Heft 
(1987) 44
Seite
633
Einzelbild herunterladen

trug seit alten Zeiten den Spottnamen der Sandbüchse des Heiligen Römischen Reiches, und ein Sinn für die feinere melancholische Schönheit märkischer Seen und Wälder war damals, wo man ja nur wenige Jahrzehnte vorher erst angefangen hatte, an derwilden und erschröcklichen Schweiz" das Erhabene zu empfinden, noch nirgends aufgegangen. Von der Erkenntniß aber, daß aus der Natur eines Landes der Charakter seiner Bevölkerung hervorgeht und deren Geschichte, und dafj aus diesen beiden eine eigenartige Literatur sich aufbaut, schlummerte derzeit vielleicht nur in Herder's Geist ein Keim, auf­gegangen ist er erst in den Jahren des deutschen Unglücks.

Anders heute. Wer jetzt von einer märkischen Poesie spricht, der will damit das Herausgewachsensein aus einem bestimmten Boden bezeichnen, nicht nur den Geburts- oder Wohnort des Dichters, nicht nur das aus der Geschichte oder der Sitte des Landestheils hergenommene Thema, sondern zu alledem noch eine besondere Behandlung, einen eigenthümlichen Ton, der zusammenklingt mit der Stimmung der Landschaft, mit der Art der Menschen und ihres Ver­kehrs je nachdem die Dichtung eine lyrische oder epische ist. Kann der Dialekt dabei zu Hilfe genommen werden, so ist die Wirkung leichter, aber auch oberflächlicher erreicht, reiner empfunden und für den des Idiomes Un­kundigen klarer wird jedenfalls die Dichtung in der Schriftsprache sein.

Nach diesem Maße urtheilend, wird man in Heinrich von Kleist den ersten märkischen Dichter anzusprechen haben. In der Hermannschlacht, in dem Auf­ruf der Germania 50 athmet eine zähe, fast phlegmatische Verbissenheit, in der der Märker seine Kämpfe, sei es des Krieges, sei es des Friedens, durchficht; man hört von ferne bereits den eintönigen Dreschertakt, in dem wenige Jahre nachher märkische Gewehrkolben am Tage von Hagelberg 51 die französischen Quarre's zerschlagen werden. Im Prinzen von Homburg aber, dem hohen Liede der Manneszucht, tritt derKurbrandenburger" leibhaft auf die Bühne. Nicht nur in dem alten Kottwitz, in dem bereits der künftige Blücher sich regt, gottesfürchtig und dreist", wie das Sprichwort vom Märker sagt, im weißen Haare ein Tollkopf; sondern auch in dem ihn umgebenden Kreise der Offi­ziere, die in aller Erregung des äußern Kampfes wie des innern Konfliktes wortkarg bleiben, nur in einem frommen Fluche vielleicht aufzuckend. Wftte endlich Kohlhasen's hier zu vergessen, den der Dichter aus einem dürren, historischen Namen zu einer lebensvollen, tragischen Figur herausgearbeitet hat, die aus märkischem Boden erwachsen, in dem auf die Form trotzenden starren Rechtsgefühl ebenfalls den Stempel des Volksstammes tiefgeprägt trägt?

Spricht schon im Prinzen von Homburg aus Natalien's Munde eine Prophe­zeiung von der künftigen Größe des brandenburgischen Hauses und Landes eine kühne Prophezeiung, geschrieben nach Jena und vor Leipzig: so tritt dieser Drang nach Höherem noch weit stärker, ja beherrschend hervor in Wili- bald Alexis. Man hat jüngst in Berlin eine Strafje nach ihm benannt und damit die Schuld einer Dankbarkeit, die nicht blos der Hauptstadt oblag, abzutragen begonnen. Denn er war der eigentliche rechte Schöpfer der Legende von der deutschen Mission Preußens". Man stoße sich an den AusdruckLegende" nicht. Denn der Gedanken, daß Preußen dazu berufen ist, den Kern eines einheitlichen Deutschlands zu bilden, mag hier und da in den Köpfen von Geschichtsphilosophen aufgeblitzt sein, er mag nach 1815 als Furchtgebilde

633