Flut von Untersuchungen ergossen hat - anderthalb Lebensjahrzehnte lediglich bruchstückhaft und oberflächlich in die Biographie eingegliedert werden? So daß die Detailuntersuchung von den Bearbeitern der großen Werk- und Briefausgaben bestritten werden muß, sich infolgedessen aber auch in deren Rahmen bewegt? Ohne Zweifel waren die Jahre von 1860 bis 1876 für diesen Mann eine Zeit der allerwichtigsten sozialpolitischen, ideologischen, beruflichen Entscheidungen; der fontanesche doppelte Superlativ, der mit „aller" gebildet wird, ist hier ganz am Platze. Wenn diese Entwicklung aufgearbeitet werden soll, wird die Frage nach den Gründen jener „Vermeidungstaktik" nicht zu umgehen sein. Wie es scheint, haben sich darin politische und methodologische Tendenzen überlagert, die nicht von Einzelnen zu verantworten sind. Auch die Verursachungsverhältnisse liegen paradox. Der Kürze wegen sollen sie provisorisch auf zwei Nenner gebracht werden. Die Verdrängung und Vernachlässigung der sechziger und der meisten siebziger Jahre in Fontanes Biographie stellen sich in der Rückschau als der Preis dar, den der Bruch mit dem älteren, regressiv verzerrten Fontane-Bild kostete. Sie waren eine Nebenwirkung der Hinwendung zu dem Vormärzdichter Fontane, dem Preußen- und Sozialkritiker, dem Politiker und Journalisten auch, solange er sich wenigstens innerlich in Konflikten mit den reaktionären Zwängen und Zumutungen nach der verlorenen Revolution abrang.
Mit dieser Generaltendenz, der die bedeutungsvollsten Fortschritte zu verdanken sind, wollte sich der überzeugte Konservative, der nach 1860 aus Fontane wurde, nicht vertragen. Der Mann, der sich damals auch innerlich der Kreuzzeitung anschloß, der seine Vorliebe für die Junker faßte, mit der er sich bis zuletzt auseinandersetzte, und als guter Preuße den Armeen des Landes auf ihren Siegeszügen folgte, ließ sich nicht mehr gegen sich selber in Schutz nehmen, wie der Dichter der Preußenlieder. Es war, wie Helmuth Nürnberger sagte, bevor er seine biographische Darstellung des frühen Fontane mit dem Jahr 1860 abbrach: „Wieder einmal wandelt sich das proteische Erscheinungsbild seiner politischen Existenz, diesmal in einer Weise, die wir heute besonders schwer verstehen. Verse und Prosasätze gelangen zu Papier, die uns für unsere Einschätzung Fontanes im Wege sind. Niemals wieder erklärte Fontane sich in so undifferenzierter Weise als ,Preuße' wie in dieser Zeit.'"' 1 ®
Dabei ist es in der Hauptsache geblieben. Die Folge waren Brückenschläge vom jüngeren zum älteren Fontane, die in dem fraglichen, Verlegenheit bereitenden Zeitraum lediglich die erforderlichen Stützpfeiler setzten. Mit der Erschließung der „Wanderungen" und der Kriegsbücher, die begonnen hat, bahnt sich allerdings ein Wandel an, der zu begründeter Hoffnung Anlaß gibt.
Methodologisch setzte sich in dieser Hilfskonstruktion durch, was Werner Mittenzwei unlängst unter dem Stichwort „Verbrauchte Strukturen" als die Finalstruktur der Biographik seit dem 19. Jahrhundert der Kritik unterzogen hat. Finalstrukturen: „Das'heißt, der Lebenslauf einer großen Persönlichkeit kulminiert im Überwinden innerer und äußerer Schwierigkeiten, verdeutlicht könnte man das mit dem Motto .Durch Nacht zum Licht' sagen. Nun ist es aber so, daß gerade diese Finalität im Grunde eine Fiktion ist, die im tatsächlichen Leben nicht stattfindet, sie ist eine teleologische Konstruktion. Die ■ Gefahren kommen hier sowohl von der Wissenschaftsseite wie von der Kunst-
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