Heft 
(1898) 09
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ich mir gesagt: so was schreibt einer nicht aus dem Ofenwinkel raus, als wohlbestallter Ordinarius der Quarta oder Tertia"

Hubert lächelte.Nein. Wenn man tagsüber den Nepos hat verballhornen lassen oder die deutschen Kaiser eingepankt... es geht einfach nicht. Probiert Hab' ich's ja eine Weile. . . gekittet, geflickt; halb verrückt bin ich drüber geworden, daß das Unmög­liche nicht möglich werden wollte. Wegen meiner Mutter, weißt du, die sich die Bissen am Munde ab­sparte, damit ich mal eine gute bürgerliche Stellung" Er unterdrückte einen aufsteigenden Seufzer.Na jetzt Hab' ich also nichts als mein Talent. Aber es lohnt mir's noch mal. Obgleich augenblicklich .. . die Poesie ist nicht lukrativ. Wenn ich, wie mein Namensvetter Berthold, mich aufs Erfinden mörde­rischer Chemikalien verlegt hätte, würde ich dir jeden­falls mehr bieten können, als diese Tasse Java und Ceylon gemischt, das Pfund zu anderthalb Mark"

Und er schob dem alten Freunde die gefüllte Kaffeetasse hinüber, deren Duft schon verriet, daß die Bohne nicht aus Mokka stammte.

Karl Wedekind verbarg eine leichte Verlegenheit unter lebhaftem Plaudern. Wie traurig, daß er den Hubert so wiederfand, diesen bedeutenden Menschen, der ihm immer so gewaltig imponiert hatte! Und nun diese armselige Zigeunerwirtschaft! Er lobte, um irgend etwas Freundliches zu sagen, den Kaffee über Verdienst, die alte Zuckerdose, ein Erbstück, die zierliche, rotgeränderte Taffe, auf der ein Name stand. Er entzifferte diesen.Johanna," las er und sah Hubert mit starrer Verwunderung an.

Ja, Johanna," sagte Hubert ruhig.Sie war vorher einen Moment hier. Du hast sie ja noch gesehn."

Johanna... hier?" Ganz gepackt richtete sich Karl im Sessel auf.Unmöglich!"

Warum?" fragte Hubert mit derselben un­erschütterlichen Ruhe.Sie ist seit drei Jahren in Dresden. Genau im März war es. Da hatte ich nämlich nacheinander so eine Art Wunderknäuel von Krankheiten. Wenn man dachte: nu ist's genug wupp! kam wieder irgend 'ne neue Ueberraschung herausgesprungen. Ich hätte nie gedacht, Kindlein, daß die menschliche Natur auf so viel Schikanen ein­gerichtet ist! Na und da kam sie: Johanna."

Als" Karl schluckte erst einmal, als wolle ihm das Wort nicht recht aus der Kehle,als deine Braut?"

Mit Verlobungsanzeigen und sonstigem Hokus­pokus? Nein. Dazu hatten wir keine Zeit. Auch kein Geld. Abgesehn davon, daß ich nicht mal bei soviel Besinnung war damals, um 'ne Katze von 'nem Laubfrosch unterscheiden zu können. Nein. Sie kam ganz einfach, weil ich mutterseelenallein dalag, und sie mich nicht nmkommen lassen wollte wie einen kranken Hund"

Aber der Alte? Der Herr .Registrator'?"

Der hatte sie schon längst rausgebissen."

Deinetwegen?"

Hubert nickte.Als wohlbestallter .Oberlehrer' wär' ich ihm wohl recht gewesen. Aber als ich umgesattelt hatte und Miete und Frühstück schuldig bleiben mußte und das Mädchen trotzdem an mir hing..."

Er versank in finstere Gedanken.Pfui Teufel!" rief er dann ingrimmig,was hat sie alles durch­gemacht! Eh' ein Weib so etwas thut, ans dem Hanse läuft, zu fremden Leuten!... Ein bißchen Geld war ja da. Ihr Mütterliches. Und sie war ma­jorenn . ..

Ich ging dann hierher. Sie hatte in Leipzig bei Verwandten eine Stelle als Stütze. Wir schrieben uns. Sie klagte nie. That immer ganz kregel. Bloß so manchmal ein Wort. Und ich saß selber so drin in der Bredouille. Meine Sachen immer brühwarm zurück von den Redaktionen unbesehn. Und Tag für Tag... bis es mir, wie gesagt, zuviel wurde. Ich legte mich hin und delirierte. Sie wunderte sich nicht lange, als meine Briefe ausblieben, packte und kam."

Er hielt inne, als erwarte er eine Zwischenrede Karl Wedekinds. Der aber saß stumm.

Als ich endlich aufstand, mußte ich von neuem lausen lernen, wie ein kleines Kind. Wenn sie ausgegangen war, mir ein Täubchen zu kaufen oder eine Flasche Wein, flennte ich nur immer so vor

Ueber Land und Meer.

mich hin. Haha! Wie ein Mensch so auf den Hund kommen kann! Aber so was Zusammen durchgemacht, das bindet, Kindlein! Das ist ein Kitt!"

Er nahm eine Photographie vom Schreibtisch und reichte sie Karl hinüber.Gut getroffen. Er­kennst du sie wieder?"

Karl nahm ihm das Bild aus der Hand und vertiefte sich darein. Es war ein Kniestück, ganz in Hellen Tönen gehalten. Johanna stand aufrecht, schlicht und natürlich, den Blick aus ruhigen, klaren Augen dem Beschauer zugewendet, die Hände locker ineinandergelegt. Sie war wenig verändert, nur die Figur etwas voller geworden. Und das Seelische, der Hauch des Gemüts, die den feinen Zauber des kaunt hübsch zu nennenden Frauenkopfes ausmachten, hatten sich in wunderbarer Weise herausgearbeitet.

Allerlei widerstreitende Gefühle bestürmten Karl beim Anblick seiner Jugendliebe. Damals in Göt­tingen, als Hubert im Hause ihres Vaters wohnte, hatte er täglich Gelegenheit gehabt, sie zu sehn. Sie hatten in Mariaspring unter den grünen Bäumen zusammen getanzt und Blumen gesucht im Walde, auf dem Wege nach der Plesse. Und ganz all­mählich hatte er gemerkt, daß die zarten verschleierten Reize es ihm angethan hatten zu seinem Schaden. Denn Hubert war ihr augenscheinlich lieber.

Er machte also nicht viel Aufhebens von seiner stillen Neigung und gönnte sich's nur, sie täglich zu sehn. Wie hätte er's auch mit Hubert aufnehmen sollen!

Auch jetzt, während er das Bild betrachtete, grübelte Karl wieder über die seltsame Anziehungs­und Aufsaugungskraft dieses Menschen. ,Wie ein Strom, der alles hinabschluckt, was ihm in den Weg kommt,' dachte er. Mas er liebt, muß in ihm aufgehn, Eigenart, Ueberzeugung, Willen ihm opfern, ein Teil von ihm selber werden.'

Das hatte er oft genug an sich selber erfahren. Wie manches Mal war er nach Hause gestürmt, wütend über die Herrschergelüste Huberts: nie wieder! Und war dann doch wiedergekommen. Bis eines Tages der Bruch da war, scharf und klaffend.

Johannas wegen.

Dieser armen Seele trug ihre Liebe mehr Dornen als Blüten. Oft schlich sie dahin mit gesenkten Schultern, ein Bild der Trostlosigkeit.

Ein hartes Wort Huberts, und alles wurde ihr dunkel. Das Leben lag aus ihr wie eine schwarze Decke. Sie kam von selber nicht wieder empor. Und Hubert, immer in seinen Ideen steckend, merkte oft nicht einmal, was er angerichtet hatte.

Bei einer solchen Gelegenheit hatte ihm Karl seine Meinung" gesagt. Und so gründlich, daß jedes nachträgliche Mildern und Wiedergutmachen ausgeschlossen war. Zum Glück kam bald darauf seine Versetzung.

Und nun saß er wieder hier bei Hubert und hielt Johannas Bild in der Hand.Schade!" sagte er jetzt aus seinen Gedanken heraus,daß es mit dem Heiraten noch ein Weilchen Zeit haben wird."

Hubert, der als ordentlicher Hauswirt das Kaffee­geschirr znsammenräumte, blieb vor Karl stehn und sah ihm fest ins Gesicht.Sie ist meine Frau," sagte er mit ruhigem Nachdruck.

Deine Frau?" Karl Wedekind wußte nicht recht, wie ihm geschah. Er stellte das Bild fort, als thäte es plötzlich seinen Augen weh.Johanna? Ich verstehe nicht Er faßte sich an die Stirn.

Psaff und Standesamt haben wir zwar weiter nicht bemüht," sagte Hubert gelassen.Ein Paar- Mächtigere haben uns zusammengegeben: die Not und die Liebe."

Er sah scharf in Karls Gesicht, das deutlich zeigte, wie er mit allen Kräften diese Neuigkeit zu bewältigen suchte. Johanna, die ihm immer eine Heilige gewesen!

Hätt' ich bloß ihre Opfer annehmen sollen?" fuhr Hubert nach einer Weile fort.Und das einzige Glück, das armen Schluckern, wie wir's sind, noch nicht verbaut ist Karl Wedekind," sagte er plötzlich weich,du solltest sie einmal sehn, seit der Kleine da ist."

Ueber Karls Gesicht huschte eine dunkle Röte. Finster und gequält nagte er an seiner Lippe.

Wieder eine lange, dumpfe, peinliche Pause. Endlich sagte er:Du bist ein Mann. Du trägst die Ver­antwortung schon selber"

Die volle!" Hubert reckte seine breite Brust.

Aber das arme Weib"

Komm," sagte Hubert und erhob sich rasch. Ich muß heut noch zu ihr. Es ist allerlei Lite­rarisches gekommen. Das wollte sie mir sagen. Ich lass' es nämlich an ihre Adresse schicken wegen der Spürnase meiner Wirtin. Hör' Johanna selber. Das darfst du mir nicht abschlagen."

Heut nicht. Sag's ihr erst. Vielleicht ist's ihr doch peinlich. Aber" er knöpfte den Ueber- Zieher zuwir können wohl noch ein Stück zusammengehn."

Unterwegs sie hatten noch eine ganze Strecke durch die Neustadt, ehe sie an die Augustusbrücke kamen war Hubert liebenswürdig und gesprächig. Er regte, offenbar in dem Bestreben, den ersten pein­lichen Eindruck seines Berichts zu verwischen, so viel neue und interessante Fragen an, daß Karls Ge­danken bald in andre Bahnen gerieten.

Endlich hatten sie die Brücke erreicht, unter deren gewaltigen Bogen der Strom breit und majestätisch dahinfloß. Zauberhaft spiegelte sich der Lichterglanz der Brücken, der Restaurants, der Villen und Straßen, die sich an den Ufern entlangzogen, in dem dunkeln, beweglichen Spiegel.

Gefesselt war Karl stehn geblieben. Das schwarze, ruhelose, lebendige und doch unheimlich stumme Un­geheuer erschien ihm wie ein Riese, der unaufhaltsam und unwiderstehlich einem fernen Ziel entgegeneilt.

Da hörte er Huberts Stimme neben sich.

Den Hab' ich auch mal klein gesehn . . . Sand, Geröll, dazwischen ein kümmerlicher Wasserarm. Und dann waren auch eines Tages die Hungersteine da."

Hnngersteine? Das klingt ja ganz unheimlich."

Sind auch unheimliche Gesellen. Und für mich ist ihre Bekanntschaft noch mit so allerlei Umständen verknüpft"

Er schüttelte sich, als liefe ihm ein Schauer über den Rücken. Der Wind pfiff scharf und schneidend über den Fluß hin. Sie gingen schneller weiter, um in den Schutz der Häuser zu kommen.

Karl war neugierig geworden, und als Hubert das Kapitel, das er eben berührt hatte, nicht weiter verfolgen zu wollen schien, fragte er geradezu, was es für eine Bewandtnis damit habe.

Es sind Felsen, die bei besonders niedrigem Wasserstande aus dem Flußbett zum Vorschein kommen. Das Volk fürchtet sie abergläubisch. Sie sind die traurigen Begleiter von Dürre, Hungersnot, Viehsterben."

Und du hast sie erlebt?"

Jawohl. Mein Vater hatte ein kleines Gut in Pacht, in der Nähe von Riesa. Und da haben wir Kinder in regenlosen Sommern zittern gelernt vor dem Gespenst der Hungersteine."

Das kann ich mir denken."

Vielleicht doch nicht ganz. Du bist in einem ehrbaren Pfarrhause groß geworden. Bei uns aber war der Teufel los, wenn eine Mißernte drohte. Ob wir nun brav waren oder nicht, Schläge gab's doch, hungern mußten wir doch. Da schoß denn die Bestie, die in uns allen steckt, gut ins Kraut. Jeder suchte zu ergattern, was er ergattern konnte, sonst ging er leer aus. Aus diese Weise wird dir vielleicht mancher Charakterzug an mir verständlich," schloß er sarkastisch lächelnd.

Jawohl," murmelte Karl und dachte an Johanna.

Der furchtbare Sommer von dreiundsiebzig kam. Das Gras verdorrte, die Erde barst in großen Sprüngen. Wir schlachteten unser bißchen Vieh. Mein Vater schalt und fluchte von früh bis spät. Meine Mutter weinte. Wir Buben drückten uns draußen herum; dem Vater wagte niemand unter die Augen zu kommen.

Und dabei erbarmungslos blau der Himmel jeden Morgen, und die Elbe von Tag zu Tag kleiner...

Ich hatte eine Leidenschaft: das Lesen.

Es war mein Schmerzensstiller. Wie ein Morphiumsüchtiger für sein geliebtes Gift, hätt' ich meine Seele hingegeben für das erbärmlichste Lese- sutter.

Eines Tages am Zwanzigsten August war's,