Heft 
(1898) 09
Seite
142
Einzelbild herunterladen

142

Lieber <Tand und Meer.

M 9

dein Walde heraus und näherten sich einem beinah' meilenlangen und bis an den Horizont sich ausdehnenden Stück Bruchland, über das mehrere mit Kropfweiden und Silberpappeln besetzte Wege strahlenförmig auf Rheinsberg zuliefen. Alle diese Wege waren belebt, meist mit Fußgängern, aber auch mit Fuhrwerken. Eins davon, aus gelblichem Holz, das hell in der Sonne blinkte, war leicht zu erkennen.

Da fährt ja Katzler," sagte Dubslav.Ueber- rascht mich beinah'. Es ist nämlich, was Sie viel­leicht noch nicht wissen werden, wieder was ein­passiert; er schickte mir heute früh einen Boten mit der Nachricht davon, und daraus schloß ich, er würde nicht Zur Wahl kommen. Aber Ermyntrnd mit ihrer grandiosen Pflichtvorstellung wird ihn wohl wieder fortgeschickt haben."

Ist es wieder ein Mädchen?" fragte Lorenzen.

Natürlich, und zwar das siebente. Bei sieben -(freilich müssen es Jungens sein) darf man, glaub' tch, den Kaiser zu Gevatter laden. Uebrigens sind auch mehrere tot, und alles in allem ist es wohl möglich, daß sich Ermyntrnd über das beständige Moß Mädchen' so ihre Gedanken macht."

Lorenzen nickte.Kann mir's denken, daß die Prinzessin etwas wie Sühne darin sieht, Sühne wegen des von ihr gethanen Schrittes. Alles an thr ist ein wenig überspannt. Und doch ist es eine liebenswürdige Dame."

Wovon niemand überzeugter ist als ich," sagte Dubslav.Freilich bin ich bestochen, denn sie sagt mir immer das Schmeichelhafteste. Sie plaudre so gern mit mir, was auch am Ende wohl zutrifft. Und dabei wird sie dann ganz ausgelassen, trotzdem sie eigentlich hochgradig sentimental ist.. Was nicht überraschen darf, denn aus Sentimentalität ist doch schließlich die ganze Katzlerei hervorgegangen. Bin übrigens ernstlich in Sorge, wo Hoheit den richtigen Taufnamen für das Jüngstgeborene hernehmen wird. In diesem Stücke, vielleicht dem einzigen, ist sie nämlich noch ganz und gar Prinzessin geblieben. Und Sie, lieber Lorenzen, werden dabei sicherlich mit zu Rate gezogen werden."

Was ich mir nicht schwierig denken kann."

Sagen Sie das nicht. Es giebt in diesem Falle viel weniger Brauchbares, als Sie sich vorzu­stellen scheinen. Prinzessinnen-Namen an und für sich, ohne weitere Zuthat, giebt es genug. Aber damit ist Ermyntrnd nicht zufrieden; sie verlangt ihrer Natur nach zu dem Dynastisch-Genealogischen auch noch etwas poetisch Märchenhaftes. Und das kompliziert die Sache ganz erheblich. Sie können das sehen, wenn Sie die Katzlersche Kinderstube durch­mustern oder sich die Namen der bisher Getauften ins Gedächtnis Zurückrufen. Die Katzlersche Kron- prinzeß heißt natürlich auch Ermyntrnd. Und dann kommen ebenso selbstverständlich Dagmar und Thyra. Und danach begegnen wir einer Jnez und einer Maud und zuletzt einer Arabella. Aber bei Arabella können Sie schon deutlich eine gewisse Verlegenheit wahr­nehmen. Ich würde ihr, wenn sie sich wegen des Jüngstgeborenen an mich wendete, was Altjüdisches Vorschlägen; das ist schließlich immer das beste. Was meinen Sie zu Rebekka?"

Lorenzen kam nicht mehr dazu, Dubslav diese Frage zu beantworten, denn eben jetzt waren sie durch das Stück Bruchland hindurch und raffelten bereits über einen ein weiteres Gespräch unmöglich machenden Steindamm weg, scharf aus Rheinsbergzu.

Dubslav war in ausgezeichneter Laune. Das prachtvolle Herbstwetter, dazu das bunte Leben, alles hatte seine Stimmung gehoben, am meisten aber, daß er unterwegs und beim Passieren der Haupt­straße bereits Gelegenheit gehabt hatte, verschiedene gute Freunde zu begrüßen. Von der Kirche her schlug es zehn, als er vor dem als Wahllokal etablierten GasthauseZum Prinzregenten" hielt, in dessen Front denn auch bereits etliche mehr oder weniger verwogen aussehende Wahlmänner standen, alle bemüht, ihre Zettel an mutmaßliche Partei­genossen auszuteilen.

Drinnen im Saal war der Wahlakt schon im Gange. Hinter der Urne präsidierte der alte Herr von Zählen, ein guter Siebziger, der die groteskesten Feudalansichten mit ebenso grotesker Bonhomie zu verbinden wußte, was ihm, auch bei seinen politischen Gegnern, eine große Beliebtheit

sicherte. Neben ihm, links und rechts, saßen Herr von SLorbeck und Herr van dem Peerenboom, letzterer ein Holländer aus der Gegend von Delft, der vor wenig Jahren erst ein großes Gut im Ruppiner Kreise gekauft und sich seitdem zum Preußen und, was noch mehr sagen wollte, zumGrafschastler" herangebildet hatte. Man sah ihn aus allen mög­lichen Gründen auch schon um seinesvan" willen nicht ganz für voll an, ließ aber nichts davon merken, weil er der bei den meisten Gras­schaftlern stark ins Gewicht fallenden Haupteigen­schaft eines vor so und so viel Jahren in Batavia geborenen holländisch-javanischen Kaffeehändlers nicht entbehrte. Seines Nachbarn von Storbeck Lebens­geschichte war durchschnittsmäßiger. Unter denen, die sonst noch am Komiteetisch saßen, befand sich auch Katzler, den Ermyntrnd (wie Dubslav ganz richtig vermutet) mit der Bemerkung,daß im mo­dernen bürgerlichen Staate Wählen so gut wie Kämpfen sei", von ihrem Wochenbette fortgeschickt hatte.Das Kind wird inzwischen mein Engel sein, und das Gefühl erfüllter Pflicht soll mich bei Kraft erhalten." Auch Gundermann, der immer mit dabei sein mußte, saß am Komiteetisch. Sein Benehmen hatte was Aufgeregtes, weil er wie Lorenzen bereits angedeutet wirklich im geheimen gegen Dubslav intrigiert hatte. Daß er selber unterliegen würde, war klar und beschäftigte ihn kaum noch, aber ihn erfüllte die Sorge, daß sein doppeltes Spiel vielleicht an den Tag kommen könne.

Dubslav wollte die Sache gern hinter sich haben. Er trat deshalb, nachdem er sich draußen mit einigen Bekannten begrüßt und an jeden einzelnen ein paar Worte gerichtet hatte, vom Vorplatz her in das Wahllokal ein, um da so rasch wie möglich seinen Zettel in die Urne zu thun. Es traf ihn bei dieser Prozedur der Blick des alten Zählen, der ihm in einer Mischung von Feierlichkeit und Ulk sagen zu wollen schien:Ja, Stechlin, das hilft nu mal nicht; man muß die Komödie mitmachen." Dubslav kam übrigens kaum dazu, von diesem Blicke Notiz zu nehmen, da Katzler gerade sichtbar wurde, dem er sofort entgegentrat, um ihm durch einen Händedruck zu dem siebenten Töchterchen zu gratulieren. An Gundermann ging er ohne Notiznahme vorüber. Dies war aber nur Zufall; er wußte nichts von den Zwei­deutigkeiten des Siebenmühlners, und nur dieser selbst, weil er ein schlechtes Gewissen hatte, wurde verlegen und empfand des Alten Haltung wie eine Absage.

Als Dubslav wieder draußen war, war natürlich die große Frage:Ja, was jetzt thun?" Es ging erst auf elf, und vor sechs war die Geschichte nicht vorbei, wenn sich's nicht noch länger hinzog. Er sprach dies auch einer Anzahl von Herren aus, die sich aus einer vor dem Gasthause stehenden Bank niedergelassen und hier dem Liquenrkasten desPrinz­regenten", der sonst immer erst nach dem Diner anstauchte, vorgreisend zugesprochen hatten.

Es waren ihrer fünf, lauter Kreis- und Partei­genossen, aber nicht eigentlich Freunde, denn der alte Dubslav war nicht sehr für Freundschaften. Er sah zu sehr, was jedem einzelnen fehlte. Die da saßen und aus purer Langeweile sich über die Vorzüge von Allasch und Chartreuse stritten, waren die Herren von Molchow, von Krangen und von Gnewkow, dazu Baron Beetz und ein Freiherr von der Nonne, den die Natur mit besonderer Rücksicht auf seinen Namen geformt zu haben schien. Er trug eine hohe schwarze Krawatte, drauf ein kleiner vermickerter Kopf saß, und wenn er sprach, war es, wie wenn Mäuse pfeifen. Er war die komische Figur des Kreises und wurde gehänselt, nahm es aber nicht übel, weil seine Mutter eine schlesische Gräfin ausinski"

war, was ihm in seinen Angen ein solches Ueber- gewicht sicherte, daß er, wie Friedrich der Große, jeden Augenblick bereit war,die sich etwa ein­stellenden Pasquille niedriger hängen zu lassen".

Ich denke, meine Herren," sagte Dubslav, wir gehen in den Park. Da hat man doch immer

was. An der einen Stelle ruht das Herz des Prinzen, und an der andern Stelle ruht er selbst und hat sogar eine Pyramide zu Häupten, wie wenn er Sesostris gewesen wäre. Ich würde gern einen andern nennen, aber ich kenne bloß den."

Natürlich gehen wir in den Park," sagte von Gnewkow.Und es ist schließlich immer noch ein Glück, daß man so was hat..."

Und auch ein Glück," ergänzte von Molchow, daß man solchen Wahltag wie heute hat, der einen ordentlich zwingt, sich um Historisches und Bildungs­mäßiges zu kümmern. Bismarcken is es auch mal so gegangen, noch dazu mit 'ner reichen Amerikanerin, und hat auch gleich (das heißt eigentlich lange nach­her) das rechte Wort dafür gesunden."

Hat immer das rechte Wort gefunden."

Immer, immer."

.. . Und als nun die reiche Amerikanerin so runde vierzig Jahr später ihn wiedersah und sich bei ihm bedanken wollte wegen des Bildermuseums, in das er sie halb aus Verlegenheit und halb aus Ritterlichkeit begleitet und ihr mutmaßlich alle Bilder falsch erklärt hatte, da hat er all diesen Dank ab­gewiesen und ihr ich seh' ihn ordentlich dabei gesagt, sie habe nicht ihm, sondern er habe ihr zu danken, denn wenn jener Tag nicht gewesen wäre, so hätt' er das ganze Bildermuseum höchst wahr­scheinlich noch nicht gesehen. Ja, Glück hat er immer gehabt. Im großen und im kleinen. Es fehlt bloß noch, daß er hinterher auch noch Generaldirektor der königlichen Museen geworden wäre, was er schließlich auch noch gekonnt hätte. Denn eigentlich könnt' er alles und ist auch beinah' alles gewesen."

Ja," nahm Gnewkow, der ans Langweile viel gereist war, seinen Urgedanken, daß solcher Park eigent­lich ein Glück sei, wieder auf.Ich finde, was Molchow da gesagt hat, ganz richtig; es kommt draus an, daß man 'reingezwungen wird, sonst weiß man über­haupt gar nichts. Wenn ich so bloß an Italien zurückdenke. Sehen Sie, da läuft man nu 'rum, was einen doch strapziert, und dabei dieser ewige pralle Sonnenschein. Ein paar Stunden geht es natürlich; aber wenn man nu schon zweimal Kaffee getrunken und Granito gegessen hat, und es ist noch nicht mal Mittag, ja, ich bitte Sie, was hat man da? Was sängt man da an? Gradezu schrecklich. Und da kann ich Ihnen bloß sagen, da bin ich ein kirch­licher Mensch geworden. Und wenn man dann so von der Seite her still Antritt und hat mit einem Male die Kühle um sich 'rum, ja, da will man gar nicht wieder 'raus und sieht sich so seine fünfzig Bilder an, man weiß nicht, wie. Is doch immer noch besser als draußen. Und die Zeit vergeht, und die Stunde, wo man was Reguläres kriegt, läppert sich so heran."

Ich glaube doch," sagte der für kirchliche Kunst schwärmende Baron Beetz,unser Freund Gnewkow unterschätzt die Wirkung, die, vielleicht gegen seinen Willen, die Quattrocentisten auf ihn gemacht haben. Er hat ihre Macht an sich selbst empfunden, aber er will es nicht wahr haben, daß die Frische von ihnen ausgegangen sei. Jeder, der was davon ver­steht ..."

Ja, Baron, das is es eben. Wer was davon versteht! Aber wer versteht was davon? Ich

jedenfalls nicht."

Unter diesen Worten war man, vomPrinz­regenten" aus, die Hauptstraße hinuntergeschritten und über eine kleine Brücke fort erst in den Schloß­hof und dann in den Park eingetreten. Der See plätscherte leis. Kähne lagen da, mehrere an einem Steg, der von dem Kiesufer her in den See hiuein- lief. Ein paar der Herren, unter ihnen auch Dubslav, schritten die ziemlich wacklige Bretterlage hinunter und blickten, als sie bis ans Ende ge­kommen waren, wieder aus die beiden Schloßflügel und ihre kurzabgestumpsten Türme zurück. Der Turm rechts war der, wo Kronprinz Fritz sein Arbeitszimmer gehabt hatte.

Dort hat er gewohnt," sagte von der Nonne. Wie begrenzt ist 'doch unser Können. Mir weckt der Anblick solcher Friedericianischen Stätten immer ein Schmerzgefühl über das Unzulängliche des Mensch­lichen überhaupt, freilich auch wieder ein Hochgefühl, daß wir dieser Unzulänglichkeit und Schwäche Herr werden können. Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg? Dieser König. Er war ein großer Geist, gewiß; aber doch auch ein verirrter Geist. Und je patriotischer wir fühlen, je schmerz­licher berührt uns die Frage nach dem Heil seiner Seele. Die Seelenmessen das empfind'ich in solchem Augenblicke sind doch eine wirklich trostspendende Seite des Katholizismus, und daß es (selbstverständlich unter Gewähr eines höchsten Willens) in die Macht Ueberlebender gelegt ist, eine Seele frei zu beten, das ist und bleibt eine große Sache."