Heft 
(1987) 44
Seite
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hältnissen" oder, damit verwandt, der gesamtenliterarischen Kultur" einer Epoche haben dieser Tendenz neue Impulse gegeben. Die Buchveröffent­lichung der bereits in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre entstandenen, für jede Beschäftigung mit dieser Problematik grundlegenden Untersuchung von Charlotte JollesFontane und die Politik" im Jahre 1983 war ein deutlicher Ausdruck dieses anhaltenden Interesses.

Erstaunlich ist es, daß in diesem Zusammenhang der Essay keine Beachtung fand, den der demokratische Publizist und Politiker Guido Weiß (18221899) unter dem TitelMusen und Grazien in der Mark" am 20. 6. 1889 in der Frankfurter Zeitung" veröffentlicht hat, der von Leopold Sonnemann heraus­gegebenen einzigen Tageszeitung der deutschen Demokratie von überregio­naler Bedeutung, in welchem dem sozialen Gehalt und dem freien menschlichen Ethos des Berliner Erzählers und dem aktuell-politischen Engagement des Theaterkritikers Fontane maßstabsetzende Bedeutung zugewiesen wurde und auch der märkische Wanderer ein aufgeschlossen-mitgehendes Interesse fand. Ein ebenso reizvoller wie schwieriger Charakter schien einer Begegnung zwi­schen Weiß und Fontane vorbestimmt, handelt es sich doch um zwei Männer, die in Vormärz und Revolution in den Reihen derselben freilich kaum schon organisierten Partei gekämpft hatten, dann aber in ganz gegensätzlicher Weise durch die Jahre der Konterrevolution, des Verfassungskonflikts und der preußisch-deutschen Kriege ins wilhelminische Reich gelangt waren, wo sie sich nun zu der Zeit, als Weiß seinen Aufsatz schrieb, auch von sehr unterschied­lichen oder doch unterschiedlich scheinenden Positionen her mit diesem Reich auseinanderzusetzen hatten. Auf der einen Seite der unbeugsame Kämpfer, der als enger Freund Johann Jacobys, seit dem Vormärz Führer der deutschen kleinbürgerlichen Demokraten, bis in die Mitte der achtziger Jahre immer wieder am Versuch mitgewirkt hatte, aus der 1849 unterlegenen Bewegung eine auf der Höhe der Gegenwart stehende, ideell geschlossene und organi­satorisch handlungsfähige Partei zu formieren, bis er sich endlich auf die publizistische Bewahrung und Verteidigung seiner Überzeugungen beschränken mußte. Auf der anderen Seite einer jener vielen, die sich nach 1850 von den demokratischen Idealen ihrer Jugend abgewandt hatten, dessen Kompromiß mit dem Status quo im Dienst der eben noch bekämpften Regierung aber durch besonders beschämende Züge gekennzeichnet gewesen war 1 , dessen An­schauungen sich danachmeist mit dem Nationalliberalismus gedeckt" 2 hatten, der den menschlichen und poetischen Konsequenzen solcher Anschauungen aber in der Hinwendung zur Mark Brandenburg als alternativer historisch­kultureller Lebensform zu entgehen gewußt hatte, um endlich aus der ent­schlossenen Orientierung auf das Leben,das wir führen" 3 , zu jener Haltung zu finden, die er in seinen letzten Lebensjahren wiederholt in die Worte faßte, er sei im Alterimmer demokratischer geworden".

Wahrscheinlich hatte die durch Sommer und Urlaub bedingte Lähmung des literarischen Lebens in Berlin, aber auch die Veröffentlichung des Artikels in dem hier wenig geschätzten antipreußischenDemokratenblatt" dazu geführt, daß Fontane mit Verspätung und nur durch Zufall''* von seiner Existenz erfuhr: er wandte sich deshalb Anfang Augqst in erstaunlich zwangloser Weise direkt an Weiß und erhielt von diesem mit einem leider nicht erhaltenen Begleitbrief ein Exemplar der entsprechenden Ausgabe. Fontanes sehr persönlich gehaltener

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