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„Na, das is immer das beste. Vermutlich Georgsthaler oder so was; Dreißigjähriger Krieg. Es war ja 'ne gräßliche Zeit. Aber daß sie damals aus Angst und Not so viel verbuddelt haben, das is doch auch wieder ein Segen. Is es denn viel?"
„Wie man's nehmen will, Herr Major; praktisch und prosan angesehen ist es nicht viel, aber wissenschaftlich angesehen ist es allerdings viel. Nämlich drei römische Münzen, zwei von Diokletian und eine von Caracalla."
„Na, die passen wenigstens. Diokletian war ja Wohl der mit der Christenverfolgnng. Aber ich glaube, es war am Ende nicht so schlimm. Verfolgt wird immer. Und mitunter sind die Verfolgten obenauf."
Dabei lachte der Alte. Dann rief er Engelke, daß er den Honig herausnehme. Krippenstapel aber verabschiedete sich, seine leere Terrine vorsichtig
„Klar Mm Äefecht!"
Erlebnisse an Uorö S. AI. S. „Äharlotte" vor Aort-au-Arince in Haiti.
Von
Wudolf Schneider, Marinepfarrer.
(Siehe die Abbildungen Seite 281 und „Aus Zeit und Leben").
E^ner Majestät Schiff „Charlotte" lag Anfang November im Hafen Porto Grande auf der Kap-Verdeschen Insel St. Vineent, als wir zuerst von der Lüdersschen Angelegenheit zu Port-au-Prince aus italienischen Zeitungen erfuhren. Wir maßen der Sache aber keine besondere Wichtigkeit bei und segelten am 10. November mit kräftiger nchterlicher Brise nach St. Thomas in Dänisch-West- indien. Hier wurde uns die deutsche Verwicklung mit der Negerrepublik Haiti ausführlicher und ernster geschildert. Die haitianischen Blätter führten eine höchst aufreizende und hochmütige Sprache wider Deutschland. Man glaubte in St. Thomas allgemein nicht an eine friedliche Beilegung. Der Kommandant, Kapitän zur See August Thiele, hatte bereits geheime Befehle von Berlin, S. M. S. „Stein" sollte am nächsten Tage nach unsrer Ankunft in St. Thomas, entgegen ihrer Segelordre, zu uns stoßen und beide Schiffe zusammen nach Haiti gehen, um dem vom deutschen Geschäftsträger, Grafen Schwerin, an die haitianische Regierung gestellten Ultimatum den nötigen Nachdruck zu verleihen.
Am 1. November übernahm der ältere Kommandant, Kapitän zur See August Thiele, auf Befehl des Oberkommandos der Marine das Kommando über das aus diesen beiden Schiffen gebildete „Treffen", zu einer Kreuztour bis zum 15. Dezember, wie der Tagesbefehl lautete, da Zweck und Ziel der Fahrt naturgemäß geheim bleiben sollten. Indessen wußten die Leute an Land mehr, als wünschenswert war.
Am 2. November, nachmittags vier Uhr, ging das „Treffen" in See. Sobald die Schiffe den Hafen verlassen hatten, machten die Kommandanten Offiziere und Besatzung mit dem Zweck der Kreuztour bekannt Und schlossen mit einem dreifachen Hurra auf Seine Majestät den Kaiser, das einen begeisterten Wiederhall in jedem Herzen fand. Ja, das war einmal etwas für unsre Leute! Das Feuer patriotischer Begeisterung ergriff Mann für Mann, bis zum kleinsten Schiffsjungen und jüngsten Kadetten. Jeder war stolz, das alles miterleben zu dürfen. Unaufhörlich schallten in der freien Zeit patriotische Lieder und vaterländische Gesänge durchs Schiff. Beim Seitengewehrschleifen wollte jeder helfen; der Büchsenmacher konnte sich kaum der aufgedrungenen Hilfe erwehren.
Am 4. Dezember morgens nahm S. M. S. „Charlotte" in Porto Plata den deutschen Geschäftsträger, Grafen Schwerin, nebst seiner Gemahlin an Bord. Graf Schwerin
völkerung stehend, nicht nachgeben, sondern daß uns aller Wahrscheinlichkeit nach blutiger Ernst bevorstehen würde.
Am 5. Dezember kamen wir in haitianische Gewässer und machten uns in der Nacht zum 6. Dezember gefechts-- klar, um einem etwaigen Ueberfall der haitianischen Flotte ! erfolgreich begegnen zu können. Um sechs Uhr früh am ! nächsten Morgen stand jeder aus seiner Klarschiffstation. Aus > der dämmernden Ferne tauchten die im Hafen von Port-au- Prince liegenden Schiffe hervor. Alan sah zwei große Handelsdampfer mit der deutschen Flagge, die auf Requisition des Auswärtigen Amtes in Berlin zur Aufnahme > der deutschen Flüchtlinge aus der Stadt bestimmt waren, ^ und ganz dicht an die Stadt herangezogen die haitianische ! Kriegsflotte, bestehend aus vier ungepanzerten Schiffen. !
Etwa 2700 Meter von der Stadt entfernt, die am Ende einer schönen, großen Bucht, an einer sanft ansteigen- ^ den Höhe liegt, warfen die Schiffe Anker und ließen je ! zwei Kutter zu Wasser, unter deren Schutz der Parlamentär- i offizier, Lieutenant zur See Bene, sich behufs Ueberbringung ! des Ultimatums an Land begeben sollte. Mit einem Träger , der weißen Parlamentärflagge, der von zwei Matrosen mit >
Ueöer Land und Meer.
aufgepflanztem Seitengewehr flankiert wurde, schritt er dem Hasenkapitanat zu und übergab dort mit kurzen Worten das Ultimatum als ein sehr eiliges Schriftstück für Seine Ercellenz den Präsidenten der Republik. Nach Empfang einer Einhündigungsqnittung zog er diö Uhr aus der Tasche und sagte dem verdutzt dreinschauenden Hafenkapitän, General Destouches, in französischer Sprache: „Jetzt ist es acht Uhr, um nenn Uhr ist das Dokument beim Präsidenten, bis ein Uhr haben Sie Zeit. Adieu!" Diese militärische Kürze, ohne den von Haitianern beliebten Redeschwall nichtssagender Worte, hat dem Hafenkapitün nicht minder imponiert als ihn erschreckt. Auch hat er sich darüber aufgehalten, daß unser Kommandant „den jüngsten Lieutenant, der noch nicht einmal einen Bart habe" (beides nicht richtig!) als Parlamentär geschickt habe, und daß dieser ,,petit blaue" ihm, dem General gegenüber so frei und gleichsam im Befehlston redend — brutal nennt das der Haitianer! — gegenübergetreten sei. Auch des Parlamentäroffiziers letzte Anordnung an die von Offizieren geführten Kutter, sie sollten sofort das Feuer eröffnen, sobald sie Schüsse in der Nähe hörten oder er das Signal dazu mit der Batteriepfeife geben würde, hatte sich sehr bald unter der neugierig gaffenden Menge herumgesprochen und ihres niederschmetternden Eindrucks nicht verfehlt.
Das Schriftstück enthielt das schon vom Grasen Schwerin geltend gemachte Ultimatum der deutschen Regierung, das aber der Kommandant nun in bedingungsloser Form aus Befehl Seiner Majestät unter dem Schutz der Kanonen unsrer Kriegsschiffe zum Ausdruck brachte. Der Präsident der Republik wurde darin kurz und bestimmt in deutscher und französischer Sprache aufgefordert: 1. Eine Entschädigungssumme von 20 000 Dollars in Gold für die ungerechte Einkerkerung des deutschen Reichsangehörigen Emil Lüders an Bord S. M. S. „Charlotte" niederzulegen. 2. Ein Entschuldigungsschreiben an den Kommandanten als den Vertreter Seiner Majestät des Deutschen Kaisers zu richten. 3. Dem x. Emil Lüders die Rückkehr zu gestatten und seine Sicherheit zu garantieren. 4. Die deutsche Flagge zu- salutieren. 5. Den deutschen Geschäftsträger, Grafen Schwerin, in feierlicher Audienz zu empfangen.
Die Ultimatumsfrist von vier Stunden, die den Haitianern als viel zu kurz schwer auf die Seele fiel, wollte an Bord gar nicht zu Ende gehen. Die Spannung stieg von Minute zu Minute. „Wenn die Kerle bloß nicht sofort nachgeben, sondern uns wenigstens ein paar Granaten gestatten wollten!" Dieser Wunsch ging von Mund zu Mund. Inzwischen hatten auch die beiden deutschen Dampfer „Slavonia" und „Galicia" mit deutschen Flüchtlingen den Hafen verlassen und gingen auf den ihnen von unserm Kommandanten angewiesenen Ankerplatz außer Schußweite, ebenso der einlaufende französische Dampfer. Nur mit einem kleinen Koffer versehen, verließen unsre Landsleute und sämtliche Weiße Haus und Hof und Geschäft. Uns brachten die Flüchtlinge im Vorüber- sahren allerhand Neuigkeiten aus der Stadt; einige Herren kamen mit bestimmten Nachrichten und genauen Plänen von der Stadt an Bord und machten dem Kommandanten schätzenswerte Mitteilungen über die Lage des Pulvermagazins, die Stellung der über Nacht aufgefahrenen Batterie und andres mehr. Mit Freuden begrüßten wir die Kunde, daß der Präsident das Ultimatum nicht annehmen wolle. Die Stimme des amerikanischen Ministerresidenten Mr. Paul, der allein von den diplomatischen Vertretern widerraten hatte, war für den Entschluß des Präsidenten ausschlaggebend gewesen. Er mag wohl auch die Ankunft des avisierten amerikanischen Kreuzers mit diplomatischer Zweideutigkeit dem Präsidenten verheißen haben, wodurch derselbe eine nicht zu unterschätzende Rückenstärkung gewinnen mußte. Aus diesem Grunde lehnte auch der Kommandant jegliche Verlängerung der Ultimatumsfrist, die das diplomatische Corps erbat, rundweg mit dem Hinweise aus den Befehl Seiner Majestät des Kaisers ab: „Ich kann und will nicht. Um ein Uhr eröffne ich das Feuer, wenn meine Forderung bis dahin nicht erfüllt ist oder nicht zum Zeichen dieser Absicht eine weiße Flagge sichtbar wird." Der englische Ministerresident hatte eine vierundzwanzigstündige, der amerikanische sogar eine zwei- undsiebzigstündige Frist zur sicheren Unterbringung der beiderseitigen Schutzbefohlenen beansprucht. Es war zu spaßig, ihre höchste Herzensangst und ihren blaffen Schreck beim Anblick der in Waffen starrenden Besatzung und der klargelegten Granaten zu beobachten. Zufällig wurde ein Geschütz irgendwie bewegt, als sie gerade längsseits S. M. S. „Charlotte" herandampften, aber da faßte einige jäher Schrecken; der französische Vertreter rief aus Leibeskräften: „Os aorp8 diplomatique, le eorxs diplomatique wünscht eine Unterredung mit dem Kommandanten."
12 Uhr 30 Minuten sollte der erste Alarmschuß gefeuert werden, 12 Uhr 59 Minuten zwei hintereinander, darauf eine Minute Pause — die letzte Galgenfrist für die Haitianer — und nach Ablauf derselbe» das Bom-
auf das hoch über der Stadt ragende Fort National, aus ! das Palais National und andre Regierungsgebäude, aus ^ das Pulvermagazin und endlich, wenn die Regierung noch nicht znm Nachgeben mürbe genug gemacht wäre, aus > einige von Weißen unbewohnte Straßen. Die Wirkung ! einer Granate wäre unter den leichtgebauten Holzhäusern I
eine furchtbar verheerende gewesen. Unmöglich konnte die haitianische Regierung es dazu kommen lassen. An Bord gab es um 11 Uhr Mittag ohne heruntergeschlagene Backen und Banken; man aß im Klarschiffanzug mit umgeschnallten Waffen, wo man gerade Platz fand. Die Andacht, die der Pfarrer im Anschluß an das Psalmwort: Psalm 25, 1 bis 3a, um 12 Uhr hielt, und worin er noch einmal die Herzen zu Gott dem Herrn und Lenker der Schlachten emporhob, von ihm Kraft und Stärkung im Kampfe der Ehre und einen glücklichen Ausgang desselben erbittend, bildete den Schluß der Vorbereitungen zum Gefecht. Unmittelbar darauf wurde der Anker gelichtet, und beide Schiffe
setzten sich in Bewegung, ruhig und majestätisch in der Entfernung von 2500 bis 3000 Meter vor der Stadt auf und ab dampfend. Das wirkte an Land. Man hatte bis zum letzten Augenblick nicht mit dem blutigen Ernst von unsrer Seite gerechnet, der Präsident hatte gehofft, die Verwicklung mit dem Kommandanten in seinem Palais beim Glas Champagner zu regeln, wozu der Hofkapellmeister die „Wacht am Rhein" eingeübt und der Hof
marschall drei Kisten Champagner ins Palais hatte schaffen lassen. (Auf diese Weise sollen die Haitianer Verwick
lungen schon öfter „arrangiert" haben.) Wie weggeputzt verschwanden die Leute von den Straßen. Aengstlich harrten sie der Dinge, die kommen sollten, in Kellern und Kirchen. Schon der Anblick der einlaufenden, über Erwarten großen Schulschiffe in der Frühe des Morgens hatte sie in ihrem mutigen Vorsatz, nicht zu weichen und zu wanken, beträchtlich erschüttert. „Das sind ja gar nicht so kleine Schiffe, diese Schulschiffe!" hatte man staunend und erschreckt
gerufen. Ob sie wohl geglaubt hatten, wie ein Witzblatt dazu bemerkte, daß die Schulschiffe eben Schiffe seien, die noch in die Schule gehen?! Die stattliche Größe der Schulschiffe stellte das moralische Gleichgewicht ihrer verletzten Eitelkeit wieder her und söhnte sie einigermaßen mit dem Deutschen Kaiser aus, der unverzeihlicherweise ihre nationale Würde durch Entsendung von Schulschiffen behufs Erzwingung seiner Forderungen „mißachtet" habe.
Mit der Uhr in der Hand verfolgte man von Bord aus jede Bewegung an Land. Die Aussicht, daß es doch noch zum Kamps kommen würde, wuchs von Minute zu Minute, in gleichem Maße die Begeisterung. Die Leute stehen auf ihren Klarschiffstationen klar, der Zeiger der Uhr will gar nicht vorwärts rücken, noch sind's 20 Minuten; jetzt 15, 10, 8, 5 Minuten: da — es war 12 Uhr 55 Minuten — steigt an der Flaggenstange des Palais National eine Parlamentärflagge — ein Betttuch ist's in Ermanglung einer Flagge gewesen — hoch über Deck schallt das Kommando: „Klar bei Backbordanker! — Aus der Kette! — Boje über Bord! — Fallen Anker!" Es war, als wollte der Anker nicht in die Tiefe rauschen, zögernd schien der Befehl vollführt zu werden, niemand wollte es glauben, daß unser „Klar zum Gefecht" nur eine interessante Episode mit ernsten Vorbereitungen werden sollte. „Das haben uns wieder die Diplomaten verbruddelt!" — so suchte man unter der Besatzung seiner Wut über den fehlgeschlagenen Waffengang Luft zu machen. Und es war auch nicht unrichtig. Denn nur unter dem Druck des diplomatischen Corps hatte der Präsident sich so schnell zu dem entschlossen, was er doch früher oder später hätte thun müssen. „Aber die Sache ist ja noch nicht zu Ende, es kann doch noch losgehen!" — in diesem Gedanken und Wunsch suchte man an Bord seinen letzten Hoffnungsanker. Da — ein Boot mit weißer Flagge wird sichtbar — der Parlamentär wird über das Wie und Was Auskunft, bringen. Der Kommandant geleitet denselben in seine Kajüte, wo General Destouches in Begleitung seines Adjutanten die Bereiterklärung des Präsidenten zur Erfüllung des Ultimatums unserm Kommandanten überreicht. Das hochmütige Selbstbewußtsein des schwarzen Präsidenten und die lächerliche Selbstüberhebung der haitianischen Minister hatten nicht ohne eine sich selbst salvierende Begründung das Schriftstück hergegeben. Man habe ein Gemetzel, dem jeder noch anwesende Weiße zum Opfer gefallen wäre,
Erledigung die beiden haitianischen Kriegsschiffe „Crete a Pierrot" und „Capris la Mort", um mit den flacher gehenden Schiffen durch größere Annäherung an die Stadt um so nachhaltiger auf die Erfüllung seiner Forderungen drücken, sowie bei einem etwaigen Gemetzel schneller ein- greifen zu können. Um 4 Uhr sollte das Gold an Bord sein oder die haitianischen Schiffe die Flagge streichen, worauf dieselben von unfern Leuten bis zur völligen Erledigung der Sache besetzt und bedient werden sollten.
Man war davon überzeugt, daß sie nur die Sache Hinschleppen wollten, denn man wußte, daß das Geld bereits auf der Bank deponiert war. Kurz vor 4 Uhr ging Seiner Majestät Schiff „Charlotte" ankerauf und legte sich mit ihrer Breitseite den Schiffen in einer Entfernung von 500 Metern gefechtsklar gegenüber. Ein paar Minuten vor 4 Uhr erschien der Parlamentär mit den geforderten 20000 Dollars Gold und einem devoten Entschuldigungsschreiben, — unsre Aufgabe war beendet.