O Willibald, o Fontane, o Hesekiel! rufe ich nun auch wie der alte Superintendent, o wer nur Zeit gehabt hätte! über diese abscheulichen Geschäfte!" Nun, er hat zwar Unrecht mit Hesekiel und Fontane, denn mögen sie in der Mark geboren sein und märkisch Land gefeiert haben in Vers wie in Prosa; ihrer Dichtung fehlt der Kiengeruch, ihrem dichterischen Wesen das Knorrige, das zusammen zum Dichter der Mark gehört. Und in die Lücke, die wir so gemacht haben, mag getrost unser Poet von seinem bescheidenen „Rohrsperling" aufwärts einrücken.
Ganz wohlbedacht haben als Merkzeichen ächt märkischer Poesie den Kiengeruch genannt. Denn wenn die viel mißbrauchte Symbolisierung von Land und Leuten durch ihren heimischen Pflanzenwuchs irgendwo ohne allzu gewaltsame Anstrengung der Phantasie angebracht ist, so in dem märkischen Wesen der Kiefer. Wie der knorrige Baum, einsam auf dürftiger Scholle entsprossen, mit unverdrossenster Zähigkeit die Wurzeln senkt und windet um das Gestein und durch den öden Sand bis zur Wasserader hin, oder sie weitaus an der Fläche breitet, um doch des Regens und Thaues teilhaftig zu werden, wie er die Äste deht und in scharfen Winkeln absetzt, als müsse er sich auch durcharbeiten zu spärlichen Strichen des Windes und der Sonne, und wie er dann so ganz und voll das Bild der aus bitterster Nothwendigkeit erwachsenen freiesten Individualität gewährt, die von gefällig harmonischer Schönheit nichts hat, aber dem Männerauge wohlthut; wie aber auch der Baum, in der Genossenschaft der Haide erwachsen, in scharfer Zucht aufwärts geht und gute Fühlung mit den Nachbarn hält: so ist er ein gutes Abbild märkischen Wesens. Und wenn vorher neben Ziegler nur Wilibald Alexis genannt war als Dichter dieses Typus, so hätte in erster Reihe Heinrichs von Kleist gedacht werden müssen und des ganz specifischen Zuges, in welchem er das Problem der Freiheit und Unterordnung im Kohlhaas wie im Homburger Prinzen behandelte. Dieser specifische Zug ist dem Märker aber auch eigen als Politiker. Er mag, auf dem Wege seiner persönlichen Entwicklung und Erfahrung, recht oppositionell, er mag Demokrat geworden sein, aber er nimmt's mit der Freiheit, die er verlangt, gewaltig stramm. Die Frage, ob Republik oder Monarchie, läßt ihn ziemlich kalt, jedenfalls würde er dem Präsidenten seiner Republik ein gut Stück persönlicher Machtbefugniß geben und von der vielköpfigen Republik oder gar der directen Gesetzgebung durch das Volk hat er sicherlich keine guten Begriffe. Der scharf gegliederte Staat, wie er ihn selber aus der Mark Brandenburg entstanden und hervorgewachsen weiß, ist und bleibt sein Vorbild, die Decentralisierung flößt ihm Mißtrauen ein und an der Selbstverwaltung glaubt er keine guten Erfahrungen gemacht zu haben. Der Staat der Manchesterlehre' 1 ' 1 ist ihm ein Greuel, es soll von oben her ordentlich bis in Gemeinde und Haus eingegriffen werden, seine Vaterlandsliebe findet in streiger Zucht ihren besten Boden. Die Macht und Kraft des Staates ist ihm Herzenssache — darum hat ihm auch die Kernfrage der letzten Jahrzehnte deutscher Geschichte, der Wettstreit um Einheit oder Freiheit, niemals groß Kopfzerbrechens gemacht —, die Freiheit hat, als Abstraction, nur Sitz in seinem Kopfe. Es war ein ächtes Stück altpreußischer Demokratie, als Waldeck den um ihre gute Verfassung besorgten Kurhessen 45 1866 das eifernde Wort hinwarf: ,Nun kommen uns die Leute mit ihren Verfassungen und solchen Dingen' und in derselben Rede herzlicher Freude darüber voll war, daß nun
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