hältnissen" oder, damit verwandt, der gesamten „literarischen Kultur" einer Epoche — haben dieser Tendenz neue Impulse gegeben. Die Buchveröffentlichung der bereits in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre entstandenen, für jede Beschäftigung mit dieser Problematik grundlegenden Untersuchung von Charlotte Jolles „Fontane und die Politik" im Jahre 1983 war ein deutlicher Ausdruck dieses anhaltenden Interesses.
Erstaunlich ist es, daß in diesem Zusammenhang der Essay keine Beachtung fand, den der demokratische Publizist und Politiker Guido Weiß (1822—1899) unter dem Titel „Musen und Grazien in der Mark" am 20. 6. 1889 in der „Frankfurter Zeitung" veröffentlicht hat, der von Leopold Sonnemann herausgegebenen einzigen Tageszeitung der deutschen Demokratie von überregionaler Bedeutung, in welchem dem sozialen Gehalt und dem freien menschlichen Ethos des Berliner Erzählers und dem aktuell-politischen Engagement des Theaterkritikers Fontane maßstabsetzende Bedeutung zugewiesen wurde und auch der märkische Wanderer ein aufgeschlossen-mitgehendes Interesse fand. Ein ebenso reizvoller wie schwieriger Charakter schien einer Begegnung zwischen Weiß und Fontane vorbestimmt, handelt es sich doch um zwei Männer, die in Vormärz und Revolution in den Reihen derselben — freilich kaum schon organisierten — Partei gekämpft hatten, dann aber in ganz gegensätzlicher Weise durch die Jahre der Konterrevolution, des Verfassungskonflikts und der preußisch-deutschen Kriege ins wilhelminische Reich gelangt waren, wo sie sich nun zu der Zeit, als Weiß seinen Aufsatz schrieb, auch von sehr unterschiedlichen oder doch unterschiedlich scheinenden Positionen her mit diesem Reich auseinanderzusetzen hatten. Auf der einen Seite der unbeugsame Kämpfer, der als enger Freund Johann Jacobys, seit dem Vormärz Führer der deutschen kleinbürgerlichen Demokraten, bis in die Mitte der achtziger Jahre immer wieder am Versuch mitgewirkt hatte, aus der 1849 unterlegenen Bewegung eine auf der Höhe der Gegenwart stehende, ideell geschlossene und organisatorisch handlungsfähige Partei zu formieren, bis er sich endlich auf die publizistische Bewahrung und Verteidigung seiner Überzeugungen beschränken mußte. Auf der anderen Seite einer jener vielen, die sich nach 1850 von den demokratischen Idealen ihrer Jugend abgewandt hatten, dessen Kompromiß mit dem Status quo im Dienst der eben noch bekämpften Regierung aber durch besonders beschämende Züge gekennzeichnet gewesen war 1 , dessen Anschauungen sich danach „meist mit dem Nationalliberalismus gedeckt" 2 hatten, der den menschlichen und poetischen Konsequenzen solcher Anschauungen aber in der Hinwendung zur Mark Brandenburg als alternativer historischkultureller Lebensform zu entgehen gewußt hatte, um endlich aus der entschlossenen Orientierung auf das Leben, „das wir führen" 3 , zu jener Haltung zu finden, die er in seinen letzten Lebensjahren wiederholt in die Worte faßte, er sei im Alter „immer demokratischer geworden".
Wahrscheinlich hatte die durch Sommer und Urlaub bedingte Lähmung des literarischen Lebens in Berlin, aber auch die Veröffentlichung des Artikels in dem hier wenig geschätzten antipreußischen „Demokratenblatt" dazu geführt, daß Fontane mit Verspätung und nur durch Zufall''* von seiner Existenz erfuhr: er wandte sich deshalb Anfang Augqst in erstaunlich zwangloser Weise direkt an Weiß und erhielt von diesem mit einem leider nicht erhaltenen Begleitbrief ein Exemplar der entsprechenden Ausgabe. Fontanes sehr persönlich gehaltener
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