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daß ich auch nur so gerade noch passiere. Nehmen Sie beispielsweise bloß das Sprachliche. Wer heutzutage nicht drei Sprachen spricht, gehört in die Ecke..."
„Sag' ich mir auch. Und ich habe deshalb auch mit dem Russischen angefangen. Und wenn ich dann so dabei bin und über meine Fortschritte beinah' erstaune, dann berapple ich mich momentan wieder und sage mir: ,Courage gewonnen, alles gewonnen? Und dabei lass' ich dann zu meinem weitern Trost all unsre preußischen Helden zu Fuß und zu Pferde an mir vorüber ziehen, immer mit dem Gefühl einer gewifsen wissenschaftlichen und mitunter <mch moralischen Ueberlegenheit. Da ist Zuerst der Derfflinger. Nun, der soll ein Schneider gewesen sein. Dann kam Blücher, — der war einfach ein Lsu'er. Und dann kam Wrangel und trieb sein verwegenes Spiel mit ,mir und mich'."
„Bravo, Czako. Das ist die Sprache, die Sie sprechen müssen. Und Sie werden auch
nicht an der Majorsecke scheitern. Eigentl. läuft doch alles bloß darauf hinaus, wie hoch man sich selber einschätzt. Das ist freilich eine Kunst, die nicht jeder versteht. Das Wort vom alten Fritz: ,Denk' Er nur immer, daß Er hunderttausend Mann hinter sich hat? dies Trostwort ist manchem von uns ein bißchen verloren gegangen, trotz unsrer Siege. Oder vielleicht auch eben deshalb. Siege produzieren unter Umständen auch Bescheidenheit."
„Jedenfalls haben Sie, lieber Stechlin, zu viel davon. Aber wenn Sie erst Ihre Ruth haben ..."
„Ach Czako, kommen Sie mir nicht immer mit ,Ruth'. Oder eigentlich, seien Sie doch bedankt dafür. Denn dieser weibliche Name mahnt mich, daß ich mich für heut' abend am Kronprinzenufer angemeldet habe, bei den Barbys, wo's, wie Sie wissen, freilich keine Ruth giebt, aber dafür eine ,Melusine', was fast noch mehr ist."
„Versteht sich, Melusine is mehr. Alles, was aus dem Wasser kommt, ist mehr. Venus kam aus dem Wasser, ebenso Hero . . . Nein, nein, entschuldigen Sie, es war Leander."
„Egal. Lassen Sie's, wie's ist. Solche verwechselte Schillerstelle thut einem immer wohl. Uebrigens können Sie mich in meinem Coupe begleiten; vom Kronprinzenuser ans haben Sie knapp noch halben Weg bis in Ihre Kaserne."
Das Coupe that seine Schuldigkeit, und es schlug eben erst acht, als Woldemar vor dem Barbyschen Hause hielt und, sich von Czako verabschiedend, die Treppe hinauf stieg. Er fand nur die Familie vor, was ihm sehr lieb war, weil er kein allgemeines Gespräch führen, sondern sich lediglich für seine Reise Rats erholen wollte. Der alte Graf kannte London besser als Berlin, und auch Melusine war schon über siebzehn, als man, bald nach dem Tode der Mutter, England verlassen und sich auf die Graubündner Güter zurückgezogen hatte. Darüber waren nun wieder nah' an anderthalb Jahrzehnte vergangen, aber Vater und Töchter hingen nach wie vor an Hydepark und dem schönen Hause, das sie da bewohnt hatten, und gedachten dankbar der in London verlebten Tage. Selbst Armgard sprach gern von dem Wenigen, dessen sie sich noch aus ihrer frühen Kindheit her erinnerte.
„Wie glücklich bin ich," sagte Woldemar, „Sie allein Zn finden! Das klingt freilich sehr selbstisch, aber ich bin doch vielleicht entschuldigt. Wenn Besuch da wäre, nehmen wir beispielsweise Wrschowitz, und ich ließe mich Hinreißen von der Prinzessin von Wales und in natürlicher Konsequenz von ihren zwei Schwestern Dagmar und Thyra zu sprechen, so hätt' ich vielleicht wegen Dänenfreundlichkeit heut' abend noch ein Duell auszusechten. Was mir doch unbequem wäre. Besser ist besser."
Der alte Barby nickte vergnüglich.
„Ja, Herr Graf," fuhr Woldemar fort, „ich komme, mich von Ihnen und den Damen zu verabschieden, aber ich komme vor allem auch, um mich in zwölfter Stunde noch nach Möglichkeit zu informieren. In dem Augenblick, wo der gänzlich ignorante Kandidatus in seinen Frack fährt, guckt er — so was soll Vorkommen — noch einmal ins Corpus juris und liest, sagen wir zehn Zeilen, und gerad' über diese wird er nachher gefragt und sieht sich gerettet. Dergleichen könnte mir doch auch Vorbehalten sein. Sie waren lange
Ueber Land und Weer.
drüben und die Damen ebenso. Aus was muß ich achten, was vermeiden, was thun? Vor allem, was muß ich sehn und was nicht sehn? Das letztere vielleicht das Wichtigste von allem."
„Gewiß, lieber Stechlin. Aber ehe wir anfangen, rücken Sie hier ein und gönnen Sie sich eine Tasse Thee. Freilich, daß Sie den Thee würdigen werden, ist so gut wie ausgeschlossen; dazu sind Sie viel zu aufgeregt. Sie sind ja wie ein Wasserfall; ich erkenne Sie kaum wieder." (Fortsetzung folgt.)
Der starke LchaxelowL)
Da^thät der Kurfürst ^erst nit froh,
Karnsjagerei.
Von
Anton Ireiherrn von ^erfass.
(Siehe die Abbildung Seite 172 und 173.)
M8n keil 'M Lande der Erde ist die Jägerei so volks- tünn.ch wie in Deutschland. Unsre ganze Poesie ist damit durchsetzt. Wohl giebt es überall Wälder und Wild,
die deutsche. Die Jäger draußen haben alle keinen Comment im Leibe, studentisch ausgedrückt. Ihnen ist auf der Jagd alles erlaubt, wenn nur das Ziel erreicht wird: die Erlegung des Wildes. Eine gewisse Courtoisie gegen das Wild giebt es nicht. Auch das idyllische Forsthaus mit der Jägerstube, die Freude an den Trophäen, an dem Geweih, die reine ideale Freude ohne Wertrücksichten — alles ist echt deutsch. Und nun denke man sich meine
Empfindungen bei der Lektüre eines französischen Buches über die Gemsjagd: Ebusss au Otiumois" xar
Nestor Irsäieini äs 8t. 8svsrin, von dessen Titelblatt mir eine „gälte Geiß", genau eine von dem Gelichter, das mir eben die ganze Jagd verdorben, mit verdrehten Augen höhnisch entgegenblickt! Eine französische Gamsjagd! Der Gamsbock, in dem sich meine geliebten bayrischen Berge verkörpern, der in allen Schnadahüpfeln lebt, der lebfrische Gamsbock, auf den wir so stolz sind allen Fremden gegenüber, plötzlich zum Franzosen geworden!
Zuerst legte ich das Buch ärgerlich beiseite, aber die verflixte Geiß mit ihrem verschmitzten Geschau ließ mir keine Ruhe, und schließlich begann ich zu lesen. Die prächtigen, warmempfundenen Naturschilderungen aus der Nuuxllins der tiauts 8u.vois regten mich lebhaft an, doch im übrigen fand ich meine eben geäußerte Ansicht nur von neuem bestätigt. Das ist die Schilderung eines Hochtouristen, der bei dieser Gelegenheit sich das Vergnügen einer Gemsjagd leistet, aber keine Spur von echtem Weidmannsgeist.
Abgesehen von der häßlichen Jägerei mit hochstämmigen Hunden, die einen guten Gamsstand zur Unmöglichkeit macht, wird da auf 300 Meter rücksichtslos geknallt, wo sich nur ein Gemshaar zeigt, fünf-, sechsmal auf ein Stück, sogar der Schrotschuß wird nicht verschmäht. Eine lange Schilderung gilt dem erbärmlichen Mord einer Geiß, die sich von ihrem Kitz nicht trennen kann. Ein Jährling
gilt als treffliche Beute. Das Wild wird aus turmhohen Wänden herausgeknallt, gleichviel, ob es sich da zu Trümmern fällt.
Von einem Schätzen des Wildes vor dem Schuß, einem Schonen der weiblichen Tiere, der Jugend keine Spur. Der Verfasser scheint es auch gar nicht zu wissen, daß es anderswo anders ist. Er weiß überhaupt, außer Frankreich, nur von steyerischen Gemsen. Der Auszug des Jagdtagebuches am Schluß ist für unsre weidmännischen Begriffe geradezu fürchterlich, schlimmste Aasjägerei. Zum Beispiel: „30. August wurden am Fuße des Rocher de Midi fünf Gemsen entdeckt, drei Schützen knallen wahllos darauf, Blutspuren sind der einzige Erfolg des Tages" und so fort mit Grazie. Offen gesagt, ich freute mich über die Rechtfertigung meines Vorurteils, und dies Gefühl drückte mir die Feder in die Hand.
,Lux Z'SIIX äs beuueoux äs gsn8 e'sst uns etiu88s lsgsnäairs qus sslls äs slia,moi8," beginnt Tredicini sein Buch, und dieser Ausspruch gilt seltsamerweise auch für nicht wenige unsrer deutschen Landsleute. Wie oft muß ich mich jährlich über die Frage ärgern: „Giebt es wirklich bei Ihnen Gemsen?" Nun, es giebt nicht nur welche, sondern das bayrische Hochland ist sogar ihre Urheimat, und dank der Fürsorge hoher Weidmänner, in deren Händen größtenteils die Jagd liegt, ist dieses edle Wild eher im Zunehmen als im Abnehmen begriffen.
Zum Glück kann Mißgunst aller Art dagegen keine Einwendung machen, indem das „Gams" in seinen unwirtlichen Gräben, Laaner und Latschenfeldern absolut keinen Schaden stiftet, andrerseits dem Jagdinhäber, abgesehen vom Schutz, nicht die geringsten Kosten verursacht. Die Jagd darauf ist die mühsamste, nicht selten mit Gefahren verbunden, aber auch die lohnendste, fowohl nach der Seite des Erfolges als auch wegen der begleitenden Umstände, der großartigen Natur, der ständigen Anregung den ganzen Tag über.
Doch folge nur der Leser selbst einmal. Der Tag ist heiter, der Schnee weich, und ich führe meine Begleiter keine zu schwindelhaften Pfade.
Wir gehen von der Wurzhütte aus, am tiefernsten Spitzingsee. Nicht zu früh, so ums Tagwerden, nach einer Schale heißen Kaffees, den die Wurzerin uns gekocht. Die Hetz' hat keinen Wert auf der Gemsjagd, und der Tag ist lang.
Die „seligen Fräul'n", drei groteske Felsnadeln über der Föllalm, ragen ganz rosig heraus aus dem bereiften Wald. Drüber funkeln noch die späten Sterne. Grad bei dem untersten Fräulein, dem schmächtigsten von den dreien, müssen wir herauskommen; da öffnet sich dann der Föllalmkessel zu unfern Füßen, aus dem kerzengerade die Kamine des Jägerkamm emporragen.
Wir gehen die Bergstraße bis zu den Spitzingalmen. Satan, mein Schweißhund, wälzt sich im Schnee — ein gutes Zeichen.
Drei Hütten dicht am Wege. Vom Thale herauf blitzt der Schliersee. Der schwarze Dunst am Horizont ist München. Jetzt wird der Steig steil und der Schnee immer tiefer. Der Wald nimmt uns auf, das ängstliche Schweigen des winterlichen Waldes. Unzählige Male windet sich der Steig. Gemsfährten kreuzen ihn, dann und wann ein einschichtiger Freier, zweimal ertönt der ominöse Pfiff über uns. Satan sieht mich fragend an mit zitternden Lefzen, aber nur Geduld.
Die Fräuleins lassen auf sich warten! Endlich nach heißen zwei Stunden erblicken wir wenigstens das Ziel. Jetzt sieht sich das Jüngferchen schon etwas borstiger an. Noch eine weitere Stunde im Schnee bis über die Schenkel, dann stehen wir dicht darunter. Jetzt heißt's verschnaufe», den Schweiß abtrocknen, kurz, den ganzen inneren und äußeren Menschen präparieren für den großen Augenblick.
Nur noch wenige Schritte seitwärts, und wir stehen auf der Schneide, unser ganzes Jagdrevier zu unfern Füßen, das heißt fünfzig bis sechzig Gams!
Ich gehe voraus, gebückt, mich um die Latschen drückend, Satan dicht hinter mir; er atmet kaum noch, vom Ernst des Augenblicks durchdrungen. So — und jetzt bei dem Latschenboschen langsam hinuntergespitzt.
Das Almendorf tief unten am Boden des Kessels ist im Schnee fast vergraben; Fährten kreuz und quer blitzen herauf, von dem ersten Sonnenstrahl schräg getroffen; dicht unter mir, keine hundert Schritte, hebt sich eine Kruck'n zwischen den Latschen — eine hohe Kruck'n, aber schmäl und dünn. Sie ist nach abwärts gebeugt, regungslos. Unbedingt eine Geiß, und der Bock steht unter ihr.
Büchse sorgfältig herab, Ruck für Ruck. Das Gams springt nach rechts über eine Schneereise, ein Kitz folgt — beide verschwinden.
Jetzt gilt's! Wenn der Rechte nachkommt, ist er mein! . . . Feldstecher bereit!
Steine gehen, ein Schneeballen kugelt nach abwärts. Da steht der Bock schon an derselben Stelle, wo eben die Geiß gestanden. Aber ich traue ihm nicht — die ganze Figur — die Krücken —
Jetzt tritt er vor auf das Schneefeld, blickt herauf — kohlschwarz, und der Bart wachelt verführerisch auf dem Rücken. Aber so sorgfältig ich auch sehe, er ist nicht mehr wie vierjährig, die Krücken gerade luserhoch. Es geht