Heft 
(1898) 11
Seite
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Aelier <Land und Meer.

Und nun stieg Dubslav auch ab, um den ganz Unbehilflichen mit Martin gemeinschaftlich auf den Rücksitz zu legen. Und bei dieser Prozedur kam der Trunkene einigermaßen wieder zu sich und sagte: Nei, nei, Martin, nich doa; pack mi lewer vorn upp'n Bock."

Und wirklich, sie hoben ihn da hinauf, und da saß er nun auch ganz still und sagte nichts. Denn er schämte sich vor dem gnädigen Herrn.

Endlich aber nahm dieser wieder das Wort und sagte:Nu sage mal, Tuxen, kannst du denn von dem Branntwein nich lassend Legst dich da hin; is- ja schon Nachtfrost. Noch 'ne Stunde, dann warst du dod. Waren sie denn alle sod"

Mehrschtendeels."

Und da habt ihr denn für den Katzenstein ge­stimmt."

Nei, gnäd'ger Herr, vör Katzenstein nich."

Und nun schwieg er wieder, während er vorn auf dem Bock unsicher hin und her schwankte.

Na, man 'raus mit der Sprache. Du weißt ja, ich reiß' keinem den Kopp ab. Is auch alles egal. Also für Katzenstein nich. Na, für wen dennd"

Vör Torgelow'n."

Dubslav lachte.Für Torgelow, den euch die Berliner hergeschickt haben. Hat er denn schon was für euch gelhand"

Nei, noch nich."

Na, warum dennd"

Joa, se seggen joa, he will nu wat sör uns duhn un is ook so sihr sör de armen Lüd. Un denn kriegen wi joa'n Stück Tüsfelland. Un se seggen ook, he is klöger, as de annern sinn."

Wird wohl. Aber er is doch noch lange nich so klng, wie ihr dumm seid. Habt ihr denn schon gehungert d"

Nei, dat grad nich."

Na, das kann auch noch kommen."

Ach, gnäd'ger Herr, dat wihrd joa woll nich."

Na, wer weiß, Tuxen. Aber hier is Dietrichs- Ofen. Nu steigt man ab und seht Euch vor, daß Ihr nicht fallt, wenn die Pferde anrucken. Und hier habt Ihr was. Aber nich mehr für heut. Für heut habt Ihr genug. Und nu macht, daß Ihr zu Bett kommt und träumt von ,Tüffelland'."

XXI.

Woldemar erfuhr am andern Morgen aus Zeitungs­telegrammen, daß der sozialdemokratische Kandidat, Feilenhauer Torgelow, im Wahlkreise Nheinsberg- Wutz gesiegt habe. Bald daraus traf auch ein Brief von Lorenzen ein, der zunächst die Telegramme bestätigte und am Schlüsse hinzusetzte, daß Dubslav eigentlich herzlich froh über den Ausgang sei. Wolde­mar war es auch. Er ging davon aus, daß sein Vater wohl das Zeug habe, bei Dressel oder Borchardt mit viel gutem Menschenverstand und noch mehr Eulenspiegelei seine Meinung über allerhand politische Dinge zum besten zu geben; aber im Reichstage fach- und sachgemäß sprechen, das könnt' er nicht und wollt' er auch nicht. Woldemar war so durch­drungen davon, daß er über die Vorstellung einer Niederlage, dran er als Sohn des Alten immerhin wie beteiligt war, verhältnismäßig rasch hinwegkam, pries es aber doch, um eben diese Zeit mit einem Kommando nach Ostpreußen hin betraut zu werden, das ihn auf ein paar Wochen von Berlin sernhielt. Kam er dann zurück, so waren Anfragen in dieser Wahlangelegenheit nicht mehr zu befürchten, am wenigsten innerhalb seines Regiments, in dem man sich, von ein paar Intimsten abgesehn, eigentlich schon jetzt über den unliebsamen Zwischenfall ausschwieg.

Und in Schweigen hüllte man sich auch am Kronprinzen-Ufer, als Woldemar hier am Abend vor seiner Abreise noch einmal vorsprach, um sich bei der gräflichen Familie zu verabschieden. Es wurde nur ganz obenhin von einem abermaligen Siege der Sozialdemokratie gesprochen, ein absichtlich flüchtiges Berühren, das nicht ausfiel, weil sich das Gespräch sehr bald um Rex und Czako zu drehen begann, die, seit lange dazu aufgesordert, gerade den Tag vorher ihren ersten Besuch im Barbyschen Hause gemacht und besonders bei dem alten Grafen viel Entgegen­kommen gefunden hatten. Auch Melusine hatte sich durch den Besuch der Freunde durchaus zufrieden- gestellt gesehn, trotzdem ihr nicht entgangen war, was, nach freilich entgegengesetzten Seiten hin, die Schwäche beider ansniachte.

Wovon der eine zu wenig hat," sagte sie, davon hat der andre zu viel."

Und wie zeigte sich das, gnädigste Gräfind"

O, ganz unverkennbar. Es traf sich, daß im selben Augenblicke, wo die Herren Platz nahmen, drüben die Glocken der Gnadenkirche geläutet wurden, was denn man ist bei solchen ersten Besuchen immer dankbar, an irgend was anknüpsen zu können unser Gespräch sofort aufs Kirchliche hinüberlenkte. Da legitimierten sich dann beide. Hauptmann Czako, weil er ahnen mochte, was sein Freund in nächster Minute sagen würde, gab sofort deutliche Zeichen von Ungeduld, während Herr von Rex nicht nur von demErnst der Zeiten" zu sprechen anfing, sondern von dem Bau neuer Kirchen auch einen allgemeinen und noch bevor­stehenden Umschwung erwartete. Was mich natürlich erheiterte."

Woldemars Kommando noch Ostpreußen war bis aus Anfang November berechnet, und mehr als einmal sprachen im Verlaufe dieser Zeit Rex und Czako bei denBarbys vor. Freilich immer nur einzeln. Verabredungen zu gemeinschaftlichem Besuche waren zwar mehrfach eingeleitet worden, aber jedesmal erfolglos, und erst zwei Tage vor Woldemars Rückkehr fügte es sich, daß sich die beiden Freunde bei den Barbys trafen. Es war ein ganz besonders gelungener Abend, da neben der Baronin Berchtes­gaden und vr. Wrschowitz auch ein alter Maler- Professor (eine neue Bekanntschaft des Hauses) zu­gegen war, was eine sehr belebte Konversation herbeigeführt hatte. Besonders der neben seinen andern Apartheiten auch durch langes weißes Haar und große Leuchte-Augen ausgezeichnete Professor hatte, gestützt aus einen unentwegten Peter Cornelius- Enthusiasmus, alles Hinzureißen gewußt.Ich bin glücklich, noch die Tage dieses großen und einzig dastehenden Künstlers gesehn zu haben. Sie kennen seine Kartons, die mir das Bedeutendste scheinen, was wir überhaupt hier haben. Aus dem einen Karton steht im Vordergrund ein Tubabläser und setzt das Horn an den Mund, um zu Gericht zu rufen. Diese eine Gestalt balanciert fünf Kunst­ausstellungen, will also sagen netto 15000 Bilder. Und eben diese Kartons, samt dem Bläser zum Gericht, die wollen sie jetzt sortschaffen und sagen in naiver Effronterie, solch schwarzes Zeug mit Kohlen­strichen dürfe überhaupt nicht so viel Raum einnehmen. Ich aber sage Ihnen, meine Herrschaften, ein Kohlen­strich von Cornelius ist mehr wert als alle modernen Paletten zusammen genommen, und die Tuba, die dieser Tubabläser da an den Mund setzt verzeihen Sie mir altem Jüngling diesen Kalauer, diese Tuba wiegt alle Tuben auf, aus denen sie jetzt ihre Farben herausdrücken. Beiläufig auch eine miserable Neuerung. Zu meiner Zeit gab es noch Beutel, und diese Beutel aus Schweinsblase waren viel besser. Ein wahres Glück, daß König Friedrich Wilhelm IV. diese jetzt etablierte Niedergangsepoche nicht mehr erlebt hat, diese Zeit des Abfalls, so recht eigentlich eine Zeit der apokalyptischen Reiter. Bloß zu den dreien, die der große Meister uns da geschaffen hat, ist heutzutage noch ein vierter Reiter gekommen, ein Mischling von Neid und Ungeschmack. Und dieser vierte sichelt am stärksten."

Alles nickte, selbst die, die nicht ganz so dachten, denn der Alte mit seinem Apostelkopfe hatte ganz wie ein Prophet gesprochen. Nur Melusine blieb in einer stillen Opposition und flüsterte der Baronin zu:Tubabläser. Mir persönlich ist daS Böcklinsche Meerweib lieber. Ich bin freilich Partei."

Die Abende bei den Barbys schlossen immer zu früher Stunde. So war es auch heute wieder. Es schlug eben erst zehn, als Rex und Czako auf die Straße hinaustraten und drüben an dem lang­gestreckten Ufer Tausende von Lichtern vor sich hatten, von denen die vordersten sich im Wasser spiegelten.

Ich möchte Wohl noch einen Spaziergang machen," sagte Czako.Was meinen Sie, Nexd Sind Sie mit dabei d Wir gehen hier am User entlang, an den Zelten vorbei bis Bellevue, und da steigen wir in die Stadtbahn und fahren zurück. Sie bis an die Friedrichsstraße, ich bis an den Alexanderplatz. Da ist jeder von uns in drei Minuten zu Hans."

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Rex war einverstanden.Ein wahres Glück," sagte er,daß wir uns endlich mal getroffen haben. Seit fast drei Wochen kennen wir nun das Hans und haben noch keine Aussprache darüber gehabt. Und das ist doch immer die Hauptsache. Für Sie gewiß."

Ja, Rex, das Für Sie gewiß', das sagen Sie so spöttisch und überheblich, weil Sie glauben, klatschen sei was Inferiores und für mich gerade gut, für Sie aber nicht vornehm genug. Aber da machen Sie meiner Meinung nach einen doppelten Fehler. Denn erstlich ist Klatschen über­haupt nicht inferior, und Zweitens klatschen Sie gerade so gern wie ich und vielleicht noch ein bißchen lieber. Sie bleiben nur immer etwas steifer dabei, lehnen meine Frivolitäten zunächst ab, warten aber eigentlich daraus. Im übrigen denk' ich, wir lassen alles auf sich beruhn und sprechen lieber von was andern:. Ich finde, wir können unserm Freunde Stechlin nicht dankbar genug dafür sein, uns mit einem so liebenswürdigen Hause bekannt gemacht zu haben. Den Wrschowitz und den alten Malerprofessor, der von dem Engel des Gerichts nicht loskonnte, nun die beiden schenk' ich Ihnen (ich denke mir, der Maler wird wohl nach Ihrem Geschmacke sein), aber die andern, die man da trifft, wie reizend alle, wie natürlich. Obenan dieser Frommel, dieser Hof­prediger, der mir am Theetisch fast noch besser ge­fällt als aus der Kanzel. Und dann diese bayrische Baronin. Es ist doch merkwürdig, daß die Süd­deutschen uns im Gesellschaftlichen immer um einen guten Schritt voraus sind, nicht von Bildungs, aber von glücklicher Natur wegen. Und diese glückliche Natur, das ist doch die wahre Bildung."

Ach Czako, Sie überschätzen das. Es ist ja richtig, wenn sie da so die Würstel aus dem großen Kessel herausholen und irgend eine Loni oder Toni mit dem Maßkrug kommt, so sieht das nach was aus, und wir kommen uns wie verhungerte Schul­meister daneben vor. Aber eigentlich ist das, was wir haben, doch das Höhere."

Gott bewahre. Alles, was mit Grammatik und Examen zusammenhängt, ist nie das Höhere. Waren die Patriarchen examiniert, oder Moses oder Christus d Die Pharisäer waren examiniert. Und da sehn Sie, was dabei heranskommt. Aber, um mehr in der Nähe zu bleiben, nehmen Sie den alten Grafen. Er war freilich Botschaftsrat, und das klingt ein bißchen nach was; aber eigentlich ist er doch auch bloß ein unexaminierter Naturmensch, und das gerade giebt ihm seinen Charme. Beiläufig, finden Sie nicht auch, daß er dem alten Stechlin ähnlich sieht d"

Ja, äußerlich."

Auch innerlich. Natürlich 'ne andre Nummer, aber doch derselbe Zwirn, Pardon für den etwas abgehaspelten Berolinismus. Und wenn Sie vielleicht an Politik gedacht haben, auch da ist wenig Unterschied. Der alte Graf ist lange nicht so liberal und der alte Dubslav lange nicht so junkerlich, wie's aussieht. Dieser Barby, dessen Familie, glaub' ich, vordem zu den Reichsunmittelbaren gehörte, dem steckt noch so was von , Gottesgnadenschaft' in den Knochen, und das giebt dann die bekannte Sorte von Vornehmheit, die sich den Liberalismus glaubt gönnen zu können. Und der alte Dubslav, nun, der hat dafür das im Leibe, was die richtigen Junker alle haben: ein Stück Sozialdemokratie. Wenn sie gereizt werden, bekennen sie sich selber dazu."

Sie verkennen das, Czako. Das alles ist ja bloß Spielerei."

Ja, was heißt Spielereid Spielen. Wir haben schöne alte Fibelverse, die vor der Gefährlichkeit des Mit-dem-Feuerspielens warnen. Aber lassen wir Dubslav und den alten Barby. Wichtiger sind doch zuletzt immer die Damen, die Gräfin und die Com- tesse. Welche wird es d Ich glaube, wir haben schon mal darüber gesprochen, damals, als wir von Kloster Wutz her über den Kremmerdamm ritten. Viel Vertrauen zu Freund Woldemars richtigem Frauenverständnis Hab' ich eigentlich nicht, aber ich sage trotzdem: Melusine."

Und ich sage: Armgard. Und Sie sagen es eigentlich auch."

Es war zwei Tage vor Woldemars Rückkehr aus Ostpreußen, daß Rex und Czako dies Tiergarten- gesprüch führten. Eine halbe Stunde später fuhren