raturentwicklung, des Erbes und der Kulturpolitik, in deren Zusammenhang auch sein Interesse für das Umfeld Fontanes steht, ist symptomatisch für diese Entwicklung. Eine systematische Auswertung der von Weiß zwischen 1873 und 1879 herausgegebenen Zeitschrift „Die Wage" gewinnt in diesem Zusammenhang große Bedeutung; in der Perspektive sollten in diese Arbeit die bedeutenden demokratischen und linksliberalen Presseorgane der Zeit, die „Frankfurter Zeitung" und die Wochenschrift „Die Nation", einbezogen werden.
Da wichtige Etappen der Biographie von Guido Weiß noch genauer zu untersuchen sind, die bibliographische Erschließung seines Schaffens erst eingeleitet werden konnte und seine Publizistik auf Grund einer schwierigen Quellenlage nur schwer zugänglich ist, beschränkt sich die vorliegende erste Betrachtung der Beziehungen zwischen Weiß und Fontane auf eine noch keineswegs aus systematischer Nachforschung hervorgegangene Skizze der Entwicklung von Weiß, die auch wahrscheinliche Berührungspunkte mit Fontane zu bezeichnen versucht und auf den Wiederabdruck der beiden bisher ermittelten Aufsätze, in denen sich Weiß über Fontane äußerte. Bei der Darstellung dieses politischen Publizisten kann nicht darauf verzichtet werden, die Entwicklung und einige Grundpositionen der bürgerlichen Demokratie in Berlin einzubeziehen; dies ist umso notwendiger, als die Forschung bisher weitgehend darauf verzichtet hat, den konkreten politischen Stellenwert der vielzitierten kritischen Äußerungen Fontanes über das wilhelminische Reich und seine späten Bekenntnisse zur Demokratie genauer zu untersuchen. Es wird davon ausgegangen werden können, daß dieser Begriff für Fontane vor dem Hintergrund seiner eigenen Positionen uncl Erfahrungen von 1848—1850 wie der leidenschaftlichen Auseinandersetzungen, die seit dem Verfassungskonflikt der sechziger Jahre in den liberalen Parteien gerade Berlins um die Bewahrung und Weiterentwicklung demokratischer Positionen geführt worden sind, nicht den recht allgemeinen, etwas verwaschenen Sinn besaß, in dem er heute nicht selten verwendet wird.
Aus Gründen des Umfangs wie einer Fülle ungeklärter Voraussetzungen muß darauf verzichtet werden, eine umfassende Analyse der Texte zu versuchen und dabei das Dankschreiben des Dichters einzubeziehen, das in seiner fast untrennbaren Verknüpfung von freudiger Genugtuung und teils sanfter, teils entschiedenerer Reprimande ein besonders reizvolles Exemplar jenes fonta- neschen Brieftyps darstellt. Der Versuch muß sich damit begnügen, das Material vorzustellen, sein Umfeld anzudeuten und so die Aufmerksamkeit auf einige wenige beachtete geschichtliche und literarische Voraussetzungen von Werk und Entwicklung Fontanes zu lenken. 8
II
Guido Weiß wurde am 18. 8. 1822 als Sohn eines Arztes in Neumarkt/Schlesien geboren und absolvierte die ersten Semester seines Studiums der Medizin in Breslau. Hier soll er, folgt man dem Bericht Siegmund Schotts, in den Häusern der wohlhabenden Handelsbourgeoisie, die Gustav Freytag für „Soll und Haben"" als Vorbild diente, jene Sicherheit des gesellschaftlichen Umgangs erworben haben, die ihm in zeitgenössischen Berichten nachgesagt wird. Es muß freilich ergänzt werden, daß Weiß in Breslau wohl vor allem die für sein
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