7g. Band, vierzigster Jahrgang. Oktober M7—
Preis vierteljährlich 3 M. 50. Mit postaufjchlag 8 M. 78 .
Won znrter Kcrnd.
Roman
Johannes Richard zur Megede. n.
hattest wohl schon Angst, mein liebes Tage- buch, daß du in einer Verlobung dein gottseliges Ende nehmen würdest! — Nein, keuscher Spiegel meiner Gefühle, das Herz ist noch ganz srei!
Ausgerechnet einen Tag mit den Le Forts zusammengewesen. Dann wurde mir die Sache zu dumm. Graf Carön in der Krone — Mister Le Fort im Nagazer Hos: das ist eine ' Verschiebung der Standesbegriffe zu Gunsten der Hochfinanz, die ich nicht länger als vierundzwanzig Stunden aus- halten kann. Mögen mir diese anglisierten Deutsch-Franzosen gewogen bleiben!
Auf einmal reizte mich nämlich Monte Carlo. Himmel — Engländer — Schwindsüchtige: das ist's, was man die goldene Riviera nennt. Monte Carlo würde ich für ein Paradies halten, wenn ich gewonnen hätte. So nenne ich es kühn ein Halsabschneidernest. Nrrr . . .
Rrrr. . . jawohl, ich höre noch, wie du herunterschnurrst, du alte, häßliche Roulette. Hätte ich dich nie gesehen!
Dann würde ich um sechshundert Mark reicher sein. Mein bares Vermögen beträgt jetzt dreitausend Mark, und wir haben Mai. Wenn sich das weiter so hübsch nach unten abrundet, kenne ich einen, der am ersten Juni keinen Sou mehr hat.
Seit einer Woche befinden sich gräfliche Gnaden in Berlin, das sie mit dem Luxustrain über Frankfurt erreicht haben. Ich kann mich an die Schnellzugbummelei und die zweite Klasse nun einmal nicht gewöhnen. Dann will ich lieber gleich ganz unter den Schlitten: fahre vierte, nachdem man das Händewaschen verlernt hat, oder noch besser, die sagenhafte fünfte, wo man die Beine durchstecken kann und mitlaufen. Das ist Galgenhumor — aber er kommt mir erst beim Schreiben.
Die acht Tage, die mich der „Kaiserhof" beherbergte, waren eitel Frohsinn. Ich fühlte mich doch mal wieder Mensch, als ich am Potsdamer Bahnhof ausstieg. Man drückt das Monocle fester, näselt dem Taxameter zu: „Kaiserhos" — und gondelt, so recht blasiert in die rechte Droschkenecke
gelümmelt, los. Die fünf Schritte bis zum Hotel ginge man doch beileibe nicht zu Fuß, obgleich's viel interessanter ist die Leipzigerstraße 'runter. Am Portal stürzt der Portier sofort höchstselbst an den Schlag: „Unterthänigster Diener, Herr Graf — das große Balkonzimmer ist gerade heute vormittag srei geworden. Befehlen der Herr Gras sofort ein Bad, oder erst später?" — Der Mensch, an dem täglich trinkgeldgebend die bunteste Auswahl von Löte llumaioe vorüberflutet, kennt nach fast einem halben Jahre noch alle meine Eigentümlichkeiten ganz genau.
Eleonore Duje und Marion tenbach.
Ich muß doch recht gedächtnisstärkende Trinkgelder gegeben haben. Gleichgültig. Angenehm ist's doch, wenn im Vestibül noch so ein Dutzend minderwertiger Menschen steht, die der Portier absolut nicht beachtet, solange er mit dem Herrn Grafen spricht, und die das auch ganz in der Ordnung finden. Es
! geht doch nichts über die Standesunterschiede! Das Abendessen nehme ich aus dem Zimmer. Es kostet einige Märker mehr, und mir schmeckt's scheußlich, wenn ich mutterseelenallein ein ellenlanges Menü hinunterwürgen soll — aber ein Graf Carön ißt eben nicht mit der Allgemeinheit, und wenn er dabei verhungern sollte.
Zu guter Letzt wurden der Herr Gras müde. Seine Kauwerkzeuge von der öden Beschäftigung wirklich, seine Vergnügungssucht aber keineswegs. Aber heute sind wir stark. Wir entlassen den Kellner mit einer leichten Bewegung der russischen Zigarette — lassen uns „Gute Nacht" wünschen. Denn wir wissen ganz genau, was so eine erste verbummelte Berliner Nacht im Rausche des Wiedersehens kosten würde; was vom Hundertmarkschein noch übrig bleibt, ist bestenfalls gerade noch für die Nachtdroschke — und wir müssen sparen.
Ich langweile mich noch ein bißchen im Zimmer 'rum, packe aus und freue mich über die beginnenden Symptome von Charakter. Dann geh' ich wirklich zu Bett.
Am andern Tage faßte mich urplötzlich der preußische Uniformtik. Lächerlich! — Der Diplomatensrack ist doch neben jedem Gardeducorps noch exklusiver. Ich mache fürs Bezirkskommando Toilette. Beiukleidsalte tadellos — der Stegknopf muß etwas klappen, der gerade Stahlsporn kaum hörbar klirren. Die Mode wechselt da von heute bis morgen. Wie ich die Ulanka zuknöpse, freue ich mich über die schlanke Taille. Die Tschapka wippt graziös aus einer Kopfecke. Trotz des Landwehrkreuzes am Gardestern nicht die Spur von Reserve oder Generalstab — beide haben immer was Eckiges, — sondern sechster Garde-Ulan vom Scheitel bis zur Sohle! Noch ein bewundernder Blick in den Spiegel, die linke Schnurrbartecke etwas höher hinaus, die Säbelscheide etwas lodderiger angefaßt. Elektrischer Knopf — „Droschke" — stramm stehender Portier — Wagenfahrt in den äußersten Osten. Wenn dich alle Welt so hübsch findet, lieber Louis, wie du dich damals fandest, so bist du die männliche Krone der Schöpfung. In dem alten, verräucherten Bezirkskommando I das übliche Sporenklirren bei der Meldung, ein bürgerlicher Bezirksosfizier, der angesichts der Uniform und des Namens fünf Minuten nicht weiß, wer Vorgesetzter ist: er oder ich. Kurze
1898 (Bd. 79).
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