Heft 
(1898) 09
Seite
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Aeöer «Land und Weer.

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ich vergess' ihn nie! überraschte ich meine

Schwester Anna auf dem leeren Heuboden über

einem Buche. Ein alter Kalender war's, auf dem Umschlag ein grober Holzschnitt: ,Andreas Hofers Abschied«.

Ich stürzte mich auf sie, um ihn ihr zu ent­reißen. Wir rangen. Die kleine schwächliche Anne, mein Liebling, setzte sich verzweifelt zur Wehre. Keins dachte an die Bodenluke. Aus einmal lag

sie unten. Aber sie schrie nicht. Still und blaß

blieb sie liegen.

Vielleicht ist sie tot, dachte ich. Entsetzen kämpfte in mir mit einem fast wahnsinnigen Ent­zücken über meinen Raub. Ich rannte wie gepeitscht davon, einem Versteck zu, dicht bei der Elbe. Da starrte mir auf einmal etwas entgegen, was ich noch nie gesehn hatte. Auf dem großen Felsen, der seit gestern vom Wasser freigelegt war, stand in verwaschenen Buchstaben das Menetekel: ,Wenn Ihr mich wiedersehet, werdet Ihr weinen?"

Karl Wedekind fühlte, daß es ihm eisig über den Rücken kroch.

Und deine Schwester?" fragte er, nachdem fie ein Stück schweigend neben einander hergeschritten waren.

Sie hat lange krauk gelegen und ist jung ge­storben. Aber, siehst du selbst wenn ich sie tot gefunden hätte, als ich mich abends nach Hause stahl Neue hätt' ich nicht fühlen können. Das Erreichte, die glühenden neuen Eindrücke von kühnen Thaten, von Aufopferung und tragischem Tod, das war alles so viel größer als unser häusliches Elend, als mein bißchen Schuld gegen das kleine Ding, das mich hindern wollte, zu nehmen, was mir, dem Klügeren, dem Stärkeren, zukam ... In der Nacht Hab' ich zum erstenmal gefühlt, daß ein Dichter in mir steckt.

Siehst du, Karl Wedekind. und seitdem weiß ich: wir alle haben unsre Hungersteine. Hier drinnen in unserm tiefsten Wesen, da liegen die Härten und Schroffheiteu, von denen wir in guten Tagen nichts wissen.

Aber laß einmal die große Dürre kommen, die Not, die Verzweiflung. Dann behüte Gott uns vor den Hungersteinen."

Hubert Schwarz blieb stehn und reichte Karl Wedekind die Hand.

So, du mußt jetzt links einbiegen. Ich geh' geradeaus. Also ich grüße Johanna, und du kommst bald einmal."

Karl nickte mechanisch, und sie trennten sich.

Nach einigen Tagen erhielt Karl eine Postkarte von Hubert. Johanna freue sich sehr ans ihn; er möge doch bald einmal zu ihr gehn, des Abends, wo sie freie Zeit habe.

Robert van wyck,

Wie Karl schon neulich erfahren, hatte sie mit dem Rest ihres kleinen Vermögens eine Papier- und Schreibmaterialienhandlung in der Marienstraße er­worben, die hauptsächlich durch ein paar Schulen in der Nachbarschaft lebhaften Umsatz hatte. Sie lebte leidlich gut, wenigstens ohne dringende Sorgen. Freilich kam sie den ganzen Tag nicht Zur Ruhe. Die Kunden, der Haushalt, der lebhafte kleine Bube, den sie nicht aus den Augen lassen durfte, das alles verlangte beständig ihre Aufmerksamkeit.

Aber du kennst sie ja," hatte Hubert gemeint.

'Das ist ihr gerade recht. Je mehr an ihr herum­zerren, desto zufriedener fühlt sie sich."

Eines Tages - nachdem er's eine Weile von ! sich geschoben hatte machte Karl Wedekind sich wirklich auf den Weg nach der Marienstraße. Es , war nach sieben Uhr und noch das volle Großstadt- ' leben in den Straßen. Die Arbeiter strömten aus ! den Werkstätten, die Speisehäuser, Vergnügungs­lokale, Theater füllten sich. Was sich den Tag über hart geplagt und gehetzt hatte, das suchte in ein paar Abendstunden dem Leben eine heitere Seite abzugewinnen, die erschöpften Nerven durch scharfe Reizmittel aufznpeitschen, Mühe und Sorgen in wohlfeilen Genüssen zu vergessen.

Unruhig und beklommen ging Karl zwischen all den eiligen Menschen dahin, mit zögernden Schritten, je näher er seinem Ziele kam.

Ein paarmal reckte er sich, als wär' ihm die Brust zu eng. Seine erste Liebe. . . und so!

Ein seltsames Wiedersehn. Er Hütte es ihr

gern erspart. Und wer weiß, ob sie sich wirklich freute, ob Hubert nicht ein Machtwort gesprochen hatte, ehe sie sich dazu verstanden hatte, Karl zu sehn.

Nun stand er vor dem kleinen Laden, zu dem ein paar Stufen hiuaufführten. Die Glasthür war zur Hälfte mit einer undurchsichtigen bunten Gardine verhängt.

Er versuchte, darüber hinweg einen Blick in das Innere des kleinen Raumes zu thun. Aber die Oberteile einiger Schränke und Repositorien, die er Zu übersehn vermochte, befriedigten seine unruhige Neugier nicht.

Es fehlte noch eine Viertelstunde an acht, dann wurde vermutlich das Geschäft geschlossen. Womit sollte er die Zeit totschlageu? Er stand eine ganze Weile vor dem Schaufenster und sah sich den billigen ^ Tand au, der, nett und geschmackvoll geordnet, die Käufer heranlocken sollte. Dann trat er mit einem ^ plötzlichen Entschluß ein. Die Thttrklingel meldete ! ihn mit gellendein Klang.

! Es war gerade ziemlich viel zu thun. Ein halb ! Dutzend Leute standen und warteten. Johanna hatte nicht einmal Zeit, den Neuangekommenen zu ^ beachten. Er blieb im Hintergründe stehn und sah ihr zu.

Ruhig und ernst bewegte sie sich hin und her hinter dem Ladentisch, bückte sich oder langte empor,

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von der deutschen Kriegsflotte: Typ der neuen Kanonenboote Ersatzllltis" und ,,Byane" unter Dampf und Zegel. Mriginalzeichnimg von Willy Slöwer.