neuen Deutschen Reichstag durchzusetzen. Die drei Grundsatzforderungen des Vereins bildeten, jeweils aktualisiert, die Basis für die politische und publizistische Arbeit der Berliner Demokraten bis zum Ende der Bismarckzeit, als ihre Organisation sich aufzulösen begann:
— Wesentliche Erweiterung der Rechte des Reichstags, vor allem durch Einführung der Verantwortlichkeit der Minister vor dem Parlament
— Verfassungsrechtliche Einführung und Garantie der Grundrechte: Presse-, Versammlungs- und Organisationsfreiheit, freier Unterricht, Religionsfreiheit und Zivilehe
— Entschiedene Einschränkung des Militarismus, Abschaffung aller militärischen Privilegien, Verkürzung der Dienstzeit von drei Jahren auf eines, jährliche Bewilligung des Militärbudgets.
Diese Forderungen wurden durch im Zuge der kapitalistischen Entwicklung fortlaufend konkretisierte soziale Forderungen im Interesse insbesondere des Proletariats ergänzt, getragen von der schon 1848 von Jacoby formulierten Überzeugung, „nicht die politische Freiheit sei das letzte Ziel, sondern auf diese gegründet die Reformation der Gesellschaft, das aus sittlicher Freiheit erwachsende Wohlergehen, das menschenwürdige Dasein aller" 13 .
Wenngleich — Vorspiel für die Härte der kommenden Auseinandersetzungen, die die Demokraten innerhalb und außerhalb der Fortschrittspartei wie später der Deutschen Freisinnigen Partei zu führen hatten — bereits die Aufstellung Jacobys als Kandidat von den liberalen Fortschrittlern hintertrieben wurde, blieb doch der Verein bis 1873 bestehen und entwickelte ein reges politisches Leben. (Wohl auch deshalb lehnte Weiß das Angebot der angesehenen österreichischen „Neuen Freien Presse", in Wien eine leitende Redaktionstätigkeit zu übernehmen, ab.) Dies nicht zuletzt dank der Teilnahme zahlreicher Mitglieder der „Eisenacher", der 1869 gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschlands. Grundlage dieser Kooperation, die sich vor allem in der Zeit der Sozialistengesetze bewährte, war die Erkenntnis führender Berliner Demokraten, nach ihrem Führer scherzhaft die „Jacobyten" genannt, das angesichts der Erfahrungen der sechziger Jahre — wie es die „Frankfurter Zeitung" 1869 formuliert hatte —, „eine radikale Veränderung der gegenwärtigen Lage Deutschlands nur von der Tätigkeit derjenigen erhofft werden (dürfe), die am meisten darunter leiden und die durch ihre Zahl, ihre Energie, ihren Mut, ihre Ehrlichkeit und ihren noch nicht zu korrumpierenden geraden Verstand allein stark genug sind, jeden Cäsarismus zu vernichten — den Arbeitern." 14 Auf dieser Grundlage entwickelte sich auch ein reger persönlicher Umgang zwischen führenden Eisenachern und Demokraten, von denen eine ganze Anzahl später zur Arbeiterpartei übertraten: August Bebel hat in seinen Lebenserinnerungen anschaulich darüber berichtet. Sein mutiges und konsequentes Auftreten im Reichstag habe ihm „große Popularität in den Arbeiterund demokratischen Bürgerkreisen verschafft", schreibt er und betont: „Letztere gab es damals noch... Sie gruppierten sich um Dr. Guido Weiß... Zugehörige dieser Gruppe waren William Spindler, der Sohn des Gründers des großen Färbereigeschäftes W. Spindler, van der Leeden, Dr. G. Friedländer, Morten Levy, Dr. Meierstein, Boas, Dr. Stephany, später Chefredakteur der .Vossischen Zeitung' und andere. Auch der damals noch sehr junge Franz
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