Heft 
(1898) 11
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nicht! Unter fünf Jahren ist der Brunftbock nicht fchußbar bei uns zu Lande, und das Anschauen ist auch ein Hoch­genuß. Er gönnt ihn mir nicht lange. Und jetzt wird's lebendig im Kessel, überall tauchen schwarze Punkte auf. Zwei Böcke jagen sich über die Almfläche, daß der Schnee aufwirbelt.

Doch das Hauptrudel steht in den gegenüberliegenden Wänden des Kessels. Dort spielt sich für heute wohl der lustige Tanz ab, und ich habe das Zusehen da heroben, wenn nicht ein Verschlagener kommt und die Ver­schlagenen sind bekanntlich nicht die besten. Ja, wenn der Jakl bei mir wäre, mein sonstiger ständiger Begleiter, dann wär's rasch geschehen. In einer Stunde hätte er den Kessel umgangen, dann von oben nur hineingeschaut in die Wände, und die ganze Jagd ginge mir zu. Das Stückl haben wir schon oft ausprobiert auf diesem Platz, ich und der Jakl.

Wir warten eine Stunde, noch eine Stunde. Drüben geht es kreuzlustig zu. Von allen Seiten umjageu die Böcke das Rudel, und die Sonne steht schon über den Schroffen das Verlangen wächst ins Ungemessene.

Wer wagt, gewinnt! Satan zerrt schon lange an der Schnur und markiert in dem Augenblick, wo ich mich er­hebe und zurückkrieche, ein lautloses Freudengeheul. An- gepürscht wird die Bande. Eine halbe Stunde abwärts, dann zwei Stunden aufwärts in weitem Bogen und unter Umstünden das Nest oder vielmehr der Kessel leer.

Wir queren die Föllalm, ein steiles Gehäng; einmal geht der Schnee mit uns durch, und wir landen einige hundert Meter weiter unten, um mühsam wieder die Höhe zu erringen. Dann geht's durch einen Wald­streifen, gedeckt, vorsichtig, Schritt für Schritt, der andern Seite des Kessels zu. Der Wind ist gut, nur der Schnee knarzt etwas unter unfern Tritten.

Jetzt kommt der Platz, den ich mir von drüben aus­gedacht bei der einsamen dürren Fichte. Lautlos kriechen wir hin. Verhängnisvolle Täuschung! Das Terrain über­tragt, wir sehen keine fünfzig Schritte weit. Ein steil abfallender Laaner muß überschritten werden. Allerdings höchstens zehn Schritt breit, aber verdächtige Wandeln bilden nach unten seinen Abschluß. Ein Fehltritt, und wir treffen uns unten bei den Almhütten wieder; außerdem ist hier der Schnee von der Sonne gelockert.

Verführerisch lösen sich drüben Steine. Also nur Mut! Guten Tritt genommen und den Bergstock eingestützt.

Der Platz ist steiler, als er aussieht, und der Schnee hält nicht. Da ist das Beste, ein paar rasche Sprünge o weh, eine kleine Lawine purzelt hinunter! Aber über­standen ist's! Jetzt nur noch vor bis zu dem Felsbrocken mit dein breiten Walfischrücken, dann sind wir mitten drin.

Jetzt beginnt das wollüstige Herzklopfen, das raubtier­artige Kriechen. Jetzt wären wir da, grad auf dem Gems- wechsel! Eiue ganze Straße von Fährten liegt vor uns: wenn ich mir nur einen Blick über den Felsbrocken er­lauben dürfte. Satan liegt hinter mir auf dem Bauch und zittert wie Espenlaub, seine Nüstern blähen sich, seine Augen leuchten. Langsam hebe ich mich, bis mein Auge den kantigen Rücken streift heiliger Hubertus, drei vier sechs das ganze Rudel, so etwa auf 150 Schritt. Das wäre etwas für den Franzosen zum Dreinknallen, wie in eine Kette Hühner.

Zunächst steht ein schwaches Stück, eine zweijährige Geiß, dem Ansehen nach. Sie blickt steif auf mich her. Jetzt geht's gut! Ein Pfiff, und die Jagd ist aus!

Wenn ich nur einen guten Bock erkennen könnte unter dem andern Geraffel, aber das drückt sich zwischen dem Gestein und Latschenwerk so verschmitzt, daß ich keine Krücke zu sehen bekomme.

Die Sehnen knacken nur in der künstlichen Stellung, das Knie drückt sich wund auf den spitzen Steinen, und die Kitzgeiß läßt mich nicht aus den Augen.

Plötzlich erscheint ein kohlschwarzes Gams, wie aus einer Versenkung, auf einem Felsbrocken, dicht hinter der Geiß. Ihre Aufmerksamkeit teilt sich drollig zwischen mir und dem Dränger hinter ihr. Es ist, als ob sie ihm noch eine Warnung zuflüstern wollte; da saust er herab. Im Sprung erkenne ich die hohe, weite Krücken. Vergebens pfeift die Geiß, rasselt das ganze Rudel durch­einander seine Leidenschaft achtet keine Gefahr. Immer von neuem sichernd, den Wind einziehend, nähert sich die Geiß er hinterdrein Eingedupft!

Sei es, daß ein Lichtblitz im Lauf die Geiß schreckte, der Wind einen Augenblick wechselte, plötzlich schlägt sie um der Bock stutzt, dreht sich. . .

Ein schlechtes Abkommen, und doch muß es sein! Das Echo rollt durch den Kessel, der Bock zeichnet trefflich, mit den vordem Läufen hoch, dann mit den hintern aus­schlagend . . .Bist du ruhig, Satan!"

Nun ist die Hölle los im Kessel, Pfeifen, Steingerassel, die hohen Kamine hinauf fliegen die schwarzen Punkte. Auch der Bock ist verschwunden, doch schon leuchtet feurig die Rotfährte auf dem Schnee. Satan zerrt sich die Zunge aus dem Halse.

Bei Gamswild ist unter Umständen sofortige Nachsuche am Platze, bei Hirsch und Rehwild mit Recht verpönt, besonders wenn die Schweißfährte gut ist.

Vorsichtig auf den Anschuß dann der Rotfährte nach, Schritt für Schritt, Deckung suchend im Steingeröll.

Aeber (Land und Weer.

Satan stößt plötzlich ein Röcheln aus unter dem zu­sammengezogenen Halsband, spreizt die Beine, sein Blick ist starr nach abwärts gerichtet dort, in dem Felsenloch sitzt der Bock schon im Wundbett. Schuß sparen heißt Schritt verschwenden auf der Gamsjagd, und vor allem gilt es, das Leiden zu kürzen.

Diesmal langt's, der Kopf legt sich auf die Seite. Jetzt soll der Satan auch seinen Spaß haben. Ich löse ihn, hell tönt im nächsten Augenblick sein Geläute über dem Gefällten ein alter Latschenbock!

Einen Tag hat es gekostet. Schon ziehen die Schatten herauf in den Kessel, und die wilden Fräulein leuchten schon wieder in jugendlicher Glut. Nun kommt das Schönste! Das stumme Betrachten, das Einprägen des ganzen Bildes, das Kruckenprüfen und ein hartes Stück Arbeit, so zäh sitzt das Haar das Bartausziehen! Dann weidgerecht mit der Beute hinein in den Rucksack. Er füllt sich prall, und man spürt, daß man was auf dem Rücken hat. Aber es hilft nichts, auch das gehört zum Ganzen!

Ein eisiges Nebelmeer brandet herauf und löscht die letzten Lichter. Das gemütliche Stüberl in der Wurzhütte mit seinem Hitzeteufel von Ofen wird um eine Gamsbock­geschichte reicher. An Zuhörern fehlt es nicht: bärtige Männer mit derben Fäusten und treuen Augen, die sich selbst auskennen auf diesem Gebiet und das reizvolle, mannigfaltige Bild einer Gamsjagd in den bayrischen Bergen erst vollständig machen.

Äin neuer Äbers.

AMit seinem jüngsten RomanArachne" kehrt Georg ULv Ebers auf den ägyptischen Boden zurück, in dem seine poetische Gestaltungskraft, längst vergangene Zeiten und Geschlechter neu belebend, die ersten starken Wurzeln schlug, doch obwohl uns von den Tagen, die er wieder herauf­führt, mehr als zweitausend Jahre trennen, so ist sein Werk doch von einem modernen Hauch umweht. Ob die Völker kommen oder vergehen, die Nachfolgenden nieder­reißen, was die Vorvordern mühsam aufgebaut haben, stets bleibt, natürlich unter dem Wechsel der Verhältnisse, der Vorgang derselbe: dieJungen" bäumen sich gegen die Alten" auf, und bis die Klärung erfolgt, giebt es heiße Kämpfe. Ein solcher, auf künstlerischem Gebiete aus- gefochtener, uns modern anmutender Kamps ist das Leit­motiv in Ebers' neuem Werke, und wenn der Dichter auch mit keinem Wörtchen die Strömungen der Gegenwart be­rührt, so spürt der empfindende Leser doch die fein gespon­nenen Fäden, die von der entlegenen Vergangenheit zu unfern Tagen sich hinüberziehen.

In Alexandria leben zur Zeit des Königs Ptolemäus II. zwei junge Bildhauer, Vettern und vertraute Freunde, doch in Sachen ihrer Kunst von Grund aus verschieden. Wäh­rend Myrtilos, ein reicher Jüngling, den alten Anforde­rungen griechischer Kunst gehorcht und auf glatter Bahn schöne Erfolge erzielt, geht sein Vetter Hermon, den das Geschick nur stiefmütterlich mit Glücksgütern bedacht hat, ganz andre Wege. DieWahrheit" sucht er in seinen Bildwerken darzustellen, und unbekümmert um düe Ent­rüstung derer, die in ihm einen Frevler gegen lz s ewig Schöne erblicken, wandert er den rauhen Pfad weiter. Von einzelnen wird jedoch seine bedeutende Begabung anerkannt, und zu ihnen gehört sein Oheim, der große Kaufherr und Webereibesitzer Archias. Der erhabenen Göttin Demeter will er ein kostbares Standbild errichten, beide Neffen betraut er mit dein Aufträge, und die von den Preis­richtern gekrönte Arbeit soll den Tempel der Olympischen

Werk, und um ruhiger schaffen zu können , errichten sie ihre Arbeitsstätten heute würde man Ateliers sagen in einiger Entfernung von Alexandria, bei dem vom Meere

Herzen gönnt jeder dem andern den Preis, so verschieden auch ihre Auffassung in Haltung und Gebärde der er­habenen Göttin ist. Nur in einem gleichen sich beide Bild­werke, denn in Daphne, der holden Tochter des Archias, fanden sie ihr Modell.

Doch nicht bloß von diesem einen Werke, für das ihm bestimmte Vorschriften gestellt sind, ist das Herz Hermons erfüllt, sondern er plant noch ein andres, in dem er seiner Phantasie und Schöpferkraft freie Bahn gewähren kann. Auf der Besitzung des Oheims, der Hunderte von Webern und Weberinnen beschäftigt, kommt ihm der Gedanke, die Arachne darzustellen, jene hochbegnadete und doch unselige Maid, die von der göttlichen Athene in der Kunst des Webens unterrichtet und dann ob ihrer Ueberhebung so grausam bestraft wurde. Das Glück ist ihm hold: in Ledscha, der herb-schönen Tochter des biami- tischen Landes, findet er ein vorzügliches Modell, und um

Beteuerungen und Versprechungen nicht fehlen. Aber mit dem Scharfsinn des gekränkten Weibes erkennt die Halb­barbarin bald, daß nicht sie es ist, die sein Herz erfüllt, und sie brütet furchtbare Rache. Ohne ihr Geheimnis zu enthüllen, stachelt sie ihre Stammesgenossen, die treffliche Väter, Gatten und Söhne sind, aber mit naiver Begier

dem Seeraub frönen, zu einem Beutezug nach den Werk­stätten der beiden Bildhauer auf, wo so viel Go6> und Elfenbein zu gewinnen ist. Der Ueberfall gelingt nur halb, denn nur eines der kostbaren Demeter-Standbilder können die Räuber davonschleppen, dafür aber rächen sie sich, indem sie den ganzen Bau in Flammen aufgehen lassen, und Hermon, der in rasendem Zorn zur Verteidigung seines Werkes herbeistürmt, wird von Furchtbarem betroffen: die ihm ins Angesicht geschlagene Brandfackel zerstört ihm das Augenlicht. Was sind ihm, dem schaffenssroheN und jetzt zu öder Thatlosigkeit verdammten Künstler, die Ehren, die ihm nun bereitet werden? Denn aus dem Brande, in dem man die Ueberreste des armen Myrtilos gefunden zu haben glaubt, ist seine, des Hermon, Demeter-Statue ge­rettet worden, und überschwengliches Lob wird ihm zu teil. Der Ruhm ist zunächst ein schwacher Trost, aber allmählich steigt er auch dem ehemals starken, doch jetzt im Schaffen gelähmten Manne zu Kopf, und in der Verzweiflung über sein Unglück stürzt der Erblindete, dank dem Testament des verlorenen Freundes ein reicher Mann, sich in wüsten Sinnenrausch. Aber die Zweifel an der Ehrlichkeit seines Ruhmes, d;'st schon im Anfang erwacht waren, regen sich immer stärT'r. Ist die Demeter-Statue, die inzwischen feierlich im Tempel aufgestellt worden, wirklich seine Schöpfung oder die seines so unglücklich umgekommenen Freun­des? Beide haben Haltung und Kopf ihrer Base Daphne nach­gebildet, so daß eine gewisse Aehnlichkeit der Bildwerke von vornherein bedingt war aber ist die preisgekrönte Statue nun in Wahrheit Hermons Werk? Nach der Beschreibung der Sehenden muß er es annehmen, andrerseits machen ihn wieder gewisse Lobsprüche, die seiner Auffassung von der Kunst durchaus widersprechen, stutzig, und endlich er­kennt er die schreckliche Wahrheit: das Werk, das ihm so hohen Ruhm eingetragen, ihn schon zu Lebzeiten unter die Unsterblichen zu versetzen schien, ist nicht das seine, sondern das seines armen Freundes Myrtilos, für den alle Ehren zu spät kommen. Oefsentlich bekennt Hermon den Irrtum, dessen Enthüllung ihn schnödem Gespött aussetzt, doch nicht allzuschwer trifft ihn der jähe Sturz von der Höhe, denn in seinem Innern hat bereits die Wandlung zum Bessern be­gonnen. In der Einsamkeit findet er nicht nur Genesung des Geistes, sondern die Götter schenken ihm auch das Augenlicht wieder, und nicht genug des Glückes, ersteht von den Toten sein Freund Myrtilos, bisher von den Seeräubern in strenger Gefangenschaft gehalten.

In Alexandria haben sich inzwischen große Dinge zu­getragen. Die Verschwörung, welche Arsinos, die ränke­volle Gattin des Königs, gegen den Gemahl angezettelt, wird im Keime erstickt und der Aufstand der Söldner, in dem Ledscha-Arachne eine führende Rolle spielt, blutig niedergeschlagen. Die trotzige Biamitin stirbt ihrer würdig. Wohl könnte sie das Schwert, das sie dem wild Gehaßten und doch so heiß Geliebten entreißt, ihm in das Herz stoßen, aber sie durchbohrt die eigne Brust, noch im Sterben Worte glückseliger Erinnerung hauchend. Der Bildhauer Hermon, in herben und erschütternden Erfahrungen ge­stählt, ward ein hochgefeierter Künstler, und für Pergamos, wohin er mit seiner Gattin Daphne übersiedelte, schuf er

Auch seineArachne", die stolz auf das Gewebe hin­schaut, mit dem sie die Kunst der Göttin übertroffen zu haben meint, fiel der Vernichtung anheim, aber in der Dichtung lebt nun doch das edle Bildwerk weiter.

Auch in dem neuen Roman von Georg Ebers (Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt) finden wir die bekannten Vorzüge seiner Darstellungskunst wieder. Wir

giebt und um sie anmutig die Ranken einer frei schaffenden Erzählungskunst flicht. Besonders sei noch der feinen Schilderung der Frauencharaktere gedacht: die greise Taus,

Königspurpur schlüpfend, mit ihrer Freundin, der Gauklerin Althea, sich in den Strom taumelnder Volkslust stürzt die edle, trotz aller äußeren Ruhe heiß liebende Daphne endlich die Heldin, Ledscha-Arachne. Auf die Gestaltung dieser Figur hat der Dichter große Liebe und Sorgfalt verwendet, und wenn man es auch versteht, daß der Künstler Hermon, der Grieche von feinen Sitten, die leidenschaftliche Halbbarbarin nicht als ebenbürtig betrachten konnte, so er­weckt doch ihre bittere Enttäuschung, ihr tragisches Geschick die volle Teilnahme des Lesers. So ließ Georg Ebers aus dem Aegypten der ptolemäischen Zeit Gestalten von kräftiger Lebenswahrheit emporsteigen, und auch seiner stets verfochtenen Ansicht blieb er treu: daß es zur Ge­staltung einer edeln Dichtung nicht bloß der realistischen Wahrheit, sondern auch der schönheitsfreundlichen Blusen bedarf. (;.