gewissem Sinne von Berlin ausgingen) und namentlich auch durch unsere glänzende städtische Entwicklung mühsam gewonnene Besserstellung wieder einzubüßen. Im Grunde der deutschen Volksseele ruht gegen uns immer noch die frühere Abneigung und wir sollten uns hüten, durch die beständige, von der Bühne her abgegebene Versicherung, „ dal) es mit uns was ganz Besondres sei", was doch keineswegs der Fall ist, den alten Groll wieder wachzurufen. 58
Recht aber hat der Mann und er erfüllt muthig eine Pflicht, indem er das sagt.
Quelle: Frankfurter Zeitung vom 20. 6. 1889
4. Fontane an Guido Weif} Hochgeehrter Herr Doktor.
Berlin, 14. August 1889
Der Empfang Ihres Briefes, wie der gleichzeitig eintreffenden Zeitung, war mir eine große Freude. Haben Sie herzlichen Dank für jedes Wort. Daß es so ist, wie es ist, ist gerade das Beste und mir Wohltuendste. Wenn man so mit Lob eingekocht vor sich steht, wie Aal in Aspik, und es bibbert alles nur so, jeden Augenblick bereit zu zerfließen, wird mir immer himmelangst, und das Vergnügen ist nicht groß; so viel aber, so literaturhistorisch ruhig seinen Platz (und welchen Platz!) angewiesen zu erhalten, das tut unendlich wohl. Unendlich wohl tut es überhaupt, ganz abgesehen von der eigenen werten Person — einer Entäußerung, deren ich fähig bin —, dergleichen zu lesen. Überall ein Drüberstehen, eine erquickliche Selbständigkeit der Anschauung (die selbst das Parteiprogramm längst siegreich überwunden hat) und als Resultat davon die Gerechtigkeit gegen Freund und Feind, der wirkliche historische Sinn, die Fähigkeit, alle diese Strebungen hüben und drüben zu begreifen. Mit einem Wort: die Reife, die so wenige haben. Wenn ich mir da meine jungen Freunde ansehe, die Brahm, die Schienther und andre, von denen ich außerordentlich eingenommen bin, und zwar nicht bloß redensart- lich, sondern wirklich, aber — eines haben sie nicht: die Reife. Wie könnten sie sonst so ibsensch sein. Ich bin auch scharf Ibsenianer, aber Ibsenianer mit 70, die anderen mit 35 und — unverheiratet. Daher das Eingehen auf den Ibsenschen Eheblödsinn.
Ich muß doch noch etwas mehr schreiben, selbst bei der Gewißheit, auf den 2. Bogen hinüber zu müssen. Aber man ist so selten in der Lage — und ich spreche damit gewiß nur aus, was Sie selbst ein lebelang schmerzlich empfunden haben werden —, man ist so selten in der Lage, mal zu einem Manne, ja ich muß das Wort wiederholen, von ,Reife', von Erkenntnis, von historischem Sinn sprechen zu dürfen. Unser Lebens- und namentlich unser Gesellschaftsweg ist ja mit Quatschköpfen gepflastert. Die meisten — unglaubliches Resultat unserer höheren Geheimratsbildung — wissen gar nichts, wissen nicht, wo der Tanganjika-See liegt (dafür verzapfen sie ein paar alte Hegelsche Phrasen), wissen zwischen Scheffel und Wolff nicht zu unterscheiden und halten Stände für einen bedeutenden Schriftsteller, weil ihm der „Fürst" — zu dessen schwärmerischen Verehrern ich trotz alledem und alledem, sogar trotz Geffcken-Prozeß, gehöre — einen schmeichelhaften Brief geschrieben hat.
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