Heft 
(1898) 09
Seite
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Ganz undenkbar, lieber Lorenzen. Ich bin noch nicht lang in dieser Gegend, in meinem guten Quaden-Hennersdorf da drüben, aber wenn auch nicht lange, so doch lange genug, um zu wissen, wie's hier herum aussieht. Und Ihr Renommee... Sie sollen so was von einem Feinschmecker an sich haben. Kann ich mir übrigens denken. Sie sind Aeflhetikus, und das ist man nicht ungestraft, am wenigsten in Bezug auf die Zunge. Neberhaupt das Aesthetische. Für manchen freilich ein Unglück. Das Haus hier vor uns ist wohl Ihr Schulhaus? Weiß­gestrichen und kein Fetzchen Gardine, das ist immer 'ne preußische Schule. So wird bei uns die Volks­seele für das, was schön ist, groß gezogen. Aber es kommt auch was dabei heraus! Mitunter wundert's mich nur, daß sie die Bauten aus der Zeit Friedrich Wilhelms I. nicht mehr konservieren. Eigentlich war das doch das Ideal. Graue Wand, hundert Löcher drin und unten großes Hauptloch. Und natürlich ein Schilderhaus daneben. Letzteres die Hauptsache. Schade, daß so was verloren geht. Uebrigens rettet hier der grüne Staketenzaun das Ganze. . . Wie heißt doch der Lehrer?"

Krippenstapel."

Richtig, Krippenstapel. Katzler nannte ihn ja während der Sitzung mit einer Art Aplomb. Ich erinnere mich noch, wie mir der Name wohlthat, als ich ihn das erste Mal hörte. So heißt nicht jeder. Wie kommen Sie mit dem Manne aus?"

Sehr gut, Herr Superintendent."

Freut mich aufrichtig. Aber es muß ein Kunst­stück sein. Er hat ein Gesicht wie 'ne Eule. Dabei so was Steifleinenes und Zugleich Selbstbewußtes. Der richtige Lehrer. Meiner in Quaden-Hennersdorf war ebenso. Aber er läßt nun schon ein bißchen nach."

Unter diesen Worten waren sie bis an die Pfarre gekommen, in der man, ohne daß ein Bote voraus­geschickt worden wäre, doch schon wußte, daß der Herr Superintendent mit erscheinen würde, nur wenige Minuten, die trotzdem für Frau Kulicke (eine Lehrerswitwe, die Lorenzen die Wirtschaft führte) ausgereicht hatten, alles in Schick und Ordnung Zu bringen. Auf dem länglichen Hausflur, an dessen äußerstem Ende man gleich beim Eintreten die blink­blanke Küche sah, brannten ein paar Helle Paraffin­kerzen, während rechts daneben, in der offenstehenden Studierstube, eine große Lampe mit grünem Bilder­schirm ein gedämpftes Licht gab. Lorenzen schob den Sofatisch, darauf Zeitungen hoch aufgeschichtet lagen, ein wenig zurück und bat Kosekeger, Platz zu nehmen. Aber dieser, eben jetzt das große Bild bemerkend, das in beinahe reicher Umrahmung über dem Sofa hing, nahm den ihm angebotenen Platz nicht gleich ein, sondern sagte, sich über den Tisch vorbeugend:Ah, gratuliere, Lorenzen. Kreuz­abnahme; Rubens. Das ist ja ein wunderschöner Stich. Oder eigentlich Aquatinta. Dergleichen wird hier wohl im siebenmaligen Umkreis nicht oft betroffen werden, nicht einmal in dem etwas heraufgepufften Rheinsberg; in Nheinsberg war man für Watteausche Neifrockdamen auf einer Schaukel, aber nicht für Kreuzabnahmen und dergleichen. Und stammt auch sicher nicht aus dem sogenannten Schloß Ihres liebenswürdigen alten Herrn drüben, Riesenkathe mit Glaskugel davor. Ach, wenn ich diese Glaskugeln sehe. Und dann das hier! Wissen Sie, Lorenzen, das Bild ruft mir eine schöne Stunde meines Lebens zurück, einen Reisetag, wo ich mit Großfürstin Wera vom Haag aus in Antwerpen war. Da sah ich das Bild in der Galerie. Gleich am Eingang. Waren Sie da?"

Lorenzen verneinte.

Das wäre was für Sie. Dieser Rubens. Es heißt immer- daß er nur Flamänderinnen hätte malen können. Nun, das wäre wohl auch nicht das Schlimmste gewesen. Aber er konnte mehr. Sehen Sie den Christus. Und hier die Gestalt der Maria. Wohl jedem, der draußen war, und zu dem die Welt mal in andern Zungen redete! Hier blüht der Bilderbogen, Türke links, Russe rechts. Ach, Lorenzen, es ist traurig, hier versauern zu müssen."

Als er so gesprochen, ließ er sich, vor sich hin­starrend, in die Sofa-Ecke nieder, ganz wie in andre Zeiten verloren, und sah erst wieder auf, als ein junges Ding ins Zimmer trat, groß und schlank und blond, und Lorenzen verlegen und errötend etwas zuflüsterte.

Ueber (Land und Meer.

Meine gute Frau Kulicke," sagte Lorenzen, läßt eben fragen, ob wir unfern Imbiß im Neben­zimmer nehmen wollen? Ich möchte beinahe glauben, es ist das beste, wir bleiben hier. Es heißt zwar, ein Eßzimmer müsse kalt sein. Nun, das hätten wir nebenan. Ich persönlich finde jedoch das Tem­perierte besser. Aber ich bitte, bestimmen zu wollen, Herr Superintendent."

Temperiert. Mir aus der Seele gesprochen. Also wir bleiben, wo wir sind . . . Aber sagen Sie mir, Lorenzen, wer war das entzückende Geschöpf? Wie ein Bild von Knaus. Halb Prinzeß, halb Rotkäppchen. Wie alt ist sie denn?"

Siebzehn. Eine Nichte meiner guten Frau Kulicke."

Siebzehn. Ach, Lorenzen, wie Sie zu beneiden sind. Immer solche Menschenblüte zu sehn. Und sieb-. zehn, sagen Sie. Ja, das ist das Eigentliche. Sechzehn hat noch ein bißchen den Eierschalen- und Einsegnungscharakter, und achtzehn ist schon wieder alltäglich. Achtzehn kann jeder sein. Aber siebzehn. Ein wunderbarer Mittelzustand. Und wie heißt sie?"

Elsriede."

Auch das noch."

Lorenzen wiegte den Kops und lächelte.

Ja, Sie lächeln, Lorenzen, und wissen nicht, wie gut Sie's haben in dieser Ihrer Waldpsarre. Was ich hier sehe, heimelt mich an, das ganze Dorf, alles. Wenn ich mir da beispielsweise den Tisch wieder vergegenwärtige, dran wir, drüben im Krug, vor einer halben Stunde gesessen haben, an der linken Seite dieser Krippenstapel (er sei, wie er sei) und an der rechten Seite dieser Rolf Krake. Das sind ja doch lauter Größen. Denn das Groteske hat eben auch seine Größen und nicht die schlechtesten. Und dazu dieser Katzler mit seiner Ermyntrud. All das haben Sie dicht um sich her und dazu dies Kind, diese Elsriede, die hoffentlich nicht Kulicke heißt, sonst bricht freilich mein ganzes Begeisterungs­gebäude wieder zusammen. Und nun nehmen Sie mich, Ihren Superintendenten, das große Kirchen­licht dieser Gegenden! Alles nackte Prosa, wider­haarige Kollegen und Amtsbrüder, die mir nicht verzeihen können, daß ich im Haag war und mit einer Großfürstin über Land fahren konnte. Glauben Sie mir,, Großfürstinnen, selbst wenn sie Mängel haben (nnd sie haben Mängel), sind mir immer noch lieber als das Landgewächs von Quaden-Henners­dorf, und mitunter ist mir zu Mut, als gäbe es keine Weltordnung mehr."

Aber Herr Superintendent..."

Ja, Lorenzen, Sie setzen ein überraschtes Ge­sicht ans und wundern sich, daß einer, für den die hohe Klerisei so viel gethan und ihn zum Super­intendenten in der gesegneten Mittelmark und der noch gesegneteren Grafschaft Ruppin gemacht hat, Sie wundern sich, daß solch Zehnmal Glücklicher solchen Hochverrat redet. Aber bin ich ein Glück­licher? Ich bin ein Unglücklicher..."

Aber Herr Superintendent..."

... Und möchte, daß ich eine Hundertund- fünszig-Seelen-Gemeinde hätte, sagen wir auf dem flöten Mann' oder in der Tuchler Heide. Sehen Sie, dann wär' es vorbei, dann müßt' ich bestimmt:

^ ,du bist in den Skat gelegt'. Und das kann unter ^ Umständen ein Trost sein. Die Leute, die Schifs- ! bruch gelitten und nun in einer Isolierzelle sitzen i und Tüten kleben oder Wolle zupfen, daS sind nicht die Unglücklichsten. Unglücklich sind immer bloß die Halben. Und als einen solchen habe ich die Ehre mich Ihnen vorzustellen. Ich bin ein Halber, viel­leicht sogar in dem, worauf es ankommt; aber lassen wir das, ich will hier nur vom allgemein Menschlichen sprechen. Und daß ich auch in diesem Menschlichen ein Halber bin, das quält mich. Ueber das andre käm' ich vielleicht weg."

Lorenzens Augen wurden immer größer.

Sehen Sie, da war ich also verzeihen Sie, daß ich immer wieder darauf zurückkomme da war ich also mit siebenundzwanzig im Haag und kam in die vornehme Welt, die da zu Hause ist. Und da war ich denn heut in Amsterdam und morgen in Scheveningen und den dritten Tag in Gent oder in Brügge. Brügge, Reliquienschrein, Hans Mein­ung. so.was müßten Sie sehn. Was sollen uns die ewigen Markgrafen oder gar die faule Grete? Mancher, ich weiß wohl, ist zum Eremiten

geboren. Ich aber nicht. Ich bin von der andern Seite; meine Seele hängt an Leben und Schönheit. Und nun spricht da draußen all dergleichen zu einem, und man tränkt sich damit und hat einen Ehrgeiz, nicht einen kindischen, sondern einen echten, der höher hinauf will, weil man da wirken und schaffen kann, für sich gewiß, aber auch für andre. Danach dürstet einen. Und nun kommt der Becher, der diesen Durst stillen soll. Und dieser Becher heißt Quaden-Henners- dors. Das Dorf, das mich umgiebt, ist ein großes Bauerndorf, aufgesteifte Leute, geschwollen und hart­herzig, und natürlich so trocken und trivial, wie die Leute hier alle sind. Und noch stolz darauf. Ach, Lorenzen, immer wieder, wie beneide ich Sie!"

Während Koseleger noch so sprach, erschien Frau Kulicke. Sie schob die Zeitungen zurück, um zwei Couverts legen zu können, und nun brachte sie den Rotwein und ein Cabaret mit Brötchen. In dünn­geschliffene große Gläser schenkte Lorenzen ein, und die beiden Amtsbrüder stießen anauf bessere Zeiten". Aber sie dachten sich sehr Verschiedenes dabei, weil sich der eine nur mit sich, der andre nur mit andern beschäftigte.

Wir könnten, glaub' ich," sagte Lorenzen, neben den ,besseren Zeiten' noch dies und das leben lassen. Zunächst Ihr Wohl, Herr Superintendent. Und zum zweiten auf das Wohl unsers guten alten Stechlin, der uns doch heute zusammengeführt. Ob wir ihn durchbringen? Katzler that so sicher und Kluckhuhn und Krippenstapel nun schon ganz gewiß. Aber ich habe trotzdem Zweifel. Die Konservativen ich kann kaum sagen ,unsre Parteigenossen', oder doch nur in sehr bedingtem Sinne die Konservativen sind in sich gespalten. Es giebt ihrer viele, denen unser alter Stechlin um ein gut Teil zu flau ist. .I'orUter in re, suaviter in inoäop hat neulich einer, der sich auf Bildung ausspielt, von dem Alten gesagt, und von ,8unvit6r', wenn auch nur fln inoäo', wollen alle diese Herren nichts wissen. Unter diesen Ultras ist natürlich auch Gundermann aus Sieben­mühlen, der Ihnen vielleicht bekannt geworden ist..."

Versteht sich. War neulich bei mir. Ein Mann von drei Redensarten, von denen die zwei besten aus der Wassermüllersphüre genommen sind."

Nun, dieser Gundermann, wie immer die Dummen, ist zugleich Intrigant, und während er vorgiebt, für unfern guten alten Stechlin zu werben, tropft er den Leuten Gift ins Ohr und erzählt ihnen, daß er senil sei und keinen Schneid habe. Der alte Stechlin hat mehr Schneid als sieben Gunder­manns. Gundermann ist ein Bourgeois und ein Parvenü, also so ziemlich das Schlechteste, was einer- fein kann. Ich bin schon zufrieden, wenn dieser Jämmerling unterliegt. Aber nur den Alten bin ich besorgt. Ich kann nur wiederholen: es liegt nicht so günstig für ihn, wie die Gegend hier sich einbildet. Denn auf das arme Volk ist kein Verlaß. Ein Versprechen und ein Kornus, und alles schnappt ab."

Ich werde das meine thun," sagte Koseleger mit einer Mischung von Pathos und Wohlwollen. Aber Lorenzen hatte dabei den Eindruck, daß sein Quaden-Hennersdorser Superintendent bereits ganz andern Bildern nachhing. Und so war es auch. Was war für Koseleger diese traurige Gegenwart? Ihn beschäftigte nur die Zukunft, und wenn er in die hineinsah, so sah er einen langen, langen Korridor mit Oberlicht und an: Ausgang ein Klingelschild mit der Aufschrift:vr. Koseleger, Generalsuperintendent."

So Ziemlich um dieselbe Stunde, wo die beiden Amtsbrüderauf bessere Zeiten" anstießen, hielt Katzlers Pürschwagen die Sterne blinkten schon vor seiner Obersörsterei. Das Blaffen der Hunde, das, solange der Wagen noch weit ab war, unaus­gesetzt über die Waldwiese hingeklungen war, ver­kehrte sich mit einem Male jetzt in winseliges Geheul und wunderliche Freudentöne. Katzler sprang aus dem Wagen, hing den Hut an einen im Flur stehenden Ständer (von den ewigenGe­weihen" wollte er als feiner Mann nichts wissen) und trat gleich danach in das an der linken Flurseite gelegene, matt erleuchtete Wohnzimmer seiner Frau. Das gedämpfte Licht ließ sie noch blasser erscheinen, als sie war. Sie hatte sich, als der Wagen hielt, von ihrem Sofaplatz erhoben und kam ihrem Manne, wie sie regelmäßig zu thun pflegte, wenn er aus den: Walde zurückkam, zu freundlicher