gewinnen. Dabei subjektiviert sich die Integritätsfrage in erheblichem Maße, sie wird verinnerlicht und auf das geschaffene Werk verlagert. Beim kleinsten Lebensumstand beginnend, reichen diese Abhängigkeiten in weltweite Horizonte hinein. Das ist am deutlichsten zu sehen, wenn die historische Dimension literarischen Lebens aus der Verbindung hervortritt, die Fontane zwischen dem Gang der Zeitgeschichte und einem „allgemeine(n) Geschmacksumschwung '' 13 herstellt, die den Sieg des Realismus und den Niedergang Scherenbergs nach sich zogen.
Für Fontanes Selbstverständnis kommt der Fall Scherenberg in Betracht, soweit der Biograph an seinem Beispiel Probleme schriftstellerischen Verhaltens zur Sprache bringt, die seine eigenen waren. Dies geschieht offen, wo es sich um das Gattungsgebilde einer patriotischen Dichtung handelt, der Scherenbergs Epen zugerechnet werden, und verdeckt, wenn es um den vaterländischen Dichter geht, der sie hervorbringt — zwei Phänomene, die in der neueren Fontane-Forschung keine Rolle spielen, in Fontanes Werdegang jedoch eine Schlüsselstellung einnehmen.
Die Hinweise, die er im Scherenberg-Buch auf die patriotische Dichtung gibt, laufen darauf hinaus, sie als ein legitimes poetisches Geschöpf dem Bastard einer Parteidichtung entgegenzusetzen, die der Reaktion in Preußen verschworen oder hörig ist. Er handhabt diese ebenso diffizile wie grundlegende Unterscheidung nicht ohne Weitherzigkeit. George Hesekiel, der ihm als Tunnelgefährte und Kollege in der Redaktion der Kreuzzeitung näher stand als Scherenberg, wird dem „Schlachten-Epiker" trotz des Haders zwischen ihnen erst einmal an die Seite gestellt: „Beide waren patriotische Dichter, die das Wort ,Preußen' auf ihre Fahnen geschrieben hatten (.. .)". 16 In den Memoiren wird er Hesekiel später mit einer Nuancierung, in der immer noch die hergebrachte Trennung des Prosaisten vom Poeten rumort, zutreffender als den „ersten und unbestritten talentvollsten Romancier der Partei " 17 bezeichnen. Damit ist die Partei der intransigenten Junker gemeint, die sith um die Kreuzzeitung gruppierte und nach ihr benannt wurde. In dieser Gesellschaft erscheint in Person auch der junge Fontane mit seinen „ersten patriotischen Gedichte(n)" 18 , deren Verlag ihm Louis Schneider- und Scherenberg vermitteln.
Von dieser Andeutung abgesehen, läßt der alte Fontane unerwähnt, daß die „Männer und Helden" aus der preußischen Geschichte, die er zuerst besungen hat, nur das Vorspiel zu der umfangreichen und äußerst vielgestaltigen literarischen Produktion waren, mit der er sich lange Jahre der schwarzweißen Preußenfahne unterstellte. In dem Punkt war er, ungeachtet grundlegender Differenzen, objektiv mit Scherenberg verbunden und vergleichbar gewesen. Mithin liegt es beim Leser, den Legitimierungszusammenhang, der bis tief ins Menschlich-Moralische hineinreichend für Scherenberg errichtet wird, auf Fontane anzuwenden oder nicht Für den Fall, daß dem Leser Fontanes literarisch-politische Vergangenheit geläufig war, wurde ihm eine passable Lesart angeboten, ohne im übrigen an Dinge zu rühren, die besser unerwähnt blieben. Nimmt man das als Fontanes Absicht an, so erscheint sein Interesse an Scherenberg, das bisher nicht recht erklärlich war, begründet und sein Verfahren wohlbedacht und folgerecht. Die Unterscheidung einer patriotischen Dichtung von einer reaktionären, und die Unterscheidung des patriotischen
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