Heft 
(1987) 44
Seite
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raturentwicklung, des Erbes und der Kulturpolitik, in deren Zusammenhang auch sein Interesse für das Umfeld Fontanes steht, ist symptomatisch für diese Entwicklung. Eine systematische Auswertung der von Weiß zwischen 1873 und 1879 herausgegebenen ZeitschriftDie Wage" gewinnt in diesem Zusammen­hang große Bedeutung; in der Perspektive sollten in diese Arbeit die bedeu­tenden demokratischen und linksliberalen Presseorgane der Zeit, dieFrank­furter Zeitung" und die WochenschriftDie Nation", einbezogen werden.

Da wichtige Etappen der Biographie von Guido Weiß noch genauer zu unter­suchen sind, die bibliographische Erschließung seines Schaffens erst eingeleitet werden konnte und seine Publizistik auf Grund einer schwierigen Quellenlage nur schwer zugänglich ist, beschränkt sich die vorliegende erste Betrachtung der Beziehungen zwischen Weiß und Fontane auf eine noch keineswegs aus systematischer Nachforschung hervorgegangene Skizze der Entwicklung von Weiß, die auch wahrscheinliche Berührungspunkte mit Fontane zu bezeichnen versucht und auf den Wiederabdruck der beiden bisher ermittelten Aufsätze, in denen sich Weiß über Fontane äußerte. Bei der Darstellung dieses poli­tischen Publizisten kann nicht darauf verzichtet werden, die Entwicklung und einige Grundpositionen der bürgerlichen Demokratie in Berlin einzubeziehen; dies ist umso notwendiger, als die Forschung bisher weitgehend darauf ver­zichtet hat, den konkreten politischen Stellenwert der vielzitierten kritischen Äußerungen Fontanes über das wilhelminische Reich und seine späten Be­kenntnisse zur Demokratie genauer zu untersuchen. Es wird davon ausgegan­gen werden können, daß dieser Begriff für Fontane vor dem Hintergrund seiner eigenen Positionen uncl Erfahrungen von 18481850 wie der leiden­schaftlichen Auseinandersetzungen, die seit dem Verfassungskonflikt der sechziger Jahre in den liberalen Parteien gerade Berlins um die Bewahrung und Weiterentwicklung demokratischer Positionen geführt worden sind, nicht den recht allgemeinen, etwas verwaschenen Sinn besaß, in dem er heute nicht selten verwendet wird.

Aus Gründen des Umfangs wie einer Fülle ungeklärter Voraussetzungen muß darauf verzichtet werden, eine umfassende Analyse der Texte zu versuchen und dabei das Dankschreiben des Dichters einzubeziehen, das in seiner fast untrennbaren Verknüpfung von freudiger Genugtuung und teils sanfter, teils entschiedenerer Reprimande ein besonders reizvolles Exemplar jenes fonta- neschen Brieftyps darstellt. Der Versuch muß sich damit begnügen, das Mate­rial vorzustellen, sein Umfeld anzudeuten und so die Aufmerksamkeit auf einige wenige beachtete geschichtliche und literarische Voraussetzungen von Werk und Entwicklung Fontanes zu lenken. 8

II

Guido Weiß wurde am 18. 8. 1822 als Sohn eines Arztes in Neumarkt/Schlesien geboren und absolvierte die ersten Semester seines Studiums der Medizin in Breslau. Hier soll er, folgt man dem Bericht Siegmund Schotts, in den Häusern der wohlhabenden Handelsbourgeoisie, die Gustav Freytag fürSoll und Haben"" als Vorbild diente, jene Sicherheit des gesellschaftlichen Umgangs erworben haben, die ihm in zeitgenössischen Berichten nachgesagt wird. Es muß freilich ergänzt werden, daß Weiß in Breslau wohl vor allem die für sein

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