Heft 
(1987) 44
Seite
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Die Widerspiegelungs- und Rezeptionsproblematik, die aus diesem Lösungs- ansatz erwächst, ist gerade in unserem Kontext deutlich zu erkennen. Sie prägt sich aus in der Schwierigkeit eines adäquaten Verständnisses der Autorenpositionen, die sich in Weiß' Sicht Fontanes als .unabhängig konser­vativ' so sehr sie dessen Selbstverständnis 1889 auch noch entsprechen mochte ebenso ausdrückt wie in Mehrings nur zwei Jahre später folgender Verurteilung vonIrrungen, Wirrungen" als Musterbeispiele einerPoesie des Kapitalismus". Solche eigenümliche weltanschaulich-ästhetische Modellierung der Wirklichkeit schafft die Notwendigkeit einer komplexen Analyse aller Wirklichkeitsbezüge und Wirkungsaspekte eines Werkes, soll die Position des Autors genau erfaßt werden, wobei ein Abweichen von seinen Selbstdeutungen kein Gegenbeweis zu sein braucht Ein tieferes Verständnis setzt den Verzicht auf die kurzschlüssige Verknüpfung von Menschenbild, sozialer Stellung und Funktion der Figuren und die unreflektierte Hinnahme ihrer Bewertung durch den Autor geradezu voraus: daß an dieser Problematik besonders jene Zeit­genossen, die nach der Möglichkeit direkter Indentifikation und eindeutiger Kunstwirkung suchten, so oft scheiterten wie die zeitgenössischen Fontane-, Raabe- und auch Storm-Rezeption belegt, ist angesichts der Objektivität der zugrundeliegenden Problematik kein Zufall.

Die systematische Untersuchung solcher ästhetisch-literarischer Phänomene in ihren gesellschaftlichen Voraussetzungen kann dazu beitragen, die Proble­matik des kritischen Realismus im deutschen 19. Jahrhundert tiefer zu begründen, sie auch als spezifischen Ausdruck jener geschichtlichen Übergangs­situation zu verstehen, die sich in der sozialen und politischen Stellung der bürgerlichen Demokratie dieser Zeit manifestiert. Wo sich wie hier historisch­biographische Kontakte und literaturgesellschaftliche Beziehungen zwischen beiden Formen des geschichtlichen Prozesses darbieten, sollten sie künftig stärker auf ihre Aussagekraft befragt werden.

IV Dokumente

1. Guido Weiß: Ein altpreußischer Demokrat. Gesammelte Novellen und Briefe aus Italien von Franz Ziegler. 3 Bde. Berlin: Franz Duncker (1872). (...)

Inzwischen ist uns neben diesem persönlich politischen auch das literarische Bild erwachsen. Novellen und Skizzen, die in den Fünfziger und Sechziger Jahren in den Feuilletons liberaler Blätter veröffentlicht worden waren, sind 1872 gesammelt in drei Bänden bei Fr. Ducker erschienen und sollen, wie schon erwähnt, nun in neuer Auflage erscheinen. Sie haben, wie uns scheint, in der ersten Ausgabe nicht die Würdigung gefunden, die ihnen allein gerecht wird, man hat sie abstract belletristisch behandelt und von diesem Stand­punkte aus unter das achtbare Mittelgut verwiesen. Oder man wußte recht wohl, von welchem Ende aus sie anzufassen wären, hat sich aber gehütet, das zu thun oder auch nur zu sagen. Das Letztere möchten wir besonders jener jetzt das große Wort führenden, durch Rückversicherung wohlbewahrten Kritik zum Vorwurf machen, die, so wenig sie es Wort haben will, wesentlich Parteikritik, und zwar nationalliberale, ist. Denn, wie in der Politik, findet

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