Leute halten wegen meiner Kriegsbücher, märkischen Wanderungen etc. grosse Stücke von mir, die Leser der Vossin wegen meiner Theater-Berichterstattung und sonstiger mannigfacher geübter Kritik." 4 ' 1
Anscheinend hat er wirklich den Glauben an die Autonomie seines „kleine(n) Meisterwerk (s)" 45 gehegt und bei seiner konservativen Leserschaft die Rezeptionsweise vorausgesetzt, die er im Scherenberg-Buch als die dichtungsadäquate favorisierte. Es hätte sonst eine unwahrscheinliche Naivität bedeutet, ausgerechnet für „Schach von Wuthenow" mit der Aufnahmebereitschaft der Kreuzzeitung-Abonnenten zu rechnen. Schließlich sprach er nicht mehr in seiner Eigenschaft als märkischer Wanderer bei ihnen vor, auf die er zu seinem Leidwesen öffentlich festgelegt war; als solcher hatter er sich mit dem vierten Band soeben verabschiedet, nicht ohne sich politisch unmißverständlich von den Junkern loszusagen, die ihn menschlich für sie eingenommen hatten. Jetzt trat er mit seinen skandalösen Berliner Liebesaffären vor sie hin. Die Enttäuschung ließ nicht auf sich warten; Ludovica Hesekiel, die Tochter des alten Kreuzzeitungs-Gefährten, machte Fontane klar, daß der Verfasser des „Schach" für dieses Blatt aus ästhetischen und politischen Gründen ein verlorener Mann war. Fontane hat daraus Konsequenzen gezogen. Und dennoch: Trotz dieser enttäuschenden Erfahrung entwickelte er über das Ausbleiben des „alten Preußen" an seinem siebzigsten Geburtstag und an seinem fünfundsiebzigsten erneut soviel Enttäuschung, daß er Mühe hatte, sie in achselzuckender Resignation aufzufangen. Das Selbstverständnis der sechziger und siebziger Jahre wirkten nach. Der vaterländische Schriftsteller Fontane war lange dahin. Aber seine Schatten lebten in ihm fort.
IV
„In den Augen des großen Publikums kann der Dichter nie genug hungern, es ist sozusagen seine Spezialität, und je fester der Schmachtriemen ihm angezogen wird, desto reiner seine Lyrik. Aber die, die zur Erbauung des Publikums diese Trainierung durchmachen sollen, denken doch anders darüber und haben unter den einschlägigen Entziehungsprozessen (. . .) meist so sehr gelitten, daß sie sich (. . .) an derartige Vorbereitungen für ihren Dichterund Künstlerruhm nicht gern erinnern lassen. Mir persönlich wird immer sehr fatal dabei, trotzdem ich mit der von Zola mehrfach geäußerten Ansicht, daß die wahre Kunst erst mit der Freiwerdung der Künstler von allem Fürsten- und Mäzenatentum beginne, nicht übereinstimme. Bessere Dichterzeiten als am Versailler und Weimaraner Hofe hat es nie gegeben, und die jetzt existierende Abhängigkeit vom Geschmacke des Publikums oder wohl gar von den Launen eines die Hand krampfhaft auf dem Beutel haltenden Buchhändlers ist keineswegs ein Idealzustand daneben. An das forsche: ,Es soll der Dichter mit dem König gehn' läßt man sich jederzeit gern erinnern, der auf der Bühne heimische Hungerpoet oder Hungerkünstler aber weckt bei dem, der mit ,zum Bau' gehört, sehr zweifelhafte Gefühle (.. .)". 49
Fontane läßt deutlich die eigene Lebenserfahrung durchblicken in dieser bekenntnishaften theaterkritischen Herzensergießung aus dem Jahre 1886, die dem Dichter, der zu Hofe geht, den Vorzugsplatz zwischen dem armen Poeten und dem sogenannten freien Schriftsteller einräumt. 47 Er konnte in allen drei
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