Mai 1884 ermöglichte die ereute Verlängerung des Sozialistengesetzes - führte den Demokraten vor Augen, daß für sie in der neuen Partei kein Platz war. Im November wurde erneut ein .Demokratischer Verein" gegründet, dessen Vorsitz Weiß übernahm; sein Sekretär war Georg Ledebour, der später in der SPD beziehungsweise USPD bekanntgeworden ist. Der am 11. 12. 1884 in der Berliner „Volkszeitung" veröffentlichte programmatische Aufruf „An die Demokraten Norddeutschlands" nahm die im Vereinsprogramm von 1871 enthaltenen Ziele neu auf und stellte neben der Forderung nach demokratischen Rechten und Freiheiten den Kampf gegen „den Ruin des Volkes" durch den Militarismus und die wachsenden Rüstungslasten sowie den Aufruf zur friedlichen Lösung der immer bedrohlicheren internationalen Konflikte in den Mittelpunkt.
Die meisten Wortführer der im September 1885 gegründeten und etwa 10 Jahre wirkenden Demokratischen Partei versuchten deren Einfluß durch die Abwerbung von Arbeitern aus der SDAP zu verstärken und diese an ihr Programm eines friedlichen Ausgleichs der sozialen Gegensätze zu binden. Dies verriet ihre Unfähigkeit, den schmalen Raum zu erkennen, der einer demokratischen Gruppierung im Spannungsfeld zwischen der Partei des Proletariats und dem breit differenzierten System der bürgerlich-liberalen Parteien verblieb. Im Gegensatz dazu wandte sich Weiß vor allem an die „gebildeten Klassen" und den „höheren Industrie- und den höheren Kaufmannsstand": „Aus diesen Männern wieder etwas zu sammeln, diese wieder zum Bewußtsein gemeinsamer Pflichten und alter ruhmvoller Traditionen zu bringen, ist eine Aufgabe, die ihre Schwierigkeiten hat, aber nicht aussichtslos ist." 19 Auch dieser Versuch, an die Traditionen von 1848 anzuknüpfen, die in den Tagen der Konfliktzeit noch einmal kurzfristig lebendig geworden waren, konnte unter den veränderten ökonomisch-sozialen Voraussetzungen keine Basis einer Parteibildung mehr werden, wohl aber dazu dienen, aktuelle Volksbewegungen oder einzelne Protestaktionen, wie sie etwa in den neunziger Jahren von der wissenschaftlich-künstlerischen Intelligenz mit Hilfe der SPD gegen die Umsturzvorlage vorgetragen wurden, wirkungsvoll zu unterstützen.
Von solchem Bemühen war, so weit dies bisher überblickt werden kann, die späte Publizistik von Weiß wesentlich bestimmt: in ihrem Zentrum steht die autobiographisch fundierte Aufarbeitung des Vormärz und der Revolution von 1848 in Berlin. 20 Damit folgte er gleichsam einer Anregung des Vereins Berliner Presse, der am 23. 9. 1885 einen Abschiedsabend anläßlich der Übersiedlung des Publizisten nach Frankfurt am Main veranstaltet hatte. Im Bericht der „Vossischen Zeitung" vom 24. 9. (Beilage) über diese Veranstaltung, auf welcher der aus der bürgerlichen Demokratie hervorgegangene, seit Mitte der sechziger Jahre als Schriftsteller und Kulturpolitiker für die marxistische Arbeiterbewegung arbeitende Robert Schweichei (1821—1907) Weiß gewürdigt hatte, heißt es: „Wieviel Leute gibt es noch, die so sehr im Brennpunkte des Berliner geistigen und politischen Lebens von 1848 bis auf die heutige Zeit gestanden haben wie er? Kaum jemand wäre berufener als er, zum Chronisten des literarischen und politischen Berlin seit 1848 zu werden. Als ein Stück verkörperter Berliner Chronik scheidet Guido Weiß aus Berlin..." Wenige Monate nach Fontane, am 15. 1. 1899, ist Weiß, in seinen letzten Lebensjahren völlig erblindet, in Frankfurt gestorben.
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