Seite: Wie entkommt man einem teleologischen Gestaltungsprinzip, das auf die Finalstruktur hinausläuft, und wie entkommt man einer Geschichtsschreibung, in der alles so kommen muß, wie es kommt.'"' 11
In Fontanes Fall hat sich diese Finalstruktur, der ein idealistisches Moment innewohnt, in Reuters monumentaler Biographie, die auf die Realisierung des „Eigentlichen" durch ihren Helden hin konzipiert ist, mit ihren Vor- und Nachteilen in einer Konsequenz verkörpert, die nachgerade klassisch zu nennen ist. So oft man sie aufschlägt, mischt sich in die Bewunderung für die stupende Beherrschung des Materials und die Fähigkeit zu seiner Auslegung und Organisation das Bedauern über die Behinderung, die das Konstruktionsprinzip und -verfahren für die klare Herausarbeitung der lebensgeschichtlichen Zusammenhänge und die Erschließung des Werke sinnerhalb dieser Zusammenhänge bedeutet.
Mag Reuter immerhin, wie Otfried Keiler meint, den Endpunkt wahrgenommen haben, der mit diesem Höhepunkt der Fontane-Biographik erreicht war, um den es sich handelt und den ihm so bald niemand streitig machen wird — für i den Fontane der sechziger und ersten siebziger Jahre erbrachten auch Reuters „Grundzüge und Materialien zu einer historischen Biographie" von 1969 keinen wesentlichen Fortschritt. Und wenn nicht alles täuscht, dann hat sich daran bisher wenig geändert.
Fontane hat sich nicht zweckbedingt oder nostalgisch für einen literarischen Paladin des „alte(n) Preußen" ausgegeben, er ist es zeitweilig gewesen. Durch vierzig Jahre hin habe er es „in Kriegsbüchern, Biographien, Land- und Leute- Schilderungen und volkstümlichen Gedichten verherrlicht" 42 , behauptete er nach dem siebzigsten Geburtstag. Damit geht er — ohne äußeren Grund für die Vereinseitigung — über die biographische Skizze von 1874 noch erheblich hinaus; alles in allem nehmend, rechnet er offenbar von den ersten, im „Tunnel" vorgetragenen preußischen Heldenliedern bis zur Scherenberg-Bio- graphie. Es kann keine Meinungsverschiedenheit geben, daß da schwerwiegende entwicklungsgeschichtliche Unterscheidungen zu treffen sind, die er an diesem Ort ganz vermissen läßt, daß das Verherrlichen, das er bei anderer Gelegenheit natürlich auch in Abrede gestellt hat, einer abwägenden Interpretation bedarf, und daß schließlich sorgfältig auf die selektiven und umdeutenden Praktiken zu achten ist, denen Fontane jenes Preußen unterworfen hat, bevor an ein Verherrlichen überhaupt zu denken war und soweit daran zu denken war. Die in dieser Hinsicht bahnbrechenden Arbeiten nicht zuletzt zum jüngeren Fontane sind allbekannt, und es gibt Anzeichen, daß die Diskussion wieder in Gang kommt.
Die Komplettierung der lebensgeschichtlichen Tatbestände ist bei alledem von wesentlichem, doch untergeordnetem Interesse. In erster Linie darf man sich ein besseres Verständnis der Metamorphose versprechen, die den alten, den Erzähler Fontane, auf den es am Ende ankommt, mit seiner Vergangenheit verbindet und von ihr trennt. Sein Bruch mit der Kreuzzeitung 1870 und sein verfehltes Intermezzo als Sekretär der Königlichen Akademie der Künste 1876 sind als Etappen eines Weges im Bewußtsein, der ihn, was das Preußische und seine Trägerschichten betrifft, anschließend binnen kurzer Frist von der Verteidigung hochgehaltener Werte zur Anamnese und Diagnose ihrer Dekadenz führte. Er führte, um die Dinge literarisch beim Namen zu nennen, von
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