Heft 
(1898) 09
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Ueöer Land und Meer.

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Nonne," sagte Molchow,machen Sie sich nicht komisch. Was haben Sie für 'ne Vorstellung vom lieben Gott? Wenn Sie kommen und den alten Fritzen frei beten wollen, werden Sie 'raus­geschmissen."

Baron Beetz auch ein Anzweifler des Philosophen von Sanssouci wollte seinem Freunde Nonne Zu Hilfe kommen und erwog einen Augenblick ernstlich, ob er nicht seinen in der ganzen Grafschaft längst bekannten Vortrag über dieschiefe Ebene" oder c'est 1s Premier xa8 hui eoMe" noch einmal zum besten geben solle. Klugerweise jedoch ließ er es wieder fallen und war einverstanden, als Dubslav sagte:Meine Herren, ich meinerseits schlage vor, daß wir unsern Auslug von dem Wackelstege, draus wir hier stehen (jeden Augenblick kann einer von uns ins Wasser fallen), endlich aufgeben und uns lieber in einem der hier herum liegenden Kähne über den See setzen lassen. Unterwegs, wenn noch welche da sind, können wir Teichrosen pflücken und drüben an: andern Ufer den großen Prinz Heinrich-Obelisken mit seinen französischen Inschriften durchstudieren. Solche Rekapitulation stärkt einen immer historisch und patriotisch, und unser Etappenfranzösisch kommt auch wieder zu Kräften."

Alle waren einverstanden, selbst Nonne.

(Fortsetzung folgt.)

In den Marmoröergen.

Isolde Kurz.

I. Äarrara.

LjMmn auf der mittelländischen Bahnlinie von Pisa nordwärts fährt, so sieht man hinter den Pisaner Bergen eine weiße Alpenkette anftauchen, die sich durch ihre kühnen Formen aufs schärfste von den sauftgeschwuugenen Linien des Apennin unterscheidet, und die der Unkundige für nichts andres chälten könnte als für ein Schneegebirge. Es sind die Kalkselsen der Apuanischen Alpen, aus denen der weltberühmte carrarische Marmor gebrochen wird.

Carrara, der Mittelpunkt des ungeheuren Betriebes, ist durch eine Zweigbahn der mittelländischen Eisenbahnlinie angeknüpft. Bei Avenza verläßt der Schienenweg die Küste und läuft zwischen zwei Bergketten hin, davon die eine, dem Meere zugewendete, mit herrlichen Olivenwaldungen bedeckt ist; die andre, landeinwärts gelegene, von der die weißlichen Zinken hoch ins Blau emporstarren, trägt nur bis zu halber Höhe eine spärliche Vegetation. Die bloß­gelegten Marmorslanken leuchten weithin wie Alpenfirne, und die Geröllhalden, auf denen der Marmorschutt von den Brüchen herabgestürzt wird, sehen Gletschern täuschend ähn­lich. Längs der Bahnlinie dehnen sich zu beiden Seiten die offenen Lagerplätze aus, auf denen roh behauener Marmor von allen Größen und Sorten der Weiterbeförde­rung harrt.

Carrara, das geleckte Marmorstädtchen, schmiegt sich zierlich in die Thalmulde, die der rasche, grünlich fließende Carrione dnrchströmt. Es hat wie alle italienischen Städte seine großen Plätze mit öffentlichen Bauten; der neue Stadt­teil steigt breit und prahlerisch mit pompösen Marmor­terrassen den Hügel hinaus, während der ältere, stilvollere sich um die Ufer des Carrione drängt. Marmor ist überall in verschwenderischer Fülle an Häusern und Monumenten angebracht, das Pflaster ist weiß von Marmorstaub, und über der ganzen Landschaft lagert eine blendende Helligkeit.

Ans den Bildhauerwerkstätten, die sich eine an der andern viele Straßen weit hinziehen, tönt ununterbrochenes Gehämmer und Gepoche. Unendlich ist die Menge des Produzierten; von Carrara gehen marmorne Statuetten und Nippsachen über die halbe Erde. Wie die Holz­schnitzereien in Schweizer Höhenorten, so ist hier in Hotels und Restaurants das Marmorspielzeng zum Verkauf aus­gelegt. Dasselbe fabrikmäßige Gepräge tragen auch die großen Standbilder und Grabmäler, die hier gefertigt werden, und was die Stadt selbst von modernen Monu­menten aufgestellt hat, ist mit wenig Ausnahmen von fast grotesker Geschmacklosigkeit.

Ueber terrassenförmige, marmorreiche Anlagen führt der Weg nach Monterosso, der Station der Bergbahn Marmifera. Seit der Zeit, wo Michelangelo in diesen Bergen hauste und unter unsäglichen Nöten die Riesenblöcke, die er für seine Arbeiten brauchte, an die Küste schleppen ließ, haben sich die Verhältnisse gewaltig geändert. Jetzt sind die Abgründe überbrückt und die Gebirgsmassen durchbrochen, ein schmal­spuriger Schienenweg umläuft den Berg in Schlangenlinien, die von Steinbruch zu Steiubruch führen, und daraus dampft die Marmifera in die Höhe, um das gewaltige Material herunterzuschasfen.

Gewöhnlich führt die Lokomotive nur Lastwagen; für Fremde jedoch, welche die Bergbahn zu befahren wünschen, läßt die zuvorkommende Direktion unentgeltlich einen Per­

sonenwagen anhängen, nur muß man tags zuvor angemeldet sein. Herren erhalten auch ausnahmsweise die Erlaubnis, einfach die Lokomitive zu besteigen. Wer jedoch, wie wir, das Unglück hat, zu einer Zeit nach Carrara zu kommen, wo der Direktor verreist und sein Stellvertreter abwesend ist, dem bleibt, wenn er die Brüche sehen will, nichts übrig, als längs der Geleise zu Fuß hinaufzusteigen. Gefällige Bahnwärter schließen sich an und geben von einer Station zur andern das Geleite. Beim ersten Tunnel, der sich außen am Berghang umgehen läßt, thut ein entzückendes Panorama sich auf. In unserin Rücken, halb ins Grün versteckt, die Marmorstadt, zur Linken das tiefe, von Wassern durchrauschte Thal mit den Marmorsägemühlen und dem in der Höhe gelegenen Friedhof, auf einem Hügelvorsprung das schöne Dorf Sorano und vor uns die weißen, viel­zerklüfteten Bergflanken. Ueber uns kriechen die Schnecken­linien der Bergbahn mit denSieben Brücken" hin, von denen die Station den Namen hat. Soeben keucht die Marmifera mit vollen: Dampf vorüber und verschwindet hinter der nächsten Biegung, um nach wenigen Minuten hoch über unsern Häuptern wieder zum Vorschein zu kommen, bis ein neuer Tunnel sie verschluckt.

Noch eine Strecke weiter auf dem beschwerlichen Schienen­weg, so sind die Brüche von Sorano und La Piastra er­reicht. Hier münden die Geleise ans das Marmordepot am Fuß der Brüche, wo die von oben herabgewälzten Blöcke gleich aus den: gröbsten zugehauen werden, um überflüssige Fracht zu vermeiden. Die Brüche selber sind hier nirgends zugänglich; sie lagern an steilen Wänden,

wo nur der geübte Bergarbeiter mit Sicherheit Fuß faßt, und auch dieser bedarf au deu gefährlichsten Stellen des Seiles, um auf den glatten Marmorfelsen hin und her zu klettern.

Man sieht die Leute in voller Thätigkeit. Was sie abgespreugt und mittels einer Rutschbahn herunterbefördert haben, liegt alles längs der Bahnlinie und in den Ein­buchtungen des Berges aufgehäuft. Daneben lagern die müden Ochsen, ihrer Belastung harrend, die Fuhrleute sind beschäftigt, die mächtigen Blöcke auf Karren zu laden, die Steinmetzen hämmern, und aus den weißen Klüften hervor donnern die Minen, deren Echo die Wände einander zu­werfen.

Mit Bequemlichkeit kann man aus diesen Depotstationen die verschiedenen Marmorarten unterscheiden lernen.

Der schneeweiße, krystallinische mit dem großen, glän­zenden Korn ist der sogenanntestatuarische" Marmor, der einzig für die Skulptur verwendet wird. Ein großer, völlig reiner Block ist von fast unschätzbarem Wert. Aber meistens sind auch die Blöcke von der ersten Qualität mit minderwertigem Gestein durchsetzt, das durch Sprengung entfernt werden muß. Je tiefer der Stein gebrochen wird, desto reiner ist sein Korn, daher die ältesten Brüche das schönste Material liefern. Der sogenannte xuona^o, ein weißer, mit regelmäßigen blauen Adern durchflochtener Stein, ist für Bauzwecke hochgeschätzt, und eine bunte Marmorart, die in allen Farben vorkommt, der buräiZIio, liefert die schönen Mosaikfußböden, die Kamineinfassungen, Becken, Wannen und Aehnliches.

Ein neues Geleise, das sich zur Rechten erschließt, führt mit steilerer Steigung zu den Brüchen von Ravaccione und Colonnata. Marmor und nichts als Marmor! Wohin

das Auge sich wendet, es kann dem grellen, sonnenbestrahlten Weiß nicht entfliehen. Der Fuß stolpert über Marmor- gebröckel, das den Weg beschottert, die Farbe der Kleider ist unkenntlich geworden durch den Marmorstaub, den der Bergwind auch den ausgetrockneten Lungen zuführt. Und als ob man des Marmors nie genug bekommen könnte, rennen jetzt ein paar barfüßige Kinder auf die müde, er­hitzte und verdurstende Gesellschaft zu und präsentieren uns auf zinnernen Tellern eine Handvoll eilig aufgelesener Marmorbrocken, für die sie stürmisch ein paar Soldi fordern. Es sind die gleichen Steine, an denen wir uns schon die Stiefel zerrissen haben, und die Zumutung, sie zu kaufen, die den Kindern von ihren Eltern eingeflüstert sein muß, ist so unbegreiflich absurd, daß wir vor Erstaunen nicht einmal lachen können. Von einem Glas Wasser dagegen, für das kein Preis zu hoch wäre, ist keine Rede.

Eine Arbeiterfrau teilt uns endlich für Geld und gute Worte von ihrem Weinvorrat mit. Diese hart arbeitenden Menschen leben mit der kärgsten Kost , aber der Marmor­staub zwingt sie, die Kehle öfter anzuseuchten. als gut ist. Der Wein erhitzt das ohnehin heiße Blut, daher deu Carraresen das Messer bekanntermaßen sehr lose im Gürtel sitzt. Das Trinken ist auch der Hauptgrund, weshalb die Revolution von 1894 noch immer heimlich weiter glimmt. Die Löhne sind hier besser als anderwärts; was die Leute zum Aufstand trieb, war die sozialistische Agitation und das Schauspiel des ungeheuren Gewinnes, der aus ihrer Häude Arbeit gezogen wird, denn alle Besitzer der Marmor­brüche sind Millionäre, und die ganze Küste entlang sieht man ihre feenhaften Marmorvillen aus dem Boden steigen.

Bevor die Bahn auf der Station von Ravaccione ein­läuft, trifft man bei Polvaccio einen alten Steinbruch aus der Römerzeit. Aller Marmor des Pantheon, der Trajans- säule, des Titusbogens ist aus diesem Bruch hervorgegangeu. Hier schlief auch der Apoll von Belvedere den Schlaf des Nichtseins, bevor Künstlerhand ihm seine ewigen Formen gab. Und neben ihm schliefen andre unvergängliche Ge­stalten, die erst viele Jahrhunderte später aus Licht ge­rufen wurden: der David Michelangelos und die Kolossal­statuen auf deu Mediceergräbern. Aus Colonnata, gleichfalls einem alten Römerbruch, stammt dagegen der weiße Marmor, der in großen Mengen für die Gruft Napoleons I. in: Jnvalidendom zu Paris verwendet wurde.

Und hat man mit Staunen drunten im Thal die Menge der aufgespeicherten Blöcke gesehen, so bewundert man jetzt doppelt die Größe und Unerschöpflichkeit der Natur. Was auch seit Jahrtausenden in diesen Bergen gebrochen wurde, was Tag für Tag mit den ungeheuren Mitteln moderner Technik herausgefördert wird es ist ein Gar­nichts gegei: die Masse des Gebirgs. Aus seinen Ein- geweiden sind seit den Zeiten der Etrusker ganze Städte hervorgestiegen und ein Volk von marmornen Gestalten, aber nirgends hat sein starres Profil sich um eine Linie verändert. Wenn auch gelegentlich durch unvorsichtigen Anbruch eiue Bergwand einstürzt, was will das der gigantischen Gebirgsformation gegenüber besagen! Und so­lange Monumente errichtet und Statuen gemeißelt werden, wird dieses Gebirge ausreichen, die Welt mit Marmor zu versorgen.

Ueber fünfhundert Marmorbrüche sind allein in der Gegend von Carrara in Thätigkeit, gar nicht zu rechnen, was in dem nahen Massa, in Serravezza und Pietrasanta gebrochen wird. Die Zahl der Arbeiter, die mit dem Sprengen, dem Behauen, dem Sägen und Schleifen sowie dem Transport der Steine beschäftigt sind, wird^auf gegen zwanzigtausend angegeben.

Zum Transport werden neben der Marmifera, die seit dem Jahre 1875 im Gang ist, noch immer, wie vor alters, die Ochsenfuhren benutzt. Es sind dieselben Karren, wie sie schon zu Zeiten der Römer und Etrusker gebaut wurden, mit niedrigen, aber wuchtigen, bleibeschlagenen Räder::, deren Zahl sich nach der Länge des Fuhrwerks richtet. Die Ochsen sind klein und grau, von einer besonders zähen Rasse, mit ungeheuren, prächtig geschwungenen Hörnern; sie tragen den eisernen Ring in der Nase, durch den das Leitseil läuft; ihre Hufe sind mit Blei beschlagen. Um einen Block von mäßigem Umfang zu Thal zu ziehen, braucht es ihrer zwei bis sechs Paare. Ich sah in der Gegend von Carrara aber auch Fuhren, denen zwanzig und mehr Ochsen vorgespannt waren; sie bilden dann ganze Karawanen und ziehen unter dem Geschrei der Treiber wie eine lange, ungefüge Schlange den Berg hinab. Ein kleinerer Marmorblock, der an langer Eistnkette auf dem Boden nachschleift, dient zum Bremsen.

Jedes Paar Ochsen trägt ein Joch von mächtigem Gewicht, das den unglücklichen Tieren die Köpfe nieder­zwingt, und man begreift nicht, wie sie es anstellen, sich mit den Riesenhörnern nicht gegenseitig zu stoßen. Aus jedem Joch sitzt rückwärts gewendet ein Treiber mit dem Stachelstab, andre rennen zu Fuß neben dem Fuhrwerk her, mit der Stimme und dem Stachel die Tiere anfeuernd. Die Fortbewegung geschieht stoßweise aus der schauderhaften, von oft schuhtiefen Fahrgeleisen zerschuudenen Straße. In gleichmäßigen Pausen erheben die Männer ein wildes Geheul, das eine ganz bestimmte Tonsolge hat, und die auf den Jochen Sitzenden packen zugleich das Fell der Ochsen am Halse und schütteln es krampfhaft, was die Tiere in