, da er in dem ersteren Falle sie bei dem bevorstehenden Entscheidungskampfe zwischen Nord und Süd an Preußen angliedern konnte, was im zweiten Falle unmöglich oder doch mit weit größeren Schwierigkeiten verbunden gewesen wäre.
Eine schwere Leidensperiode war für den Erbprinzen angebrochen, Hoffnung wechselte mit Entmutigung, Zuversicht mit Verzagen; „Mein Recht ist eure Rettung!" so hatte der Erbprinz oder nunmehrige Herzog Friedrich seinen Landsleuten zugerufen, und von seinem Recht wollte er nicht abgehen, obwohl man ihm goldene Brücken zu einem Ausgleiche baute oder ihn mit Drohungen einzuschüchtern suchte. Er und seine Ratgeber waren deutsch bis zur letzten Faser ihres Seins, aber sie konnten die Ziele der Bismarckschen Politik unmöglich erraten, jene Ziele, die damals dem großen Kanzler wohl selbst noch nicht ganz fest vor Augen standen, denn, wie er dieses ja mehrfach betont, „kommt in der Politik alles oft ganz anders!" Als deutscher Fürst und als Ehrenmann durch und durch hat sich Herzog Friedrich in dem langwierigen Kampfe erwiesen, und mit voller Ueberzeugung konnte er nach Beendigung desselben schreiben: „Daß ohne mein Auftreten die Herzogtümer nicht von Dänemark getrennt worden wären, das weiß ich, und es wird nicht gelingen, dieses Blatt der Geschichte, das mir gehört, auszureißen."
Dem herzoglichen Paare war am 22. Oktober 1858 in Dölzig das erste Töchterchen geboren worden, das in der Taufe am 30. November die Vornamen Auguste Viktoria Luise Feodora Jenny erhielt, und unter dessen Paten sich der Prinzregent von Preußen mit seiner Gemahlin und Prinz Friedrich Wilhelm (der spätere Kaiser Friedrich) mit seiner Gemahlin befanden. Eine zweite Tochter, Prinzessin Karoline Mathilde (seit 1885 vermählt mit dem Herzog Friedrich Ferdinand von Schleswig-Holstein-Sonderburg- Glücksburg) folgte am 25. Januar 1860; ein Sohn, der jetzige Herzog Ernst Günther, am 11. August 1863; eine dritte Tochter, die Prinzessin Luise Sophie (seit 1889 mit dem Prinzen Friedrich Leopold von Preußen vermählt) am 3. April 1866; eine vierte, Prinzessin Feodora, am 3. Juli 1874. Ihre erste Jugend verlebte die deutsche Kaiserin in dem schlichten Gutshause von Dölzig, dann kam die kurze Kieler Periode, während deren die herzogliche Familie eine Villa in Düsterbrook bewohnte, um hierauf nach Gotha tiberzusiedeln. Auch hier lebte der Herzog mit den Seinen in stiller Zurückgezogeheit; nur Theater und Konzerte wurden eifrig besucht, aber jede größere Geselligkeit vermieden. Wer zu dem herzoglichen Paare in Beziehungen trat, war entzückt von dem gütigen und bescheidenen Wesen desselben und von den liebenswürdigen Kindern, die die Eltern in einzelnen Fächern selbst unterrichteten, während für die mehr wissenschaftlichen Gegenstände die besten Lehrer angenommen waren. „Wem es vergönnt war, in dem fürstlichen Familienkreise zu verkehren, dem wird die Innigkeit und Reinheit, die dem ganzen Leben ihren Stempel aufdrückte, unvergessen bleiben. Fürstliche Sitte war dort mit bürgerlicher Einfachheit zu einem wahrhaft idealen Bilde vereinigt." So die Schilderung eines Bekannten der herzog-
Nach deni am 11. März 1869 erfolgten Tode des Herzogs Christian August, dessen Gemahlin kurz zuvor verschieden war, fiel die Herrschaft Primkenau an den Sohn, den Herzog Friedrich, der dorthin übersiedelte. Primkenau, ein echtes und rechtes schlesisches Landstädtchen mit idyllischer Ruhe und wohlthueuder Einfachheit, sieht auf eine lange Geschichte zurück, denn es soll schon 1280 von Herzog Primis- laus gegründet worden sein. Aber das lange Bestehen hat wenig zur Entwicklung des Ortes beigetragen, er zählt heute nur wenig mehr als zweitausend Einwohner und würde auch wohl jetzt noch weit vom Schienenstrange liegen, wenn nicht mit der Herrschaft Primkenau umfangreiche Hüttenwerke verbunden wären, die, vorzüglich verwaltet, eine reiche Produktion entfalten, die sich von Jahr zu Jahr vermehrt und stets neue Absatzquellen findet. Die Herrschaft umfaßt, mit dem später zugekauften Gute Cosel,
56 000 Morgen, also fast drei Quadratmeilen, und hiervon sind über 40 000 Morgen Wald; der um das Schloß sich ziehende Wildpark bedeckt allein 1000 Morgen.
Jenes Schloß, welches der Herzog Friedrich mit seiner Familie bezog, ist heute verschwunden, da sich der jetzige Besitzer, Herzog Ernst Günther, nach Plänen des Hofbaurats Ihne ein stattliches neues Schloß hat erbauen lassen, das in seinen prunkvollen Formen den Renaissancestil mit dem der deutschen Burgbauten glücklich vereint; in großartiger Weise ist das Innere ausgestattet, angefüllt mit vielen kunstgewerblichen Meisterstücken alter Zeit, mit den Jagdtrophäen und Reise-Erinnerungen seines Besitzers, der manche Fahrten nach fremden Landen unternommen hat und gern dem edeln Weidwerke obliegt. Bescheidener sah es freilich in dem alten Schlosse aus, aber ungemein behaglich und wohnlich; dichte Baumkronen rauschten in die Zimmer ihr trauliches Lied hinein. Versteckt in dem Park lag ein weinlaub- und epheuumranktes Schweizerhäuschen, und auf den klaren Wellen der nahen Sprotte schaukelten sich zierliche Kähne, die zu abendlichen Ruderpartien benutzt wurden. Diese liebliche Einsamkeit und das Glück seiner Familie entschädigten den Herzog Friedrich für die bitteren Erfahrungen und Enttäuschungen der Vorjahre. Auf das angelegentlichste und liebevollste widmete sich das herzogliche Paar der Erziehung seiner Kinder, die blühend und frisch heranwuchsen und im innigsten Verkehr mit der holden Natur standen, der Geist und Körper am gesündesten erhält. Aber das Lernen wurde darüber nicht vergessen; eine Engländerin, Miß Walker, wurde als Lehrerin, ein Kandidat der Theologie, Mühlenhardt, als Lehrer berufen, und sechs bis acht Stunden umfaßte der tägliche Unterricht, dem häufig der Herzog und die Herzogin beiwohnten. „Auf Geschichte und Religion wurde von den herzoglichen Eltern besonderer Wert gelegt," berichtet der Prediger E. Evers. „Der Herzog verlangte, daß in der Religionsstunde seinen Kindern nicht Worte auf die Lippen gelegt, sondern Geist und Leben ins Herz gesenkt würden. Er verlangte, daß in der Geschichtsstunde jedes Wort vermieden werde, das von den Kindern als Nichterspruch über die Völker und Fürsten aufgefaßt werden könnte. Den Finger Gottes sollten die Kinder in den Geschicken der Völker erkennen, die Thaten der Menschen sollten stets milde beurteilt werden. Es war der ausdrückliche Befehl des Herzogs für den Geschichtsunterricht, durchaus keine Voreingenommenheit für oder gegen irgend einen Staat entstehen zu lassen, geschweige denn zu pflegen."
Die Eltern gingen ganz in ihren Kindern auf; von lustigem Jubel hallte oft genug der Park wieder, und in fröhlichen Spielen tummelte sich nach der gemeinsamen Abendmahlzeit alt und jung; häufig wurden längere Wagenfahrten durch das weite Besitztum unternommen uud dann an irgend einer schönen Stelle Halt gemacht, um im Grünen lauschiger Ruhe zu pflegen. Von den Eltern waren die Vornamen der Kinder in zärtlicher Weise abgekürzt worden, und natürlich nannten sich auch die Kleinen so untereinander; die älteste Tochter, Auguste Viktoria, wurde „Dona", Karoline Mathilde „Calma", Luise Sophie „Jaja", Feodora „Feo" und der Sohn Ernst Günther „Dicki" gerufen. Des Herzogs Zeit wurde viel in Anspruch genommen durch die Oberaufsicht seiner Güter, die er vielfach, besonders durch Entwässerungen, verbesserte, wie er auch der Pferdezucht aufmerksames Interesse zuwandte; in den Abendstunden, wenn die Kinder zur Ruhe waren, arbeitete er an einer Lebensbeschreibung seines Vaters, die, sollte sie einmal veröffentlicht werden, gleichfalls einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der schleswig-holsteinischen Erhebung bilden würde. Herzogin Adelheid führte schon früh ihre beiden ältesten Töchter an die Betten der Kranken uud Siechen; die beiden Prinzessinnen reichten persönlich den Leidenden Erquickungen dar und verbreiteten lichten Sonnenschein in den kleinen Stuben der Häusler und Arbeiter. Zu Ostern und Pfingsten ging es in der Küche des Schlosses hoch her; ganze Kuchenberge wurden an die Bevölkerung verteilt, aber die schönsten und erinnerungsvollsten Tage bildete auch hier wieder das Weihuachtsfest, denn schon wochenlang vorher fertigten die Töchter allerhand hübsche Gaben an, die nebst andern Geschenken am heiligen Abend im Schlosse unter den Lichtern des Christbaumes an die Primkenauer Jugend und die Armen des Städtchens von den Prinzessinnen verteilt wurden. War der Schnee geschmolzen, zerrannen die Eisdecken der Teiche, auf denen man sich eifrig im Schlittschuhlauf geübt hatte, und sandte der Lenz seine lichten Vorboten voraus, so ging es mit freudigem Eifer an die Bestellung der Beete, von denen jedes Kind des Herzogspaares eines sein eigen nannte, und welch frohe Genugthuung dann, wenn die ersten selbstgeernteten Erdbeeren den geliebten Eltern gebracht, das erste junge Gemüse in der Küche abgeliefert werden konnte! Auch in eignen Kochkünsten versuchten sich die jungen Prinzessinnen, denn die Mutter hatte ihnen neben der Spielstube eine Küche einrichten lassen, ln der eifrig gekocht, gebraten, gebacken wurde, und Heller Jubel ertönte, wenn die blondlockigen kleinen Damen diesem oder jenem der zahlreichen Gäste des elterlichen Hauses etwas von ihren Kochkunstherrlichkeiten darbieten dursten und dafür ein Lob einheimsten.
Aber schöner als das lau!gespendete Lob waren jene
Segensworte, die den Prinzessinnen nicht zu Ohren drangen, und deren Echo man noch heute in der Primkenauer Gegend oft vernehmen kann. Zu entfernteren Dörfern richteten häufig „Dona" und „Calma" ihre Schritte, um den Kranken kräftigenden Wein und stärkende Speisen zu bringen. Als sie auf einem dieser Gänge ein altes Mütterchen mit einem schweren Schiebkarren trafen, da zogen sie tapfer mit, bis die Alte vor ihrem Hause angelangt war, und ein andermal, als sie einen Dorfjungen weinend am Wege sitzend fanden und hörten, daß er sich einen Dorn in den Fnß getreten, da spielten sie die Samariterinnen, entfernten den Dorn, wuschen und verbanden die Wunde und führten den Kleinen nach Hause; als einst ein Kind spielend auf dem Fahrwege saß und in schnellem Trabe ein Wagen heranrollte, da sprang „Dona", die spätere Kaiserin, flugs hinzu und riß im letzten Augenblick das Bübchen fort.
Einsamer und stiller als sonst verfloß der Winter des Jahres 1870; Herzog Friedrich weilte im Feindeslande, denn sobald die ersten Kriegsgerüchte durch die deutschen Lande schwirrten, war auch sein Entschluß gefaßt, als deutscher Fürst mit in den Kampf zu ziehen, und er schloß sich dem Hauptquartier des deutschen Kronprinzen an, mit welch letzterein ihn schon seit langem das trauliche „Du" verband. Bei Sedan war er zugegen, wo das französische Kaisertum zertrümmert ward, und in Versailles gehörte er mit zu den Fürsten, die dem König Wilhelm als deutschem Kaiser zujubelten. Nicht umsonst waren seine schweren Opfer gebracht worden, die von Anfang an der sich mählich vorbereitenden deutschen Einigung zu statten gekommen. Im Frühjahr 1871 war Herzog Friedrich zu den Seinen zurückgekehrt; von den Anstrengungen und Aufregungen des Feldzuges suchte er sich mit seiner Familie in Baden- Baden zu erholen, und bald nach ihrer Ankunft gesellte sich zu den herzoglichen Kindern ein neuer Spielkamerad: Prinz Wilhelm von Preußen, der mit seinen Eltern hierhergekommen und der den Prinzessinnen kein Fremder war, da er schon einige Jahre zuvor sich in Reinhardsbrunn mit „Dona" und „Calma" in frohem Spiel umhergetummelt hatte.
Acht Jahre später! Wieder ist der Frühling ins Land gezogen, und wieder trifft in der herzoglichen Familie, diesmal in Primkenau, die Meldung ein: „Prinz Wilhelm kommt!" Zur Auerhahnjagd hat ihn Herzog Friedrich geladen, oder der weidmannslustige Prinz hatte wohl auch selbst angefragt, ob er kommen dürfe — doch ob nur die Jagdlust ihn nach dem stillen schlesischen Fürstensitze geführt? Kurze Zeit vorher war ja die herzogliche Familie im Neuen Palais zum Besuche des kronprinzlichen Paares gewesen — und sollten es nicht dort schon oder gar früher bereits zwei treuherzige blaue Augen dem jugendfrischen Hohen- zollernsprossen angethan haben? Soll doch der Prinz schon am Tage nach seiner Primkenauer Ankunft an seinen kaiserlichen Großvater hvffnungsfreudig telegraphiert haben: „Veni, viäi, vioi!" Nachdem er nach Potsdam zurück- gekehrt war, traf wenige Tage später die schriftliche Werbung um die Hand der Prinzessin Auguste Viktoria bei deren Eltern ein, uud jedes Wort in derselben atmete aufrichtige Hingebung. Denn mit der Politik, wie es so oft bei fürstlichen Ehen der Fall ist, hatte diese Verbindung nichts zu thun; sie war beiderseits eine innigste Herzensneigung, dem reiusten Liebesgefühl entsprossen. Falsch ist daher die immer wieder gelegentlich auftaucheude Meldung, daß Fürst Bismarck irgendwelche Anregung zu diesem Bunde gegeben habe; er wurde erst verständigt, als sich der Prinz und die Prinzessin sowie die Eltern beider durchaus einig waren, und er hatte vom politischen Standpunkte aus keinerlei Einwendungen gegen diese Verbindung, über die er, und das mag seinen Empfindungen völlig entsprochen haben, geäußert haben soll: „Es ist der freudige Schlußakt eines konfliktreichen Dramas."
Einzig und allein nur von dem Gefühl getrieben, das Glück seiner Tochter zu gründen, gab Herzog Friedrich seine Einwilligung; von Anfang an hatte er erklärt, daß seine offizielle Aussöhnung mit der Krone absolut nichts mit dieser Herzensfrage zu thun habe, und daß nicht beides doch noch vereint werden konnte, verhinderte sein am 14. Januar 1880 in Wiesbaden erfolgter Tod, der weit über den Kreis seiner Familie hinaus schmerzlich empfunden wurde. In reinster Klarheit haftet sein Bild in den Herzen der Seinen, und tief bewegen uns die Worte, die Prinzessin Auguste Viktoria, die sich wegen der Trauer in aller Stille mit dem Prinzen Wilhelm in Gotha verlobt hatte und dann zum Besuche ihrer Verwandten nach England gefahren war, von dort aus an ihren Primkenauer Seelsorger schrieb: „Sie, geehrter Herr Pastor, werden verstehen, wie gerade bei einem so freudigen Ereignisse ich meinen herrlichen, unvergeßlichen Vater entbehre. Er, der unsre kleinste Freude teilte, wie hätte er mein Glück geteilt! Aber er wußte, wie lieb wir uns hatten, und dies ist ein großer Trost für mich. Als leuchtendes Beispiel wird das Leben meines Vaters mir stets vorschweben. Könnte ich ihm nur entfernt ähnlich werden!"
Und dort, wo der geliebte Vater begraben war, in dem Primkenauer Gotteshause, da wohnte im Februar 1881 die Prinzessin „Dona" im Kreise der Ihren dem letzten heimatlichen Gottesdienste vor ihrer Vermählung bei; sie