profitiert. Dies geschieht unter kommunikativen Bedingungen, die noch durch ein selbstverständliches Ineinandergreifen - nicht Konkurrieren - von oralen und drucktechnischen Vermittlungsweisen gekennzeichnet sind. Allerdings stellt das Vorlesen im „Tunnel" und bei Hofe, wo seine Arbeiten später lanciert und lebhaft begrüßt wurden, das hauptsächliche Verfahren dar. Dem anonymen zahlenden Publikum gegenüber waren die Veranstaltungen berufsmäßiger reisender Rezitatoren oder „Rhetoren", wie sie sich nannten, das nebensächliche Medium, obwohl sie besucht waren und den Absatz förderten. Sich dem regelmäßigen Arbeitseinkommen zuliebe auf einen Posten im literarischen Betrieb zu verfügen, zeigt der Dichter Scherenberg weder Neigung noch Fähigkeit. Aber er etabliert sich allmählich auf dem Markt; im Nachmärz wird er dort zu einer gesuchten Größe, die kein Geringerer als Franz Duncker dem ersten Verleger abjagt. Auch sonst ebnen die Gefährten aus dem „Tunnel" Scherenberg die Wege, auf denen Fontane ihn verfolgt. Man erinnert sich: Der vereinsförmig institutionalisierte literarische Verkehr, der von Angehörigen der besseren und besten Kreise in der preußischen Haupt- und Residenzstadt gepflegt wurde, schloß zwar die Öffentlichkeit aus, und ein konservatives Poesieverständnis hatte die Oberhand, das bis in die Gattungspräferenzen bemerkbar war und einer pekuniären Verwertung eigentlich zuwiderlief. Praktisch jedoch drängten die „Tunnel"-Autoren in den Buchhandel, in die Presse und auf die Bühne.
Von diesem Widerspruch, in dem sich der historische Typenwandel literarischer Kommunikation durchsetzt, nimmt Fontane hier keine Notiz. Er achtet auf die Neuauflagen und Honorare, die sich Mitte der fünfziger Jahre auf „1000 Taler und mehr" summieren — und das ist, „vom damaligen Poetenstandpunkt aus angesehen, ziemlich beträchtlich" 6 . Die Einkünfte aus dieser Quelle versetzen den genügsamen Scherenberg jedoch zu keiner Zeit in eine auskömmliche Lage. Er bleibt auf «Zuwendungen angewiesen, die ihm durch die Inanspruchnahme monarchischen Mäzenatentums zufließen. Anfänglich bezieht er aus einer Art kärglicher Sinekure im Kriegsministerium 20 Taler pro Monat. Später sind es dann Ehrensolde sowie Pensionen von jährlich 300 Talern und mehr, die sich ebenfalls ablösen und summieren und ihn im Alter der materiellen Sorgen entheben.
Kein Zweifel, daß der Biograph Fontane, dem solche Mitteilungen zu verdanken sind (und der mit seinem Helden durch mehr verbunden ist als er ausspricht), sich auf die sozialen, ökonomischen und kommunikativen Bedingungen der damaligen Schriftstellerexistenz verstanden hat. Er ist sich auch über die Strukturiertheit namentlich jener engeren Öffentlichkeit im klaren, in der Scherenberg durchgesetzt wird; sie unterscheidet sich vom großen Publikum, das er zeitweilig erreicht, besonders durch ihre gesellschaftliche Kohärenz.
Wenn man die Perspektive wechselt und wie Fontane statt des Vorfindlichen mehr das Bewirkte ins Auge faßt, dann ist es eine Öffentlichkeit, die sich um und für diesen Autor herausbildet. Sie konstituiert und unterscheidet sich auf Grund des Interesses, das sie an ihn nimmt. In sich ist es keineswegs einheitlich. Das Interesse am Poetischen, das der „Tunnel" und sein Anhang entwickeln, gerät rasch ins Hintertreffen, während sich ein martialisches Spezialinteresse für die historischen Schlachten-Epen geltend macht, die
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