Heft 
(1987) 44
Seite
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diese Quellen nicht suchen hilft, weil psychologische Spitzfindigkeiten ihn von der Beobachtung des wirklichen Lebens abkehren." (S. 158) Sollte dies nicht zuletzt ein Appell an Fontane gewesen sein, der sich offenbar verunsichert durch das zwiespältige Echo aufL'Adultera" (1880, bziehungsweise 1882), seinen ersten, nur von Schlenther in gemäfjer Weise gewürdigten Berliner Roman, von diesem Feld seither ferngehalten hatte? Ihm waren, weniger zwiespältig, aber auch kühler aufgenommen,Graf Petöfy", das Scherenberg- Buch,Schach von Wuthenow" undUnterm Birnbaum" gefolgt;Irrungen, Wirrungen", womit Fontane seit spätestens Ende 1882 befaßt war, hatte er immer wieder vor sich hergeschoben. Die enthusiastische Aufnahme, die Irrungen, Wirrungen" dann bei der jungen Kritik fand, war vermutlich durch die Genugtuung verstärkt, Fontane wieder und in neuer Intensität auf dem Wege zu sehen, der nach ihrer Überzeugung zu seinem Eigentlichen führte. Die dichte Darstellung, die Jürgen Jahn im Anhang der Aufbau-Ausgabe des Romans von dessen Wirkung gibt, läßt das bei allen Nuancierungen einheit­liche Auftreten der Kritik aus dem Umkreis derZwanglosen" erkennen, an ihrer Spitze der von Stephany unterstützte Schlenther in derVossischen" und Brahm in derFrankfurter Zeitung": ein Jahr später folgten ihr in über­greifenden Zusammenhängen Guido Weif) sowie Maximilian Harden in seiner Geburtstagswürdigung fürDie Nation", die hochangesehene und anspruchs­volle Wochenschrift der 1880 aus der Nationalliberalen Partei ausgeschiedenen linksbürgerlichenLiberalen Sezession". Trotz der Freude, von der Jugend auf den Schild erhoben worden zu sein, schien für Fontane die Zustimmung des Altersgenossen Weif) zu seiner literarischen Entwicklung fast noch mehr zu zählen: der Beifall der Jungen blieb gleichsam unberechenbar. In dieser Tendenz erinnert sein Brief an Weif} an die ähnlich bewegten Zeilen an Ludwig Pietsch vom 23. 12. 1885, Dank für dessen Rejension vonUnterm Birnbaum", die Fontane alsbeschämend freundlich" empfunden hatte/ ,() Was den Dichter an den wenigen Sätzen von Weif) zuIrrungen, Wirrungen" besonders an­rühren mußte, war die lebendig nachempfundene Würdigung der Lebens­echtheit Lenes gerade diese Partie hebt ja bis in die Diktion hinein die Kritik von 1874 auf, Fontanes Darstellung fehle die charakteristische Atmo­sphäre und das individuelle Detail, ferner die Selbstverständlichkeit, mit welcher der alte Demokrat ohne jegliche irritierende Erinnerung an die voraufgegangenen ungemäßen Debatten Fontaneskleine Demokratin" 41 als reine Frauenfigur" heraushebt und gerade von hier aus ihm seine gestalte­rische Kraft bestätigt. Erfreut hat Fontane gewiß auch dieWeisheit", in der sein Kritiker die in den zeitgenössischen Rezensionen unbeachtet gebliebene zentrale Rolle erkannt hatte, die das populäre vormärzliche LiedDenkst du daran, ich danke dir mein Leben" für die Struktur des Romans spielt.

Man kann es sich versagen, Vermutungen anzustellen, ob Weiß in persönlichen Beziehungen nicht nur zu Stephany, sondern auch zu den jungen Kritikern der Vossischen" und derFrankfurter Zeitung" gestanden hat. (Daß Siegmund Schott zu einem Kreis junger Journalisten um Weiß gehörte, in dem offenbar gern und mit Achtung Fontanes gedacht wurde, hat dieser selbst berichtet.) Wichtiger ist der unübersehbare Grundkonsens, der auch in der Literaturkritik demokratischer und linksliberaler Blätter deutlich wird: Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung" waren ja auch solche vorzüglichen Fontane-Kritiker

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