Scherenberg zu seiner Spezialität erhebt, und schließlich das Interesse an ihrem politischen Gebrauchswert die Oberhand gewinnt. Mit „Ligny" erwirbt er sich Beifall „in Offizierskreisen" und — ein Unikum — in der militärischen Fachpresse. „Waterloo", im Herbst des Revolutionsjahres 1848 „oben in Sanssouci, in den Zimmern Friedrichs des Großen" 7 der königlichen Familie vorgelesen, bringt den Durchbruch. Friedrich Wilhelm IV. läßt es drucken und schenkt dem Verfasser die ganze Auflage, die sofort vergriffen ist und „weiteste Kreise (. . .) mit einem Enthusiasmus erfüllte, wie wir ihn sonst nur angesichts der Schaubühne zu sehen gewohnt sind." 8 Den „Haupterfolg aber errang es (. ..) abermals in der Oberschicht der Gesellschaft, wo man sich der Dichtung nicht bloß als solcher freute, sondern sehr bald auch erkannte, daß sie zur Wiederbelebung des patriotischen Sinnes praktisch-politisch verwendet werden könne." 9
Fontane war sich bewußt, daß die Beziehungen einer Öffentlichkeit zu einem Werk oder einem Oeuvre in den Rezeptionsweisen kristallisieren, denen es unterworfen wird; es wäre im einzelnen zu untersuchen, wieweit sich diese Einsicht auch sonst urteilsbildend und verhaltensorientierend auf ihn ausgewirkt hat. Für Scherenbergs Epen aus der preußischen Kriegsgeschichte vermerkt er, daß durch sie vorwiegend eine gesellschaftliche Rezeptionsweise aktiviert wird, die sich mit seinem Dichtungsbegriff keineswegs verträgt. Sie läuft auf eine Instrumentalisierung des Kunstwerks für private oder politische Zwecke hinaus. Das ist auch nicht mit seinem Bild von Scherenberg vereinbar, so daß er ihn geradezu gegen den unangemessenen Umgang mit seinen poetischen Produkten in Schutz nimmt — ohne deshalb einen Erfolg zu bemängeln, der größtenteils auf diesen Umgang zurückzuführen ist. Fontane streicht das Dichtertum an Scherenberg als fundamentale Eigenschaft der Person ebenso heraus wie an seinem Werk, gegen das er die größten Vorbehalte hatte, die Eigenschaft genuiner Dichtung.
Auffällig ist nicht so sehr sein Beharren auf dem Autonomiestatus von Dichtung und Dichter als vielmehr die Nutzanwendung auf ihr Verhältnis zur Politik. Von Nebeneffekten abgesehen arbeitet er darauf hin, Scherenberg, dem „wie jedem Dichter", seine Dichtungen, nicht aber politische Streit- und Parteifragen'am Herzen lagen" 10 , vom Odium eines mehr oder weniger opportunistischen politischen Parteigängers der preußischen Reaktion zu reinigen, das ihm anhaftete. Er ruft die Stimmen von Robert Prutz, Gottfried Kinkel und Franz Düncker an, die von einer Abstempelung Scherenbergs zum „Dichter der Reaktion" 11 und seiner Werke als „Parteidichtungen" 12 nichts wissen wollten und hier erwähnenswert sind, weil sie seiner Meinung nach den Poeten für jene andere, dichtungsadäquate Rezeptionsweise reklamieren, die Fontane auch beim größeren Publikum voraussetzt. Symptomatisch seine Feststellung: „Alle diejenigen (.. .), die ,Waterloo' ausschließlich als Dichtung würdigten, gehörten sonderbarerweise mehr dem liberalen als dem altpreußisch-militärischen Lager an." 13 Und unverkennbar seine Geneigtheit, den Dichter von der Mitverantwortung für den (wie er es hinstellt) Mißbrauch seiner Werke loszusprechen. Hierfür sind im Hinblick auf die engen Beziehungen, in die der vom Hofe protegierte Dichter Ende der fünfziger Jahre zu Ferdinand Lassalle und seinem Kreis trat^ Erklärungen recht, die für ein an klare Fronten gewohntes Denken ans Ungeheuerliche grenzen.
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