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Aeber Land und Weer.
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Nun aber ist es genug des Marmors; der Glast wird nachgerade unerträglich, und zugleich werden die Ohren von all dem Gehämmer und Geschrille völlig betäubt. Der Rückweg an den brausenden Kaskaden des Carrione brächte den müden Nerven Erholung, wenn nur der Fuß nicht genötigt wäre, bei jedem Schritt den knöcheltiefen Marmorstaub anfznwühlen. Auch hier begleitet uns der Marmor auf Weg und Steg, selbst das elendeste Bauernhaus hat wenigstens Schwellen, Fenstereinfassungen und Brnnnenrand von poliertem Marmor, nicht zu reden von dem Marmorabfall, der zu Dämmen, Straßenbeschotterung und Aehnlichem benutzt wird.
Der Ueberdruß wird endlich zu einer wahren Beängstigung, weil man das Gefühl bekommt, als fei hier jeder Gegenstand bereit, sich unter unfern Händen in Marmor zu verwandeln. Ich gestehe, daß mir der Weg zum Bahnhof am späten Abend eine Erlösung bedeutete. Noch eine lange Strecke folgten uns die stummen Marmorfelder, die durch die Dunkelheit leuchteten, und unser Zug schleppte eine ungeheure Marmorlast nach der Küste.
Ein kurzer Besuch in Carrara genügt, um eine vollkommene Uebersicht über die Gewinnung und Behandlung des Marmors zu erlangen. Nur der Natur des gewaltigen Gebirges kommt man dort nicht so recht nahe, denn in Carrara ist alles städtisch kultiviert und abgefchliffen. Wer die Apuanischen Alpen in ihrer Größe und Einsamkeit sehen will, dem sei eine Besteigung von Pietrasanta oder Serravezza aus dringend empfohlen.
So warst du mein, so hielt ich dich umfaßt,
So fühlt' dein Herz ich an dein meinen schlagen
wir feierten der Schöpfung Frühlingsfest.
Im Hfingstschmuck prangten wies und Flur und Hain, Und über uns wölbt' sich das Himmelszelt,
Und um uns hörten wir das Waldesrauschen, — von fern her tönten frohe Ulenschenstimmen: wir waren in der Welt und doch — allein!
In meiner treuen Liebe Zaubermantel.
Lin bißchen Erdenleid — ich acht' es nicht,
Lin wenig Seelenschmerz — es thut nicht weh,
Ls schmilzt wie Schnee vor ihres Glückes Sonne.
Laß, Schicksal, diesen Tag mich gnädig schauen,
Und weiter will ich wandern ohne Klagen; will deiner Huld mein höchstes Gut vertrauen Und meines Herzens heißem Wunsch entsagen!
L. Michael.
Die Kungersteine.
Roman
Hertrud Kranke-Schievetöem.
klopfte. Niemand hörte. Drinnen erscholl das Geräusch von Stimmen. Die männliche, die ungefähr aus der Fenstergegend kam, war tief, stark, wohllautend, metallisch hart wie der Klang eherner Glocken. Die weibliche, obgleich dicht an der Thür, hatte so weiche und bescheidene Laute, daß sie nur ab und zu draußen vernehmbar war.
Ein ruhiges, ernstes, sriedsames Gespräch, wie zwischen guten alten Freunden oder Eheleuten.
Der Klopfende, ein junger blonder Mann, stand einen Augenblick unschlüssig. Er vergewisserte sich noch einmal, ob er auch vor die rechte Schmiede gekommen sei. „Hubert Schwarz?" Ja. Das stand da deutlich auf der mit Hefteln befestigten Visitenkarte, dem Wahrzeichen des Nomaden, der aus einer möblierten Stube in die andre zieht.
Aber die Frauenstimme? Vielleicht die Wirtin. Oder die Wäscherin. Oder ein Besuch —
Er klopfte noch einmal, energischer.
Nun trat plötzlich drinnen eine so tiefe, langandauernde Stille ein, daß sie dem Gast förmlich auf die Nerven fiel. Er störte also.
Schon hatte er sich umgewandt, um wieder zu gehn, da erscholl ein lautes, ärgerliches „Herein!" Er drückte auf die Klinke. Richtig! Die Thür war offen. Im nächsten Augenblick stand er in dem kleinen Zimmer.
Hubert Schwarz saß an seinem Schreibtisch, auf dem die billige Studierlampe mit dem abgegriffenen Bronzefuß brannte. Seine dunkeln Augen blickten spähend auf den Eintretenden. Auf feiner Stirn, die wie aus gelblichem Marmor geformt war, mit prachtvollen Ausladungen über den starken Brauen, lag deutlich der Mißmut über die unerwartete Störung.
Eine schlanke Dame in Hut und Mantel hatte sich von dem Stuhl neben der Thür hastig, fast erschrocken erhoben. Als sie jetzt in die Helligkeit trat, die das Gas im Flur durch die noch geöffnete Thür warf, glänzte der graue Schleier über ihrem Gesicht in allerlei silbernen Reflexen. Er sah nichts als ein paar große, sanfte, scheue Augen.
Als sei sie schon vorher im Begriff gewesen zu gehn, nahm sie ihren kleinen braunen Muff auf, nickte Hubert einen stummen Gruß zu und ging mit einer flüchtigen, verlegenen Verbeugung gegen den Gast hinaus.
„Sie wünschen?" fragte Hubert Schwarz zurückhaltend und mit geschäftsmäßiger Kürze. Er hatte sich erhoben. Seine lange, gutgewachsene Gestalt war fast um einen Kopf größer als die des späten Besuchers.
Dieser hatte sich dem Schreibtisch genähert und streckte eine runde, fleischige Hand in neuen braunen Glaces aus. „Guten Abend, Hubert," sagte er ruhig. Aber dabei hingen seine gutmütigen blauen Augen stillfreudig an Hubert, als suche er in dem blassen Gesicht des alten Studienfreundes allerlei zusammen, was ihm anders im Gedächtnis geblieben war.
„Kennst du mich noch? Oder muß ich dir meine Karte —?"
„Karl Wedekind?" rief Hubert Schwarz erfreut. Und als traue er seinen Augen nicht, nahm er die Lampe und leuchtete seinem Freunde, hierhin und dorthin fahrend, übers Gesicht und die mittelgroße, schon ein bißchen ins Behagliche fallende Figur.
„Kindlein, bist du's denn wirklich?"
Karl nickte.
„Alter, lieber Kerl, du kommst wirklich wieder?"
„Ja," brummte Karl, beinah' gerührt durch die echte Freude des andern. „Stell doch die verfluchte Funzel hin. Neue Schönheiten wirst du schwerlich an mir entdecken. Also ich bin's. Hier ist meine biedere Rechte. Hab' zwar damals mit heiligen Eiden verschworen, je wieder deine Schwelle. . . Pah! Ist verjährt! Sechs Jahre! Na — und da mich das Schicksal nu mal nach Elbflorenz verschlagen hat —"
„Den Eidbruch lohnen dir die Götter, Kindlein!
Blödsinn damals! Jugendeselei! Herrgott, was man inzwischen alles an wahrhafter Niedertracht, Bosheit, Gemeinheit. . . Pfui Teufel! . . . Na, aber erst mal fetzen! Mach dir's gemütlich, soweit es in diesem Loch —"
Er sah mit resigniertem Blick umher auf die Armseligkeit des Zimmers. Sie versteckte sich nicht wie verschämte Armut. Frech und dreist schrie sie jedem ins Gesicht: hier bin ich zu Hause! Das braune Ripssofa, stellenweis ins Grüngelbe spielend, die dünnen, geflickten Mullvorhänge, der abgetretene Teppich, der nur noch in der Mitte zwischen den Tischfüßen die Reste eines großblumigen Musters zeigte — die Möbel Dutzendware, auf Auktionen zusammengelesen. Nur ein Sessel, rundlehnig, steifbeinig, schien ein echtes Empirestück, und seine vornehme Formenstrenge nahm sich seltsam aus zwischen der nüchternen Stillosigkeit seiner modernen Genossen.
Hubert Schwarz rückte mit Anstrengung an dem schweren Tisch, der nicht von der Stelle wollte, und machte eine einladende Geste nach dem Sofa — aber ungeschickt und gezwungen, wie einer, der verlernt hat, Gastfreundschaft zu üben. Dann lief er mit großen Schritten zum Ofen, um nach dem Feuer zu sehn. Halbwegs aber besann er sich und kehrte um, langsam und beschämt. „Ich vergaß," murmelte er, „Hab' ja heut nicht Heizen lassen. Na, da behältst du halt deinen molligen Flausch an —"
„Famos! Aber du?"
„Pah! Weißt du denn nicht mehr? Mich macht ja so'n feuerspeiendes Ungetüm im Zimmer rein toll. Produziere ja selber kolossalen Wärmeüberschuß —"
„So," sagte Karl. „Ach ja, ich weiß. Und dann haben wir ja schon März —" Dabei fühlte er noch immer die eisigen Finger Huberts in seiner Hand. Bis in den Arm war ihm das Kältegefühl gekrochen.
„Jetzt gedulde dich nur einen Augenblick," fuhr Hubert Schwarz fort, eifrig in seine Wirtspflichten vertieft. „Wie du dich ebenfalls erinnern wirst, führe ich Bier und andre Alkoholika prinzipiell nicht. Indessen hier... der Levantetrank..." Er stellte eine kleine Kaffeemaschine auf den Tisch und schleppte aus einem Eckschrauk Tassen, eine Zuckerdose und ein Kännchen mit Milch herbei, „Kaffee macht den Kopf klar . . . Das Wasser kocht in drei Minuten. Aber du stehst ja noch —"
Karl zwängte sich mit Todesverachtung durch die schmale Gasse zwischen Tisch und Sofa. Kaum aber hatte er sich der gemütlichen Ecke anvertraut, so schnellte er mit einem Ueberraschungsruf aus deren unvermuteter Tiefe wieder empor. „Donnerwetter! Entschuldige! Aber das ist ja 'ne richtige Fallgrube! Ich möchte bitten — einen Stuhl."
Hubert lachte, zum erstenmal frei und offen. Und damit schüttelte er alles Fremdseiu und alle Verlegenheit energisch von sich ab. Er schob Karl den antiken Sessel hin.
„Der hält dich aus. Aus deine achtzig bis neunzig Kilo war das alte Dings da freilich nicht gefaßt. Wie hast du's bloß angestellt, dich in den paar Jahren so zu multiplizieren?"
„Familienfehler," meinte Karl, sich in dem „Griechischen" zurechtrückend, der im Gegensatz zum Sofa charaktervoll genug war, auch nicht eine Linie breit nachzugeben. „Wir sterben alle an Asthma, Herzverfettung, Schlagfluß. Wenn ich die Wahl hätte, ich bäte gehorsamst um die letzte Sorte. Indessen —" er starrte einen Augenblick in das blaue Spiritusflämmchen, das sein hübsches, frisches Gesicht mit einem fahlen Schein beleuchtete, „erst mal leben. Ich habe mich nämlich — seit acht Tagen — hier als Rechtsanwalt niedergelassen und hoffe auf eine ersprießliche und auskömmliche Thätigkeit... Du rauchst noch immer nicht?"
Er hatte ein Lederetui aus der Brusttasche gezogen und bot Hubert von dem sehr vertrauenerweckenden Inhalt an. „Importen. Geschenk eines dankbaren Mandanten. Nein? — Also ganz Diogenes?"
Hubert goß ruhig das kochende Wasser auf das Kaffeepulver. „Ich habe alle Ursache dazu. Ich weiß nicht, ob dir bekannt ist, daß ich die Schulmeisteret an den Nagel gehängt habe?"
„Offiziell nicht. Aber — hm — gedacht Hab' ich mir's. Ich besitze nämlich deine Sachen — alle! Die Gedichte, das Epos, das Drama. Und da Hab'