Heft 
(1898) 09
Seite
139
Einzelbild herunterladen

M 9

139

Begrüßung entgegen. Ein als Weihnachtsgeschenk für eine jüngere Schwester bestimmtes Batisttuch, in das sie eben die letzte Zacke der Jppe-Büchsen- steinschen Krone hineinstickte, hatte sie, bevor sie sich vom Sofa erhob, aus der Hand gelegt. Sie war nicht schön, dazu von einen: lymphatisch-sentimentalen Ausdruck, aber ihre stattliche Haltung und mehr noch die Art, wie sie sich kleidete, ließen sie doch als etwas durchaus Apartes und beinahe Fremdländisches erscheinen. Sie trug, nach Art eines Morgenrockes, ein glatt herabhängendes, leis gelbgetöntes Wollkleid und als Eigentümlichstes einen aus demselben gelb­lichen Wollstoff hergestellten Kopfputz, von dem es unsicher blieb, ob er einen Turban oder eine Krone darstellen sollte. Das Ganze hatte etwas Gewolltes, war aber neben dem Auffälligen doch auch wieder kleidsam. Es sprach sich ein Talent darin aus, etwas aus sich Zu machen.

Wie glücklich bin ich, daß du wieder da bist," sagte Ermyntrud.Ich habe mich recht gebangt, diesmal nicht um dich, sondern um mich. Ich muß dies egoistischerweise gestehen. Es waren recht schwere Stunden für mich, die ganze Zeit, daß du fort warst."

Er küßte ihr die Hand und führte sie Wieder­aus ihren Platz zurück.Du darfst nicht stehen, Ermyntrud. Und nun bist du auch wieder bei der Stickerei. Das strengt dich an und hat, wie du weißt, auf alles Einfluß. Der gute Doktor sagte noch gestern, alles sei im Zusammenhang. Ich seh' auch, wie blaß du bist."

O, das macht der Schirm."

Du willst es nicht wahr haben und mir nichts sagen, was vielleicht wie Vorwurf klingen könnte. Ich mache mir aber den Vorwurf selbst. Ich mußte hier bleiben und nicht hin Zu dieser Stechliner Wahlversammlung."

Du mußtest hin, Wladimir."

Ich rechne es dir hoch an, Ermyntrud, daß du so sprichst. Aber es wäre schließlich auch ohue mich gegangen. Koseleger war da, der konnte das Präsidium nehmen so gut wie ich. Und wenn der nicht wollte, so konnte Torfinspektor Etzelius ein- springen. Oder vielleicht auch Krippenstapel. Krippen­stapel ist doch zuletzt der, der alles macht. Jeden­falls liegt es so, wenn es der eine nicht ist, ist es der andre."

Ich kann das zugeben. Wie könnte sonst die Welt bestehend Es giebt nichts, was uns so Demut predigte wie die Wahrnehmung von der Entbehrlich­keit des einzelnen. Aber darauf kommt es nicht an. Worauf es ankommt, das ist Erfüllung unsrer Pflicht."

Katzler, als er dies Wort hörte, sah sich nach einem Etwas um, das ihn in den Stand gesetzt hätte, dem Gespräch eine andre Wendung zu geben. Aber, wie stets in solchen Momenten, das, was retten konnte, war nicht zu finden, und so sah er denn Wohl, daß er einem Vortrage der Prinzessin über ihr Lieblingsthemavon der Pflicht" verfallen sei. Dabei war er eigentlich hungrig.

Ermyntrud wies auf ein Taburet, das sie mittler­weile neben ihren Sofaplatz geschoben, und sagte: Daß ich immer wieder davon sprechen muß, Wladi­mir. Wir leben eben nicht in der Welt um unsert-, sondern um andrer willen. Ich will nicht sagen um der Menschheit willen, was eitel klingt, wie­wohl es eigentlich wohl so sein sollte. Was uns obliegt, ist nicht die Lust des Lebens, auch nicht einmal die Liebe, die wirkliche, sondern lediglich die Pflicht. . ."

Gewiß, Ermyntrud. Wir sind einig darüber. Es ist dies außerdem auch etwas speziell Preußisches. Wir sind dadurch vor audern Nationen ausgezeichnet, und selbst bei denen, die uns nicht begreifen oder übelwollen, dämmert die Vorstellung von unsrer daraus entspringenden Überlegenheit. Aber es giebt doch Unterschiede, Grade. Wenn ich statt zu der Stechliner Wählerversammlung lieber zu Doktor Sponholz oder zur alten Stinten in Kloster Wutz (die ja schon früher einmal dabei war) gefahren wäre, so wäre das doch vielleicht das Bessere gewesen. Es ist ein Glück, daß es noch mal so vorübergegangen. Aber darauf darf man nicht in jedem Falle rechnen."

Nein, darauf darf man nicht in jedem Falle rechnen. Aber man darf darauf rechnen, daß, wenn man das Pflichtgemäße Lhut man zugleich auch das

Ueöer Land und Meer.

Rechte thut. Es hängt so viel an der Wahl unsers alten trefflichen Stechlin. Er steht außerdem sittlich höher als Kortschädel, dem man, trotz seiner siebzig, allerhand nach sagen durfte. Stechlin ist ganz intakt. Etwas sehr Seltenes. Und einem sittlichen Prinzip zum Siege zu verhelfen, dafür leben wir doch recht eigentlich. Dafür lebe wenigstens ich."

Gewiß, Ermyntrud, gewiß."

In jedem Augenblicke seiner Obliegenheiten ein­gedenk sein, ohne bei Neigung oder Stimmung an­zufragen, das Hab' ich mir in feierlicher Stunde gelobt, du weißt, in welcher, und du wirst mir das Zeugnis ausstellen, daß ich diesem Gelöbnis nach­gekommen ..."

Gewiß, Ermyntrud, gewiß. Es war unser Fundament..."

Und wenn es sich um eine sittliche Pflicht handelte, wie doch heute ganz offenbar, wie hätt' ich da sagen wollen: bleibe. Ich wäre mir klein vorgekommen, klein und untreu."

Nicht untreu, Ermyntrud."

Doch, doch. Es giebt viele Formen der Un­treue. Das Persönliche hat sich der Familie zu be­quemen und unterzuordnen und die Familie wieder der Gesellschaft. In diesem Sinne bin ich erzogen, und in diesem Sinne that ich den Schritt. Ver­lange nicht, daß ich in irgend etwas diesen Schritt zurückthue."

Nie."

Das kleine Dienstmädchen, eine Heideläufertochter, deren storres Haar, von keiner Bürste gezähmt, immer weit abstand, erschien in diesem Augenblicke, meldend, daß sie das Theezeug gebracht habe.

Katzler nahm seiner Frau Arm, um sie bis in das zweite, nach den: Hof hinaus gelegene Zimmer zn führen. Als er aber wahrnahm, wie schwer ihr das Gehen wurde, sagte er:Ich freue mich, dich so sprechen zu hören. Immer du selbst. Ich bin aber doch in Unruhe und will morgen früh zur Frau schicken."

Sie nickte znstimmend, während ein halb zärtlicher Blick den guten Katzler streifte, der, solange das ihm nur zu wohlbekannte Gespräch über Pflicht gedauert hatte, von Minute zu Minute verlegener geworden war.

XIX.

Und nun war Wahltagmorgen. Kurz vor acht erschien Lorenzen auf dem Schloß, um in Dubslavs schon auf der Rampe haltenden Kaleschewagen ein­zusteigen und mit nach Rheinsberg zu fahren. Der Alte, bereits gestiefelt und gespornt, empfing ihn mit gewohnter Herzlichkeit und guter Laune.Das ist recht, Lorenzen. Und nun wollen wir auch gleich aufsteigen. Aber warum haben Sie mich nicht an Ihrem Pfarrgarten erwartet? Muß ja doch dran vorüber" und dabei schob er ihm voll Sorg- lichkeit eine Decke zu, während die Pferde schon anrückten.Uebrigens freut es mich trotzdem (man widerspricht sich immer), daß Sie nicht so praktisch gewesen und doch lieber gekommen sind. Es is 'ne Politesse. Die Menschen sind jetzt so schrecklich un- poliert und geradezu unmanierlich . .. Aber lassen wir's; ich kann es nicht ändern, und es grämt mich auch nicht."

Weil Sie gütig sind und jene Heiterkeit haben, die, menschlich angesehn, so ziemlich unser Bestes ist."

Dubslav lachte.Ja, so viel ist richtig; Kopf­hängerei war nie meine Sache, und wäre das ver­dammte Geld nicht. . . Hören Sie, Loreuzen, das mit dem Mammon und dem goldnen Kalb, das sind doch eigentlich alles sehr feine Sachen."

Gewiß, Herr von Stechlin."

. .. Und wäre das verdammte Geld nicht, so hätt' ich den Kopf noch weniger hängen lassen, als ich gethan. Aber das Geld. Da war, noch unter Friedrich Wilhelm III., der alte General von der Marwitz auf Friedersdorf, von dem Sie gewiß mal gehört haben, der hat in seinen Memoiren irgend­wo gesagt: ,er hätte sich aus dem Dienst gern schon früh auf sein Gut zurückgezogen und sei bloß ge­blieben um des Schlechtesten willen, was es über­haupt gäbe, um des Geldes willen' und das hat damals, als ich es las, einen großen Eindruck auf mich gemacht. Denn es gehört was dazu, das so ruhig auszusprechen. Die Menschen sind in allen Stücken so verlogen und unehrlich, auch in Geld­sachen, fast noch mehr als in Tugend. Und das

will was sagen. Ja, Lorenzen, so ist es ... Na, lassen wir's, Sie wissen ja auch Bescheid. Und dann sind das schließlich auch keine Betrachtungen für heute, wo ich gewählt werden nnd den Trium­phator spielen soll. Uebrigens geh' ich einem totalen Kladderadatsch entgegen. Ich werde nicht gewählt."

Lorenzen wurde verlegen, denn was Dubslav da zuletzt sagte, das stimmte nur zu sehr mit seiner eignen Meinung. Aber er mußte wohl oder übel, so schwer es ihm wurde, das Gegenteil versichern. Ihre Wahl, Herr von Stechlin, steht, glaub' ich, fest; in unsrer Gegend wenigstens. Die Globsower und Dagower gehen mit gutem Beispiel voran. Lauter gute Leute."

Vielleicht. Aber schlechte Musikanten. Alle Menschen sind Wetterfahnen, ein bißchen mehr, ein bißchen weniger. Und wir selber machen's auch so. Schwapp, sind wir auf der andern Seite."

Ja, schwach ist jeder, und ich mag mich auch nicht für alle und jeden verbürgen. Aber in diesem speziellen Falle. . . Selbst Koseleger schien mir voll Zuversicht und Vertrauen, als er am Donners­tag noch mit mir plauderte."

Koseleger voll Vertrauen! Na, dann geht es gewiß in die Brüche. Wo Koseleger Amen sagt, das ist schon so gut wie letzte Oelung. Er hat keine glückliche Hand, dieser Ihr Amtsbruder und Vorgesetzter."

Ich teile leider einigermaßen Ihre Bedenken gegen ihn. Aber was vielleicht mit ihm versöhnen kann, er hat angenehme Formen und durchaus etwas Verbindliches."

Das hat er. Und doch, so sehr ich sonst für Formen und Verbindlichkeiten bin, nicht für seine. Man soll einem Menschen nicht seinen Namen Vor­halten. Aber Koseleger! Ich weiß immer nicht, ob er mehr Kose oder mehr Leger ist; vielleicht beides gleich. Er ist wie 'ne Baisertorte, süß, aber ungesund. Nein, Lorenzen, da bin ich doch mehr für Sie. Sie taugen auch nicht viel, aber Sie sind doch wenigstens ehrlich."

Vielleicht," sagte Lorenzen.Uebrigens hat Koseleger inmitten seiner Verbindlichkeiten und schönen Worte doch auch wieder was Freies, beinah' Ge­wagtes und ist mir da neulich mit Bekenntnissen gekommen, fast wie ein Charakter."

Dubslav lachte hell auf.Charakter. Aber Lorenzen. Wie können Sie sich so hinters Licht führen lassen. Ich verwette mich, er hat Ihnen irgend was über Ihre ,Gaben' gesagt; das ist jetzt so Lieblingswort, das die Pastoren immer gegenseitig brauchen. Es soll bescheiden und unpersönlich klingen und sozusagen alles aus Inspiration zurückführen, für die man ja, wie für alles, was von oben kommt, am Ende nicht kann. Es ist aber gerade dadurch das Hochmütigste... War es so was? Hat er meinen klugen Lorenzen, eh' er sich als ,Charakter' ausspielte, durch solche Schmeicheleien eingefangen d"

Es war nicht so, Herr von Stechlin. Sie Lhun ihn: hier ausnahmsweise unrecht. Er sprach überhaupt nicht über mich, sondern über sich und machte mir dabei Konsessions. Er gestand mir bei­spielsweise, daß er sich unglücklich fühle."

Warum?"

Weil er in Quaden-Hennersdorf deplaciert sei."

Deplaciert. Das ist auch solch Wort; das kenn' ich. Wenn man durchaus will, ist jeder de­placiert, ich. Sie, Krippenstapel, Engelke. Ich müßte Präses von einem Stammtisch oder vielleicht auch ein Badedirektor sein, Sie Missionar am Kongo, Krippenstapel Kustos an einem märkischen Museum, und Engelke, nun der müßte gleich selbst hinein, Numnter hundertdreizehn. Deplaciert! Alles bloß Eitelkeit und Größenwahn. Und dieser Koseleger mit dem Konsistorialratskinn! Er war Galopin bei 'ner Großfürstin; das kann er nicht vergessen, damit will er's nun zwingen, und in seinem Aerger und Unmut spielt er sich aus den Charakter aus und versteigt sich, wie Sie sagen, bis zu Konfessions und Gewagtheiten. Und wenn er nun reüssierte. (Gott verhüt' es), so haben Sie den Scheiterhaufen­mann 60MM6 11 kaut. Und der erste, der 'rauf muß, das sind Sie. Denn er wird sofort das Bedürfnis spüren, seine Gewagtheiten von heute durch irgend ein Brandopfer wieder wett zu machen."

Unter diesem Gespräche waren sie schließlich aus