Heft 
(1898) 11
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sie, wie verabredet, vom Bcllevuebahnhof aus wieder in die Stadt zurück. Ueberall war noch ein reges Leben und Treiben, und Leben war denn auch in dem aus bloß drei Zimmern verschiedener Größe sich Zusammen­setzenden Kasino der Gardedragoner. In dem zunächst am Flur gelegenen großen Speisesaale, von dessen Wänden die früheren Kommandeure des Regiments, Prinzen und Nichtprinzen, herniederblickten, sah man nur wenig Gäste. Daneben aber lag ein Eckzimmer, das mehr Insassen und mehr flotte Bewegung hatte. Hier, über dem fchräg gestellten Kamin, drin ein kleines Feuer stuckerte, hing seit kurzem das Bildnis deshohen Chefs" des Regiments, der Königin von England, und in der Nähe eben dieses Bildes ein ruhmreiches Erinnerungsstück aus dem sechsundsechziger und siebziger Kriege: die

Trompete, darauf derselbe Mann (Stabstrompeter Wollhaupt) erst am dritten Juli auf der Höhe von Lipa und dann am sechzehnten August bei Mars la Tour das Regiment zur Attacke gerufen hatte, bis er an der Seite seines Obersten fiel; der Oberst mit ihm.

Dies Eckzimmer war, wie gewöhnlich, auch heute der bevorzugte kleine Raum, drin sich jüngere und ältere Offiziere zu Spiel und Plauderei zusammen­gefunden hatten, unter ihnen die Herren von Wolfs­hagen, von Herbstfelde, von Wohlgemuth, von Grumbach, von Raspe.

Weiß der Himmel," sagte Raspe,wir kommen aus den Abordnungen auch gar nicht mehr heraus. Wir haben freilich drei Sendens im Regiment, aber es sind der Sendbotschaften doch fast zu viel. Und diesmal nun auch unser Stechlin dabei. Was wird er sagen, wenn er oben in Ostpreußen von der ihm zugedachten Ehre hört. Er wird vielleicht sehr ge­mischte Gefühle haben. Uebermorgen ist er von Trakehnen wieder da, mutmaßlich bei dem scheuß­lichen Wetter schlecht ajustiert, und dann Hals über Kopf und in großem Trara nach London. Und London ginge noch. Aber auch nach Windsor. Alles, wenn es sich um chic handelt, will doch seine Zeit haben, und gerade die Vettern drüben sehen einem sehr auf die Finger."

Laß sie sehn," sagte Herbstfelde.Wir sehen auch. Und Stechlin ist nicht der Mann, sich

über derlei Dinge graue Haare wachsen zu lassen. Ich glaube, daß ihn was ganz andres geniert. Es ist doch immerhin was, daß er da mit nach Eng­land hinüber soll, und einer solchen Auszeichnung ent­spricht selbstverständlich eine Nichtauszeichnung andrer. Das paßt nicht jedem, und nach dem Bilde, das ich mir von unserm Stechlin mache, gehört er zu diesen. Er ficht nicht gern unter der Devisenur über Leichen", hat vielmehr umgekehrt den Zug, sich in die zweite Linie zu stellen. Und nun sieht es aus, als wär' er ein Streber."

Stimmt nicht," sagte Raspe.Für so verrannt kann ich keinen von uns halten. Stechlin sitzt da oben in Ostpreußen und kann doch unmöglich in seinen Mußestunden hieher intrigiert und einen etwaigen Rivalen aus dem Sattel geworfen haben. Und unser Oberst! Der ist doch auch nicht der Mann dazu, sich irgend wen aufreden zu lassen. Der kennt seine Pappenheimer. Und wenn er sich den Stechlin aussucht, dann weiß er, warum. Uebrigens, Dienst ist Dienst; man geht nicht, weil man will, sondern weil man muß. Spricht er denn englisch?"

Ich glaube nicht," sagte von Grumbach. Soviel ich weiß, hat er vor kurzem damit an­gefangen, aber natürlich nicht wegen dieser Mission, die ja wie vom blauen Himmel auf ihn niederfällt, sondern der Barbys wegen, die beinah zwanzig Jahre in England waren und halb englisch sind. Im übrigen Hab' ich mir sagen lassen, es geht drüben auch ohne die Sprache. Herbstfelde, Sie waren ja voriges Jahr da. Mit gutem Deutsch und schlechtem Fran­zösisch kommt man überall durch."

Ja," sagte Herbstfelde.Bloß ein bißchen Landessprache muß doch noch dazu kommen. In­dessen, es giebt ja kleine Vademekums, und da muß man dann eben nachschlagen, bis man's hat. Sonst sind hundert Vokabeln genug. Als ich noch zu Hause war, hatten wir da ganz in unsrer Nachbarschaft einen verdrehten alten Herrn, der eh' ihn die Gicht unterkriegte sich in der ganzen Welt Herum­getrieben und nach seinem eignen Zeugnis mit hundert Vokabeln beholfen hatte. Natürlich war er auch in Südrußland gewesen und hatte sich da vor einem

Weber Land und Meer.

Liqueurkasten ohne jede Spur von Russisch mit einem alten Popen derart angefreundet, daß er seitdem ein Amendement begünstigte, das lautete:Ja, hundert Vokabeln. Aber bei 'nem Popen bloß fünfzig." Und das muß ich sagen, ich habe das mit den hundert in England durchaus bestätigt gesunden. Nur)-', xl6U86, a fug ok llot^ater," so viel muß man weghaben, sonst sitzt mau da. Denn der Natur­engländer weiß gar nichts."

Wie lange waren Sie denn eigentlich drüben, Herbstfelde?"

Drei Wochen. Aber die Reisetage mitgerechnet."

Und sind Sie so ziemlich auf Ihre Kosten ge­kommen? Einblick ins Volksleben, Parlament, Oxford, Cambridge, Gladstone. . ."

Herbstfelde nickte.

Und wenn Sie nun so alles zusammennehmen, was hat da so den meisten Eindruck auf Sie gemacht? Architektur, Kunst, Leben, die Schiffe, die großen Brücken? Die Straßeujungens, wenn man in einem Cab vorübersährt, sollen immer Rad neben einem her schlagen, und die Dienstmädchen, was noch wich­tiger ist, sollen sehr hübsch sein, kleine Hauben und Tändelschürze."

Ja, Raspe, da treffen Sie's. Und ist eigent­lich auch das Interessanteste. Denn sogenannte Meisterwerke giebt es jetzt überall, von Kirchen und dergleichen gar nicht zu reden. Und Schiffe haben wir ja jetzt auch und auch ein Parlament. Und manche sagen, unsres sei noch besser. Aber das Volk. Sehen Sie, da steckt es. Das Volk ist alles."

Na, natürlich Volk. Oberschicht überall dasselbe. Was da los ist, wissen wir."

Und eigentlich Hab' ich die ganzen drei Wochen auf 'nein Omnibus gesessen und bin abends in die Matrosenkueipen an der Themse gegangen. Ein bißchen gefährlich; man hat da seinen Messer­stich weg, man weiß nicht, wie, ganz wie in Italien. Bloß in Italien giebt es vorher doch immer noch ein Liebesverhältnis, was in Old-Wapping so heißt nämlich der Stadtteil an der Themse nicht mal nötig ist. Und dann, wenn ich zu Hause war, sprach ich natürlich mit Mary. Viel war es freilich nicht. Denn die hundert Vokabeln, die dazu nötig sind, die hatte ich damals noch nicht voll."

Na, 's ging aber doch?"

So leidlich. Und dabei hatt' ich mal 'ne Scene, die war eigentlich das Hübscheste. Meine Wohnung befand sich eine Treppe hoch in einer kleinen stillen Querstraße von Oxford-Street. Und Mary war gerade bei mir. Und in dem Augenblicke, wo ich mich mit dem hübschen Kinde zu verständigen suche.."

Worüber?"

In demselben Augenblicke sieht ein Chinese grinsend in mein Fenster hinein, so daß er eigentlich eine Ohrfeige verdient hätte."

Wie war denn das aber möglich?"

Ja, das ist ja eben das, was ich das Londoner Volksleben nenne. Alles mögliche, wovon wir hier gar keine Vorstellung haben, vollzieht sich da mitten auf dem Straßendamm. Und so waren denn auch an jenem Tage zwei Chinesen, ihres Zeichens Akrobaten, in die Querstraße von Oxford-Street gekommen, und der eine, ein dicker starker Kerl, hatte einen Gurt um den Leib, und in seiner Gurtöse steckte 'ne Stange, auf die der zweite Chinese hinaufkletterte. Und wie er da oben war, war er gerade in Höhe meiner Beletage und sah hinein, als ich mich eben bemühte, mich Mary klar zu machen."

Ja, Herbstfelde, das war ein Pech, und wenn Sie wieder drüben sind, müssen Sie natürlich nach hinten hinaus wohnen oder höher. Aber interessant ist es doch. Und ich bezweifle nur, daß Stechlin in eine gleiche Lage kommen wird."

Gewiß nicht. Daran hindern ihn seine Mo­ralitäten."

Und noch mehr die Barbys."

XXII.

Woldemar, von der ihm bevorstehenden Aus­zeichnung unterrichtet, kürzte seinen Aufenthalt in Ostpreußen um vierundzwanzig Stunden ab, hatte trotzdem aber, nach seinem Wiedereintreffen in Berlin, nur noch zwei Tage zur Verfügung. Das war wenig. Denn außer allerlei zu treffenden Reise­vorbereitungen lag ihm auch noch ob, verschiedene Besuche zu machen, so bei den Barbys, bei denen

er sich für den letzten Abend schon brieflich ange- meldet hatte.

Dieser Abend war nun da. Die Koffer standen gepackt um ihn her, er selber aber lehnte sich, ziemlich abgespannt, in seinen Schaukelstuhl zurück, nochmals überschlagend, ob auch nichts vergessen sei. Zuletzt sagte er sich:Was nun noch fehlt, fehlt; ich kann nicht mehr." Und dabei sah er nach der Uhr. Bis zu seinem am Kronprinzenuser angesagten Besuche war noch fast eine Stunde. Die wollt' er ausnutzen und sich vorher nach Möglichkeit ruhu. Aber er kam nicht dazu. Sein Bursche trat ein und meldete:Hauptmann von Czako."

Ah, sehr willkommen."

Und Woldemar, so wenig gelegen ihm Czako kam, sprang doch auf und reichte dem Freunde die Hand.Sie kommen, um mir zu meiner englischen Reise zu gratulieren. Und wiewohl es so so damit steht, Ihnen, glaub' ich's, daß Sie's ehrlich meinen. Sie gehören zu den paar Menschen, die keinen Neid kennen."

Na, lassen wir das Thema lieber. Ich bin dessen nicht so ganz sicher; mancher sieht besser aus, als er ist. Aber natürlich komm' ich, um Ihnen wohl oder übel meine Glückwünsche zu bringen und meinen Reisesegen dazu. Donnerwetter, Stechlin, wo will das noch mit Ihnen hinaus! Sie werden natürlich Londoner Militärattache, sagen wir in einem halben Jahr, und in ebensoviel Zeit haben Sie sich drüben sportlich eingelebt und etablieren sich als Sieger in einem Steeple Chase, voraus­gesetzt, daß es so was noch giebt (ich glaube nämlich, man nennt es jetzt alles ganz anders). Und vier­zehn Tage nach Ihrem ersten großen Sportsiege verloben Sie sich mit Ruth Rüssel oder mit Geraldine Cavendish, haben denBedsorder- oder denDevonshire- Herzog als Rückendeckung und gehen als General­gouverneur nach Mittelafrika, links die Zwerge, rechts die Menschenfresser. Emin soll ja doch eigentlich ausgefressen sein."

Czako, Sie machen sich's zu nutze, daß die Mittagsstunde glücklich vorüber ist, sonst könnten Sie's kaum verantworten. Aber rücken Sie sich einen Sessel 'ran, und hier sind Zigaretten. Oder lieber Zigarre?"

Nein, Zigaretten... Ja, sehen Sie, Stechlin, solche Mission oder wenn auch nur ein Bruchteil davon..."

Sagen wir Anhängsel."

. . Solche Mission ist gerade das, was ich mir all mein Lebtag gewünscht habe. Bloß Erhörung kam nicht geschritten. Und doch ist gerad' in unserm Regiment immer was los. Immer ist wer auf dem Wege nach Petersburg. Aber weiß der Teufel, trotz der vielen Schickerei, meine Wenigkeit ist noch nicht 'ran gekommen. Ich denke mir, es liegt an meinem Namen. Hier hat er ja auch schon einen Beigeschmack, einen Stich ins Komische, aber das Slavische drin giebt ihm ein bißchen was Apartes, während es in Petersburg wahrscheinlich heißen würde: ,Czako, was soll das? Was soll Czako? Dergleichen haben wir hier echter und besser? Ja, ich gehe noch weiter und bin nicht einmal sicher, ob man da drüben in der Wahl eines ,Czako' nicht vielleicht einen Witz oder versteckten Affront wittert. Aber wie dem auch sei, Winterpalais und Kreml sind mir verschlossen. Und nun gehen Sie nach London und sogar nach Windsor. Und Windsor ist doch nun mal das denkbar Feinste. Rußland, wenn Sie mir solche Frühstücksvergleiche gestatten wollen, hat immer was von Astrachan, England immer was von Colchester. Und ich glaube, Colchester steht höher. In meinen Augen gewiß. Ach, Stechlin, Sie sind ein Glückspilz, ein Wort, das Sie meiner erregten Stimmung zu gute halten müssen. Ich werde wohl an der Majorsecke scheitern, wegen ver­schiedener Mankos. Aber sehn Sie, daß ich das einsehe, das könnte das Schicksal doch auch chieder mit mir versöhnen."

Czako, Sie sind der beste Kerl von der Welt. Es ist eigentlich schade, daß wir solche Leute wie Sie nicht bei unserm Regiment haben. Oder wenig­stens nicht genug. ,Fein' ist ja ganz gut, aber es muß doch auch mal ein Donnerwetter dazwischen fahren, ein Cynismus, eine Bosheit; sie braucht ja nicht gleich einen Giftzahn zu haben. Uebrigens, was die Patentheit angeht, so fühl' ich deutlich,