Heft 
(1898) 07
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Aeöer Land und Meer.

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und vor allem sehr kritisch. Was doch immer ein Vorzug ist."

Sehr warr, sehr warr," unterbrach hier Wrschowitz.

Er war sehr kritisch," wiederholte Woldemar. Namentlich auch gegen seinen Bruder, den König. Und die Malcontenten, deren es auch damals schon die Hülle und Fülle gab, waren beständig um ihn herum. Und dabei kommt immer was heraus."

Sehr warr, sehr warr..."

Denn zufriedene Hofleute sind allemal öd und langweilig, aber die Frondeurs, wenn die den Mund aufthun, da kann man was hören."

Gewiß," sagte Armgard.Aber trotzdem, Herr von Stechlin, ich kann das Frondieren nicht leiden. Frondeur ist doch immer nur der gewohnheitsmäßig Unzufriedene, und wer immer unzufrieden ist, der taugt nichts. Immer Unzufriedene sind dünkelhaft und oft boshaft dazu, und während sie sich über andre lustig machen, lassen sie selber viel zu wünschen."

Sehr warr, sehr warr, gnädigste Comtesse," verbeugte sich Wrschowitz.Aber, wollen verzeihn, ich bin doch für Frondeur. Frondeur ist Krittikk, und wo Guttes sein will, muß sein Krittikk. Deutsche Kunst viel Krittikk. Erst muß sein Kunst, gewiß, gewiß, aber gleich danach muß sein Krittikk. Krittikk ist wie große Revolution. Kopf ab aus Prinzipp. Kunst muß haben ein Prinzipp. Und wo Prinzipp is, is Kopf ab."

Alles schwieg, so daß dem Grafen nichts übrig blieb, als etwas verspätet seine halbe Zustimmung auszudrücken. Armgard ihrerseits beeilte sich, auf Rheinsberg zurückzukommen, das ihr trotz des fatalen Zwischenfalls mitKopf ab", im Vergleich zu viel­leicht wiederkehrenden Musikgesprächen, immer noch als ein Nothafen erschien.

Ich glaube," sagte sie,neben manchem andern auch mal von der Frauenfeindschaft des Prinzen gehört zu haben. Er soll irre ich mich, so werden Sie mich korrigieren ein sogenannter Misogyne gewesen sein. Etwas durchaus Krankhaftes in meinen Augen oder doch mindestens etwas sehr Sonderbares."

Sehr sonderbare," sagte Wrschowitz, während sich, unter Hinblick auf Armgard, sein Gesicht huldigend verklärte.

Wie gut, lieber Wrschowitz," fuhr Armgard fort,daß Sie, mein Wort bestätigend, für uns arme Frauen und Mädchen eintreten. Es giebt immer noch Ritter, und wir sind ihrer so sehr be­nötigt. Denn wie mir Melusine erzählt hat, sind die Weiberfeinde sogar stolz darauf, Weiberfeinde zu sein, und behandeln ihr Denken und Thun als eine höhere Lebensform. Kennen Sie solche Leute, Herr von Stechlin? Und wenn Sie solche Leute kennen, wie denken Sie darüber?"

Ich betrachte sie zunächst als Unglückliche."

Das ist recht."

Und zum zweiten als Kranke. Der Prinz, wie Comtesse schon ganz richtig ausgesprochen haben, war auch ein solcher Kranker."

Und wie äußerte sich das? Oder ist es über­haupt nicht möglich, über das Thema zu sprechen?"

Nicht ganz leicht, Comtesse. Doch in Gegen­wart des Herrn Grafen und nicht zu vergessen auch Doktors Wrschowitz, der so schön und so ritterlich gegen die Misogynität Partei genommen, unter solchem Beistände will ich es doch wagen."

Das ist recht. Denn ich brenne vor Neugier."

Und will auch nicht länger ängstlich um die Sache herumgehen. Unser Rheinsberger Prinz war ein richtiger Prinz aus dem vorigen Jahrhundert. Die jetzigen sind Menschen; die damaligen waren nur Prinzen. Eine der Passionen unsers Rheins­berger Prinzen wenn man will, eine Art Ab­zweigung von dem, was schon gesagt wurde war eine geheimnisvolle Vorliebe für jungfräuliche Tote, besonders Bräute. Wenn eine Braut im Rheins- bergischen, am liebsten auf dem Lande, gestorben war, so lud er sich dabei zu Gast. Und eh' der Geistliche noch da sein konnte (den vermied er), er­schien er und stellte sich an das Fußende des Sarges und starrte die Tote an. Aber sie mußte geschminkt sein und aussehen wie das Leben."

Aber das ist ja schrecklich," brach es beinahe leidenschaftlich aus Armgard hervor.Ich mag diesen Prinzen nicht und seine ganze Fronde nicht. Denn die müssen ebenso gewesen sein. Das ist ja

Blasphemie, das ist ja Gräberschündung, ich muß das Wort aussprechen, weil ich so empört bin und nicht anders kann."

Der alte Graf sah die Tochter an, und ein Freuden- ftrahl umleuchtete sein gutes altes Gesicht. Auch Wrschowitz empfand so was von unbedingter Huldi­gung, bezwang sich aber und sah, statt auf Armgard, auf das Bild der Gräfin-Mutter, das von der Wand niederblickte.

Nur Woldemar blieb ruhig und sagte:Com­tesse, Sie gehen vielleicht zu weit. Wissen Sie, was in der Seele des Prinzen vorgegangen ist? Es kann etwas Infernales gewesen sein, aber auch etwas andres. Wir wissen es nicht. Und weil er nebenher unbedingt große Züge hatte, so bin ich dafür, ihm das in Rechnung zu stellen."

Bravo, Stechlin," sagte der alte Graf.Ich war erst Armgards Meinung. Aber Sie haben recht, wir wissen es nicht. Und so viel weiß ich noch von der Juristerei her, in der ich, wohl oder übel, eine Gastrolle gab, daß man in zweifelhaften Fällen iu kavorsm entscheiden muß. Uebrigens geht eben die Klingel. An bester Stelle wird ein Gespräch immer unterbrochen. Es wird Melusine sein. Und so sehr ich gewünscht hätte, sie wäre von Anfang an mit dabei gewesen, wenn sie jetzt so mit einem Male dazwischen fährt, ist selbst Melusine eine Störung."

Es war wirklich Melusine. Sie trat, ohne draußen abgelegt zu haben, ins Zimmer, warf das schottische Cape, das sie truL, in eine Sofa-Ecke und schritt, während sie noch den Hut aus dem Haare nestelte, bis an den Tisch, um hier Zunächst den Vater, dann aber die beiden andern Herren zu be­grüßen.Ich seh' euch so verlegen, woraus ich schließe, daß eben etwas Gefährliches gesagt worden ist. Also etwas über mich."

Aber, Melusine, wie eitel."

Nun, dann also nicht über mich. Aber über wen? Das wenigstens will ich wissen. Von wem war die Rede?"

Vom Prinzen Heinrich. Aber von dem ganz alten, der schon fast hundert Jahre tot ist."

Da konntet Ihr auch was Besseres thun."

Wenn du wüßtest, was uns Stechlin von ihm erzählt hat, und daß er nicht Stechlin, aber der Prinz ein Misogyne war, so würdest du viel­leicht anders sprechen."

Misogyne. Das freilich ändert die Sache. ^Za, lieber Stechlin, da kann ich Ihnen nicht helfen, davon muß ich auch noch hören. Und wenn Sie mir's abschlagen, so wenigstens was Gleichwertiges."

Gräfin Melusine, was Gleichwertiges giebt es nicht."

Das ist gut, sehr gut, weil es so wahr ist. Aber dann bitt' ich um etwas zweiten Ranges. Ich sehe, daß Sie von Ihrem Ausfluge erzählt haben, von Ihrem Papa, von Schloß Stechlin selbst oder von Ihrem Dorf und Ihrer Gegend. Und davon möcht' ich auch hören, wenn es auch freilich nicht an das andre heranreicht."

Ach, Gräfin, Sie wissen nicht, wie bescheiden es mit unserm Stechliner Erdenwinkel bestellt ist. Wir haben da, von einem Pastor abgesehen, der beinah' Sozialdemokrat ist, und des weiteren von einem Oberförster abgesehen, der eine Prinzessin, eine Jppe- Büchsenstein, geheiratet hat..."

Aber das ist ja alles großartig..."

Wir haben da, von diesen zwei Sehenswürdig­keiten abgesehen, eigentlich nur noch den ,Stechlin'. Der ginge vielleicht, über den ließe sich vielleicht etwas sagen."

Den ,Stechlin'? Was ist das? Ich bin so glücklich, zu wissen" (und sie machte verbindlich eine Handbewegung auf Woldemar zu)ich bin so glücklich, zu wissen, daß es Stechline giebt. Aber der Stechlin! Was ist der Stechlin?"

Das ist ein See."

Ein See. Das besagt nicht viel. Seen, wenn es nicht grade der Vierwaldstätter ist, werden immer erst interessant durch ihre Fische, durch Sterlet oder Felchen. Ich will nicht weiter aufzählen. Aber was hat der Stechlin? Ich vermute, Steckerlinge."

Nein, Gräfin, die hat er nun gerade nicht. Er hat genau das, was Sie geneigt find am wenigsten zu vermuten. Er hat Weltbeziehungen, vornehme, geheimnisvolle Beziehungen hat er, und

nur alles Gewöhnliche, wie beispielsweise Stecker­linge, das hat er nicht, das fehlt ihm."

Aber, Stechlin, Sie werden doch nicht den Empfindlichen spielen. Rittmeister in der Garde!"

Nein, Gräfin. Und außerdem, den wollt' ich sehen, der das Ihnen gegenüber zuwege brächte."

Nun dann also, was ist es? Worin bestehen seine vornehmen Beziehungen?"

Er steht mit den höchsten und allerhöchsten Herrschaften, deren genealogischer Kalender noch über den Gothaischen hinauswächst, auf du und du. Und wenn es in Java rumort oder auf Island, oder der Geiser mal in Doppelhöhe dampft und springt, dann springt auch in unserm Stechlin ein Wasser­strahl auf, und einige (wenn es auch noch niemand gesehen hat), einige behaupten sogar, in ganz schweren Fällen erscheine zwischen den Strudeln ein roter Hahn und krähe hell und weckend in die Ruppiner Grafschaft hinein. Ich nenne das vornehme Be­ziehungen."

Ich auch," sagte Melusine. Wrschowitz aber, dessen Augen immer größer geworden waren, murmelte vor sich hin:Sehr warr, sehr warr."

XIV.

Es war zu Beginn der Woche, daß Woldemar seinen Besuch im Barbyschen Hause gemacht hatte. Schon am Mittwoch früh empfing er ein Billet von Melusine.

Lieber Freund. Lassen Sie mich Ihnen noch nachträglich mein Bedauern aussprechen, daß ich vorgestern nur gerade noch die letzte Scene des letzten Aktes (Geschichte vom Stechlin) mit erleben konnte. Mich verlangt es aber lebhaft, mehr davon zu wissen. In unsrer sogenannten großen Welt giebt es so wenig, was sich zu sehen und zu hören verlohnt; das meiste hat sich in die stillen Winkel der Erde zurückgezogen. Allen vorauf, wie mir scheint, in Ihre Stechliner Gegend. Ich wette. Sie haben uns noch über vieles zu berichten, und ich kann nur

wiederholen, ich möchte davon hören. Unsre gute

Baronin, der ich davon erzählt habe, denkt ebenso;

sie hat den Zug aller naiven und liebenswürdigen Frauen, neugierig zu sein. Ich, ohne die genannten Vorbedingungen zu erfüllen, bin ihr trotzdem an Neugier gleich. Und so haben wir denn eine Nach­mittagspartie verabredet, bei der Sie der große Er­zähler sein sollen. In der Regel freilich verläuft es anders wie gedacht, und man hört nicht das, was man hören wollte. Das darf uns aber in

unserm guten Vorhaben nicht hindern. Die Baronin hat mir etwas vorgeschwärmt von einer Gegend, die sie ,Oberspree' nannte (die vielleicht auch wirk­lich so heißt), und wo's so schön sein soll, daß sich die Havelherrlichkeiten daneben verstecken müssen. Ich will es ihr glauben, und jedenfalls werd' ich es ihr nachträglich versichern, auch wenn ich es nicht gefunden haben sollte. Das Ziel unsrer Fahrt ein Punkt, den übrigens die Berchtesgadens noch nicht kennen; sie waren bisher immer erheblich weiter flußaufwärts das Ziel unsrer Reise hat einen ziemlich sonderbaren Namen und heißt das ,Eier­häuschen'. Ich werde seitdem die Vorstellung von etwas Ovalem nicht los und werde wohl erst ge­heilt sein, wenn sich mir die so sonderbar benamste Spreeschönheit persönlich vorgestellt haben wird. Also morgen, Donnerstag: Eierhäuschen. Ein,Nein' giebt es natürlich nicht. Abfahrt vier Uhr, Jannowitz- brücke. Papa begleitet uns; es geht ihm seit heut um vieles besser, so daß er sich's zutraut. Vielleicht ist vier etwas spät; aber wir haben dabei, wie mir Lizzi sagt, den Vorteil, auf der Rückfahrt die Lichter im Wasser sich spiegeln zu sehen. Und vielleicht ist auch irgendwo Feuerwerk, und wir sehen dann die Raketen steigen. Armgard ist in Aufregung, fast auch ich. Xu revoir. Eines Herrn Rittmeisters wohlaffektionierte Melusine."

*

Nun war der andre Nachmittag da, und kurz vor vier Uhr fuhren erst die Berchtesgadens und gleich danach auch die Barbys bei der Jannowitz- brücke vor. Woldemar wartete schon. Alle waren in jener heitern Stimmung, in der man geneigt ist, alles schön und reizend zu finden. Und diese Stim­mung kam denn auch gleich der Dampfschiffahrts­station zu statten. Unter lachender Bewunderung der sich hier darbietenden Holzarchitektur stieg man