Blick auf seine parlamentarische Tätigkeit seit 1864, die im Kontext des Aufsatzes eine Materialsammlung darstellen für Weiß' Sicht der „altpreußischen Demokratie", auf deren historisch begründete Spezifik er dann in unserem Textauszug zu sprechen kommt. Diese historisch-psychologische Darlegung erschien Franz Mehring so überzeugend, daß er sie weitgehend in den Gedenkartikel übernahm, den er — auch unter dem Titel der Rezension von Weiß — 1903 zum 100. Geburtstag Zieglers in der „Neuen Zeit" veröffentlichte. Von diesem Ansatz her hat Mehring dann freilich vor edlem die weltanschaulichpolitische Entwicklung der altpreußischen Demokraten in den Jahrzehnten nach 1848 kritisch analysiert und gezeigt, welche Probleme aus deren offensichtlich unüberwindlicher Bindung an die Vergangenheit erwuchsen. Er sah diese vor allem in der Unfähigkeit begründet, die Revolution von 1848 „rückhaltlos anzuerkennen und namentlich ihre notwendigen Konsequenzen zu ziehen": „Von nun an", schrieb Mehring, „gehen die Wege der Bücher, Rodbertus, Waldeck, Ziegler wunderlich durcheinander; von Junkertum bis zum Proletariat, vom Feudalismus bis zur Sozialdemokratie streifen sie alle möglichen Parteien; einen sicheren Kurs finden sie niemals mehr." 29 Die Erkenntnisse und Schlußfolgerungen von Weiß und Mehring sollten auch für die Analyse der widersprüchlichen Entwicklung Fontanes fruchtbar gemacht werden, assoziiert man doch bei der Lektüre der Ausführungen von Weiß wiederholt unwillkürlich ähnliche Bekenntnisse des Dichters in Vers und in Prosa. Bereits Charlotte Jolles hat in „Fontane und die Politik", noch ohne nähere Begründung, darauf hingewiesen, daß es „unter den preußischen Demokraten nicht an solchen (fehlte), die preußische und demokratische Gesinnung ehrlich miteinander verbanden" 30 : die von Weiß analysierten Voraussetzungen der märkisch-preußischen Demokratie sind wohl — neben den Einflüssen der hugenottischen Abstammung und der stark antikapitalistischen Komponente seiner Sicht des Adels — ein wesentlicher Ausgangspunkt zum Verständnis der lebenslang zwischen Verehrung und Kritik schwankenden Stellung Fontanes zu Preußen, zu den Hohenzollern wie zum preußischen Adel.
Der zweite wesentliche, unmittelbar den Bezug zum Essay von 1889 herstellende Aspekt ist die Diskussion von Zieglers Hinweis auf das Phänomen einer spezifisch märkischen Poesie. Der Gegensatz zwischen Ziegler und Weiß hinsichtlich der Zugehörigkeit von Hesekiel und Fontane zu der auf, wie Weiß 1889 formuliert, „provinziale" Authentizität bei der Gestaltung von Landschaft, Volksleben, Menschenbild und Geschichte bemühten Poesie kann nicht überraschen. Die ersten drei Bände der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg" konnten wohl den „altpreußischen Demokraten" trotz offensichtlich gegensätzlicher politischer Haltungen als Ausdruck „märkischer Gesinnung" erfreuen,, während den Repräsentanten der vor allem seit der Rolle des Hohenzollernregimes bei der Niederschlagung der Revolution von 1848/49 strikt antipreußischen deutschen Demokratie insgesamt der große Anteil stören mußte, den die Geschichte des märkischen Adels und des preußischen Staates in Fontanes Darstellung besaß; er drängte für ihn märkische Landschaft und Volksleben besonders weit zurück. Dies umso mehr, als der Prozeß sowohl der erzählerischen Reife als auch der politischen Ernüchterung, den, wie Gotthard Erler dargestellt hat, die „Entstehung der .Wanderungen' zwischen 1859 und 1881 spiegelt und repräsentiert" 31 , eben noch keineswegs
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