Antwort- und Dankbrief vom 14. 8. 1889 ist seit seiner Veröffentlichung im zweiten Briefband der Jubiläumsausgabe (Berlin 1920) bekannt und wiederholt in Auswahleditionen der Briefe des Dichters entnommen worden; bereits zu Beginn des Jahrhunderts war er im Auszug von Siegmund Schott (1852—1910) bekanntgemacht worden, der ihn in seinem Artikel über Guido Weif) im 5. Band des „Biographischen Jahrbuchs und deutschen Nekrologs" eingebaut hatte. Siegmund Schott war Schüler und Freund von Weif); als Kritiker für die „Frankfurter Zeitung" und die linksliberale „Allgemeine Zeitung" in München hatte er in den neunziger Jahren wiederholt mit Fontane korrespondiert.
Vielleicht hat die Tatsache, daf) Guido Weif) nur im Umkreis dieser literarischen Begegnung in der Korrespondenz Fontanes genannt und auch in seinen autobiographischen Schriften nicht erwähnt wird, die Forschung bisher davon abgehalten, diesem kurzen, aber intensiven und offenbar weitgehend unbelasteten Gespräch nachzugehen. Sein Tenor läßt jedoch darauf schließen, daß wir hier Zeugnissen einer tieferen, wechselseitig von Aufmerksamkeit und Interesse für den Weg des anderen getragenen und von gegenseitiger Achtung erfüllten Beziehung gegenüberstehen. So wird vor allem ein anderer Grund die Zurückhaltung der Forschung erklären: Guido Weiß zählt heute zu den vergessenen Schriftstellern. Diese Tatsache ist eine Folge jener Betrachtung literarischen Schaffens, vor der bereits Siegmund Schott in seinem Nekrolog warnte: „Wer die Bedeutung eines Schriftstellers nach der Anzahl der von ihm veröffentlichten Bücher schätzt, der wird über Weiß nicht viel zu sagen wissen. Er hat kein einziges Buch geschrieben ... Er war ein langsamer Arbeiter, da er unablässig änderte und feilte, was er sagen wollte ..." Vor allem aber sind durch die geschichtliche Entwicklung Deutschlands die Versuche der demokratischen Kräfte, den unheilvollen Weg der Verpreußung zu verhindern, für lange Zeit aus dem allgemeinen Bewußtsein wie aus der Forschung verdrängt worden: Die Einigung von oben und der junkerlich-bourgeoise Klassenkompromiß wurden als der entweder einzig vernünftige oder, durch tragische Umstände erzwungen, einzig mögliche Weg der deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert betrachtet.
Die marxistische Geschichtswissenschaft hingegen hat, vorgeprägt durch seinen Schüler Franz Mehring, das Wirken und Streben von Guido Weiß in der bürgerlich-demokratischen Bewegung stets mit Achtung gewürdigt 5 : Die interdisziplinäre Arbeit erfordernde Erschließung und Analyse der Gesamtheit der ökonomischen, politischen, historischen, kulturpolitischen und literaturkritischen Publizistik von Weiß steht indessen noch aus. Dabei sieht sich in erster Linie die Literaturwissenschaft gefordert, nachdem die Historiker, aufbauend auf systematischen Untersuchungen der differenzierten Entwicklungen innerhalb der liberalen und demokratischen Kräfte des deutschen Bürgertums nach 1848 1 ', abermals nachdrücklich auf die Beziehungen zwischen dem Kampf der Arbeiterklasse gegen das Sozialistengesetz und den verstärkten Aktivitäten bürgerlich-demokratischer Kräfte in den achtziger Jahren mit der oppositionellen Bewegung innerhalb der Intelligenz dieser Zeit hingewiesen haben 7 , die sich künstlerisch in der kräftigeren Herausbildung kritisch-realistischer Elemente und im deutschen Naturalismus reflektieren. Die seit Mitte der siebziger Jahre wachsende Aufmerksamkeit von Weiß für Probleme der gegenwärtigen Lite-
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