Heft 
(1898) 21
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Weber Land und Meer.

Verbeugung.Danke gehorsamst."Bitte ge­horsamste Wieder in den Taxameter geklettert. Kutscher: Linden. Am Schlosse halten."Ja­wohl, Herr Lieutenant!" Das hätte sich der gute Mann sparen können. Lieutenants giebt's viele, aber nur wenige sind auserwählt zu sechsten Garde-Ulanen und Grasen Carön. Warum ich, ausgerechnet, am Schlosse halten lasse, weiß ich nicht. Majestät haben weder eine Meldung noch einen Jmmediatvortrag befohlen.

Ach, Berlin ist doch entzückend! So die Linden 'runter zu schlendern alle fünf Minuten reißt ein Infanterist das Gewehr von der Schulter und glotzt einen starr an. Kameraden vom bunten Nock kommen; man grüßt sich: Garde und bessere Kavallerie leicht, elegant, man weiß sich unter Standesgenossen Artillerie höflich, die Herren reiten ja noch Linieninfanteristen, was nicht gerade Königsgrenadier ist, mit geradezu vernichtender Höflichkeit, das mar­kiert am besten den Standesunterschied.

Ich ironisiere mich bei dieser Gelegenheit selbst. Uniform ist Oberfläche. Und ein zukünftiger Bot­schafter sollte tiefer gehen.

Aber ich bin ja ü 1a kuike, und man geht unter die Linden, um zu sehen und gesehen zu werden nicht um zu studieren. Mittags um zwölf Uhr, wenn die Maisonne auf der Quadriga des Branden­burger Thores blitzt, der Springbrunnen des Pariser Platzes den feinen silbernen Wasserstaub bis auf die Trottoirs sprüht und wohlerzogene, wohlgekleidete Menschen zu Wagen und zu Pferde unter den frisch­grünen Bäumen sich drängen, da ist man eleganter Pflastertreter, kecker Flaneur, der jedem hübschen Kinde recht deutlich fragend ins Gesicht blickt, ,Talmi oder echll? Talmi ist gewöhnlich pläsierlicher, denn dann geht man der Fee nach und orientiert sich, in welche von den Seitenstraßen sie einbiegt. Zum Moralisieren ist eben die Saison nicht. Alles ist Leben, Eleganz, hübsche Tünche selbst der Früh­lingswind, der angenehme Düfte bringt, frischen Blätterhauch, den er den Linden geraubt feinen Wohlgeruch, den er hübschen Damen entlehnt, und das kaum bemerkbare Parfüm von frischgewaschener und frischangezogener Menschheit.

Bei Jules Biester instruiert man sich, daß grün­seidene Socken gerade das Neueste sind natürlich kauft man; im Karneval äo Veniso überzeugt man sich, daß französische Batisthemden, lappig und verknüllt, den Kavalier zieren, und daß man gut thut, mit einem langen Halse auf die Welt zu kommen, weil die himmelhohen Krawatten unsrer Großväter wieder Mode sind. Man tritt ein, wird begrüßt, beknickst, und wenn es gut geht, zahlt man das Doppelte als wo anders. Bei Schulte beäugt man die Bilder, versucht einer Lackschuhnixe unter den Rosasonnenschirm zu gucken. Gewöhnlich geht sie dann weg. Zuweilen aber schielt eine aus halb­geschlossenen, schönen, stahlharten, habsüchtigen Augen zurück eine feingeschnittene Nase, ein gemeiner Mund: Theater oder Ballett und die Brillanten im rosageschminkten Ohre nicht von der Hungergage abgespart. Der Sporn klirrt, der Blick hinter dem Monocle wird glasiger. Heintze rief mir weh­mütige Gefühle wach. Das Glücksrad des Groß­kollekteurs mit seiner Unsumme Nieten so behaglich sich drehen zu sehen und zu denken: Menn du nun ganz genau wüßtest, daß das Schicksal dir den großen Treffer bestimmt hat, müßtest du sofort ein Volllos derPreußischen" nehmen? Ich begnügte mich mit einem Stettiner Pferdelos. Der große Coup der Staatslotterie liegt in noch zu nebelhaften Fernen. Wo der Norddeutsche Lloyd die Bewegungen seiner unzähligen Dampfer mit so niedlichen Schiff­chen auf einer Riesenkarte darstellt, wurde mir schwül. Zum Vergnügen mit gespickter Geldkatze nach Madeira oder Indien sofort bereit! Aber glücksritternder- weise nach Zansibar, Australien oder gar dem ge­lobten Lande der Freiheit und der Aankees, wo unsereiner Kellner wird oder Schuft... Ich sah schon im Geiste einen abgerissenen Mann früher den besseren Ständen angehörig mit einer Holz­kiste und schief getretenen Absätzen die Leiter zum Zwischendeck hinunterklettern. Graf Caren, weder die schöne Uniform der sechsten Garde-Ulanen, noch die grünseidenen Strümpfe, noch die Krawatte deines Herrn Urgroßvaters schützen dich vor solcher Mög­lichkeit! Bei I. von Hövel wurde mir wieder wöhler.

Soll ja auch uiedergebrochener Kavallerist sein und verhehlte den Freiherrntitel auf seinem früheren Ladenschilde in der Friedrichstraße standhaft. Jetzt ist er der König der Berliner Confiseure mit einem Riesenschaufenster, das die köstlichsten Bonbonnieren zieren. Ob sie alle von der wahren Liebe für reizende Bräute und glückliche Frauen liebestrunken erworben werden, oder ob illegitime Gazeröckchen, und etwas lichtscheue Verehrung die größere Rolle spielen? Ich habe mir früher manches Bijou hier füllen lassen, auch die als Bonbonniere frisierte Tschapka meines Regiments. Für meine Tante war der süße Gruß nicht, und sonst besitze ich keine zärtlichen Ver­wandten. Ein jüdischer Banquier handelte damals neben mir; die hübsche Verkäuferin lächelte mir ver­stohlen zu einen Trauring sah ich bei ihm nicht, auch nichts Aehnliches.

Natürlich, als ich mich so geistreich in Ver­mutungen erging, kam gerade ein Bekannter heraus, der tatsächlich verlobt ist. Zweiter Gardekürassier, früher mit starker Neigung, behufs Auswanderung verabschiedet zu werden. Wir begruben ihn seinerzeit schon in aller Freundschaft lebendig. Jetzt ist er von einem reichen Schwiegervater wieder aus der Patsche gerissen. Das Mädel soll hinken und seine Liebe wohl auch.

Caren, Sie hier famos!" Ließ mich auch nicht los, schleppte mich zu Kranzler. Da haben wir auf der Veranda eine halbe Stunde über die lieben Nächsten geschändet. Es ist so nett, an der Ecke von Linden und Friedrichstraße die beiden besten Uniformen der Armee von allem Volke be­wundern zu lassen. Die liebe Sonne meinte es gut, mit meinen Goldlitzen am Kragen besonders gut. Neben uns quollen förmlich die Menschen, die Droschken, die Fahrräder aus der engen Friedrich­straße. Das wogt und wimmelt und nimmt erst ein anständiges Tempo an, wenn's in die eleganten Linden einbiegt. An Moral denkt man bei den: Anblicke nicht viel. Das besorgen der reitende Schutz­mann und sein Kollege vom Fußvolk, der natürlich wieder mit einem Notizbuche in der Hand notiert, wieviel Wagen hier irr einer Stunde passierten, ohne sich anzufahren oder wegen einer Polizeiwidrigkeit festgestellt zu werden. An dem Marmortischchen neben mir fitzt ein reizendes blondes Wesen mit blauen Augen und teilt ihre Gefühle zwischen einem Sherry Cobbler und unsrer Uniform. Ja, so was zieht an, wie der Rost das Eisen! Der vier­schrötige katholische Kürassier hat mich trotz schwachen Widerstandes für dasMonopol" gepreßt. Einige Bekannte essen dort um fünf.Selbstverständlich nicht in Uniform", bemerkte er mit einem miß­billigenden Blick auf meine Reservemaskerade. Ich zieh' sie doch nicht aus heute, denn wie so was in Zivil endet, weiß man. Ich mache ja alle Dumm­heiten mit, und weil der deutsche Sekt in den Amorsälen" unmenschlich teuer ist, ärgere ich mich natürlich und trinke französischen, der noch teurer ist. Wir trennten uns. Ich wollte mich zu einem bescheidenen Frühstück insPschorr" begeben. Der Kerl hatte mich mit seinen Erzählungen von nieder­gebrochenen Bekannten und verlobten Glückspilzen ganz schwindelig gemacht. Ich dachte schon an die reiche Schlosserstochter aber hochmütig machen einen solche Möglichkeiten erst recht. Das blaue Blut bäumt sich auf, es verlangt eben etwas Raffe­echtes.

Als ich nochmals am Cafe Bauer vorbeiging, um nach hübschen Durchreiseudinnen zu spüren, sah ich vor einem exquisiten Reise-Artikelgeschäft einen bekannten Rücken. Es war der kleine Lieutenant aus Ragaz, der sehnsuchtsvoll riesige Elefanten­lederkoffer anstarrte. Den seelischen Zusammenhang ahnte ich. Bloß sah der kleine hübsche Kerl etwas mitgenommen vom Schicksal aus und hatte so einen wehmütig eingedrückten Filzhut. Schimmerte sein Ellbogen wirklich schon ein Atom, oder machte das nur der Gegensatz zu meiner eignen nagelneuen Uniform? Ich wollte scheu umkehren. Es ist ein netter, anständiger Kerl. Aber was thut er hier in Berlin? Und seinesgleichen bin ich eben doch noch nicht. Das kam mir aber wieder so feige vor. Ganz Uniformnarr bin ich noch nicht.

Als ich näher schleuderte, schielte er zu mir hin­über. Erkannt hatte er mich doch. Es war so was Unsicheres, Geniertes in dem halben Blicke, der

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beinahe was Verprügeltes hatte. Der Blick sagte ganz deutlich: ,Du wirst mich wohl nicht wieder erkennen wollen, weil ich wirklich jetzt unter dem Schlitten bin. Ich will dich auch nicht dazu zwingen ll

Guten Tag, Herr von Jaromir!"

Er zuckte ordentlich zusammen.

Guten Tag, Herr Graf. Schon von der Riviera zurück?"

Da waren wir eigentlich am Ende uusers Ge­sprächs. Er druckste und ich druckste. Es giebt so Situationen, wo das nächste Wort sicher eine Dummheit ist. In diesem Fall war ich so frei.

Essen Sie mit im ,Monopol'?" Auf ein­mal war er ganz rot geworden und stotterte etwas von einer Verabredung. Und da es ja bei un^ Verpflichtung ist, eine Aufforderung fünfzigmal zu wiederholen, damit man nur ja nicht an der Auf­richtigkeit zweifelt, so that ich's denn auch und zu­letzt ganz warm, obgleich das große Unwahrheit war.

Er wurde immer unruhiger. Endlich platzte er mit der Wahrheit heraus:Ich habe kein Geld!" Darauf die bekannte erhabene Handbewegung von mir, die ungefähr andeuten soll: ,Wie viel Tausend wünschen Sie zu haben? Sie brauchen nur zu sagen? Er verlangte aber nichts derart, wie ich anfangs befürchtete, sondern die schwarzen, lebhaften Augen in die Elefantenkoffer gebohrt, sagte er leise und nervös:Ich will kein Geld. Denn wenn Sie mir jetzt einen Thaler geben würden, so könnte ich Ihnen keinen Zeitpunkt angeben, wann ich Ihnen den je zurückgäbe."

Es war ein peinliches Gespräch, und mein neuer Lackschuh stöhnte verzweifelt. Aber wir haben nicht umsonst unsre gutmütigen braunen Augen. Wir waren selbst bodenlos leichtsinnig also räumen wir andern das gleiche Recht ein. Der kleine ver­bitterte Kerl mochte das auch fühlen, und endlich schlug ich ihn breit, schleppte ihn in eine Pschorr- ecke. Da gestand er mir: daß er seit zwei Tagen fast nichts gegessen habe und Fleischer- und Bäckerläden umschliche wie ein Raubtier. Armes Luder! Er log nicht. Das sah ich, wie er sich auf das Filet­beefsteak stürzte. Es giebt wirklich noch Kontraste. Meine glänzende Uniform und sein Plebejerhunger... Dabei gefiel mir diese Ehrlichkeit, die selbst in dem Heißhunger lag. War der kleine Kerl nicht aus besserem Stoffe, als ich, der Wohlthätigkeitswallungen heuchelte und vom Ruin nur wenige Pferdelängen entfernter war, als er. Das gewisse Gleichheits­gefühl mag mich wohl noch bestimmt haben, ihn doch insMonopol" zu schleppen.

Wie die Gesellschaft war? Selbstverständlich reizend! Alles vornehm, reich mit einer Ehre, so blendend weiß, wie das Plastron. Die eine Hälfte vom Kommiß mit dem verbrannten Nacken und der weißen Stirn, die andre Regierung und embryonische Botschafter, fade, etwas müde auch ein paar scharfäugige Streber darunter. Heutzutage kommt man damit weit! Dieser Speisesaal mit den kleinen, glänzend gedeckten Tischchen, den Blumen­arrangements, den lautlosen Kellnern ist elegant, aber nicht exklusiv. Wir hatten eine gemütliche Ecke erwischt. Der eiskalte Sekt perlte in ganz diskreten kleinen Bläschen die beschlagenen Kelche empor, der Lachs leuchtete in Hellem Rosa, und die Kapelle draußen spielte die melodisch-pikante Ma­zurkaLa Czarine". Die Offiziere essen mit Appetit

sie haben ihn vom Tempelhofer Felde mitgebracht

die Streber würgen mit Zielbewußtsein; bis zum musikalischen Botschafter ist's weit, und da braucht man Kräfte. Die Blasierten stochern, schieben die Teller resigniert zurück: direkte Abneigung gegen den Fraß. Natürlich giebt der Schlaf bis zwei Uhr nachmittags keinen Wolfshunger. Ich selbst habe mich imPschorr" delektiert und bin mäßig. Mir macht das Leben Spaß: die Menschen, die langsam Saal und Tisch füllen alte Mummelgreise, hübsche kleine Mädchen. Man sieht vor Langweile ganz blöde alte Augen, in Lebenslust blitzende junge; um den feinen Kelch mit funkelndem Burgunder liegt zu­weilen eine reizende Mädchenhand geschlossen, zu­weilen ist's eine fleischige, juwelenbedeckte, die be­dächtig nach dem Kompott langt; wenn der alte Kerl am Tische nebenan seine haarige Pranke auf das weiße Tafeltuch legt und die eckigen Finger Reiter­märsche spielen, muß ich mich immer wegdrehem Es ist Leben, es ist Farbe in diesem Bilde, über