belassen, seit er es hinter sich hatte. Der Legitimierungskonflikt, den er im Scherenberg-Buch stellvertretend zu klären dachte, haftete ihm an. Er ist zum Nachteil eines nüchternen und realistischen Fontane-Bilds im Grunde bis heute nicht bewältigt, sondern setzt sich in der Forschung unausgetragen fort. Der Geltungsbereich dieses Konflikts sollte sich sogar noch beträchtlich erweitern, seit auch das Preußentum im allgemeinen radikaler Kritik anheimfiel. Fontane hatte sich im zeitgenössischen Umfeld noch unangefochten und im Prinzip beifallsgewiß auf das preußisch-patriotische Element zurückziehen können, das der vaterländischen Dichtung zugrundegelegt wurde. Seit 1945 spätestens war aus diesem Element eine zusätzliche Belastung geworden. Seitdem liegen biographisch außer den sechziger Jahren auch die beiden ersten Drittel der siebziger Jahre im ideologischen Zwielicht.
III
Ein ganz episodischer Vorgang genügt zur Vergewisserung. In einer autobiographischen Skizze aus dem Jahre 1874 notierte Fontane, alles, was er seit 1849 in Versen und Prosa geschrieben habe, drehe sich „um Märkisch-Preußisches oder Englisch-Schottisches. Ich folgte hier dem Zuge meines Herzens, doch darf ich nicht übersehen, daß dieser Zug auch von außen her, durch Erlebnisse teils persönlicher, teil -allgemeiner Natur, unterstützt wurde. Ich rechne dahin einen mehrjährigen (.. .) Aufenthalt in England, ganz besonders aber die drei glorreiche (n) Kriege von 1864, 66 und 70, die, wie von selbst, auf Ausbildung und Betonung des patriotischen Elements hinwiesen." 37 Der Herausgeber Hans Heinrich Reuter bemerkte in dieser Darstellung Fontanes bekannte Neigung zur Zweckstilisierung und vermutete, er habe sich vielleicht „als konservativ-loyaler preußischer' Patriot noch einmal irgendeiner amtlichen Stelle empfehlen wollen." Hierin und in seiner Bemängelung der Weglassungen, die Fontane vornahm, ist ihm ohne weiteres zu folgen; in der ■Skizze fehlen: „Revolution, Politik und England, Publizistik, Journalistik und Reportage — »Literatur' in jedem auch nur entfernt an liberale oder gar demokratische, westeuropäische Muster erinnernde prosaisch-,kritischen' Sinne." 38 Reuter seinerseits eilt über die propreußischen Positionen hinweg, kaum daß er sie kritisiert hat; sie beschäftigen ihn nur unter dem Gesichtspunkt ihrer Überwindung.
Auch Fontane glaubte, daß man arn Strohhalm sieht, woher der Wind weht. Die patriotische Dominante liegt in den drei großen schriftstellerischen Unternehmungen der Zeitspanne von 1860 bis 1876 offen zutage. Seine anspruchsvollen geschichtlichen Darstellungen der Kriege gegen Dänemark, Österreich und Frankreich und der erste Roman, den er noch im höchsten Alter seinen „vaterländischen" 39 nannte, bleiben darin hinter den „Wanderungen" keineswegs zurück. Wenn man dennoch und trotz der vielen Einzelspuren, die auf ihn hinführen, den vaterländischen Schriftsteller Fontane lange nicht zu Gesicht bekommen hat, dann liegt ein forschungsgeschichtliches Paradoxon vor.
Ohne den wunden Punkt der Fontane-Forschung anzutasten, wird es sich nicht erklären lassen. Oder wo gäbe es sonst den Fall, daß — bei einem wichtigen Autor, einem Mann vergleichbaren Ranges, über den sich eine vergleichbare
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