diese Quellen nicht suchen hilft, weil psychologische Spitzfindigkeiten ihn von der Beobachtung des wirklichen Lebens abkehren." (S. 158) Sollte dies nicht zuletzt ein Appell an Fontane gewesen sein, der sich offenbar verunsichert durch das zwiespältige Echo auf „L'Adultera" (1880, bziehungsweise 1882), seinen ersten, nur von Schlenther in gemäfjer Weise gewürdigten Berliner Roman, von diesem Feld seither ferngehalten hatte? Ihm waren, weniger zwiespältig, aber auch kühler aufgenommen, „Graf Petöfy", das Scherenberg- Buch, „Schach von Wuthenow" und „Unterm Birnbaum" gefolgt; „Irrungen, Wirrungen", womit Fontane seit spätestens Ende 1882 befaßt war, hatte er immer wieder vor sich hergeschoben. Die enthusiastische Aufnahme, die „Irrungen, Wirrungen" dann bei der jungen Kritik fand, war vermutlich durch die Genugtuung verstärkt, Fontane wieder und in neuer Intensität auf dem Wege zu sehen, der nach ihrer Überzeugung zu seinem Eigentlichen führte. Die dichte Darstellung, die Jürgen Jahn im Anhang der Aufbau-Ausgabe des Romans von dessen Wirkung gibt, läßt das bei allen Nuancierungen einheitliche Auftreten der Kritik aus dem Umkreis der „Zwanglosen" erkennen, an ihrer Spitze der von Stephany unterstützte Schlenther in der „Vossischen" und Brahm in der „Frankfurter Zeitung": ein Jahr später folgten ihr in übergreifenden Zusammenhängen Guido Weif) sowie Maximilian Harden in seiner Geburtstagswürdigung für „Die Nation", die hochangesehene und anspruchsvolle Wochenschrift der 1880 aus der Nationalliberalen Partei ausgeschiedenen linksbürgerlichen „Liberalen Sezession". Trotz der Freude, von der Jugend auf den Schild erhoben worden zu sein, schien für Fontane die Zustimmung des Altersgenossen Weif) zu seiner literarischen Entwicklung fast noch mehr zu zählen: der Beifall der Jungen blieb gleichsam unberechenbar. In dieser Tendenz erinnert sein Brief an Weif} an die ähnlich bewegten Zeilen an Ludwig Pietsch vom 23. 12. 1885, Dank für dessen Rejension von „Unterm Birnbaum", die Fontane als „beschämend freundlich" empfunden hatte/ ,() Was den Dichter an den wenigen Sätzen von Weif) zu „Irrungen, Wirrungen" besonders anrühren mußte, war die lebendig nachempfundene Würdigung der Lebensechtheit Lenes — gerade diese Partie hebt ja bis in die Diktion hinein die Kritik von 1874 auf, Fontanes Darstellung fehle die charakteristische Atmosphäre und das individuelle Detail —, ferner die Selbstverständlichkeit, mit welcher der alte Demokrat ohne jegliche irritierende Erinnerung an die voraufgegangenen ungemäßen Debatten Fontanes „kleine Demokratin" 41 als „reine Frauenfigur" heraushebt und gerade von hier aus ihm seine gestalterische Kraft bestätigt. Erfreut hat Fontane gewiß auch die „Weisheit", in der sein Kritiker die in den zeitgenössischen Rezensionen unbeachtet gebliebene zentrale Rolle erkannt hatte, die das populäre vormärzliche Lied „Denkst du daran, ich danke dir mein Leben" für die Struktur des Romans spielt.
Man kann es sich versagen, Vermutungen anzustellen, ob Weiß in persönlichen Beziehungen nicht nur zu Stephany, sondern auch zu den jungen Kritikern der „Vossischen" und der „Frankfurter Zeitung" gestanden hat. (Daß Siegmund Schott zu einem Kreis junger Journalisten um Weiß gehörte, in dem offenbar gern und mit Achtung Fontanes gedacht wurde, hat dieser selbst berichtet.) Wichtiger ist der unübersehbare Grundkonsens, der auch in der Literaturkritik demokratischer und linksliberaler Blätter deutlich wird: Mitarbeiter der „Frankfurter Zeitung" waren ja auch solche vorzüglichen Fontane-Kritiker
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